Haiyti: Halb ausgedacht, halb unprofessionell

Nr. 38 –

Haiyti hat eine Mission: als kleines Mädchen alleine Gangsterrap machen. Das begeistert Underground wie Feuilleton.

Haiyti, bürgerlich Ronja Zschoche, Alter geheim, ist die aufregendste Rapperin Deutschlands. Foto: Tim Bruening

Was man von Haiyti als Erstes zu fassen kriegt, ist ihre Unfassbarkeit. «Ich bin ganz anders, ganz speziell / Ich bin ein Serienmodell», singt sie mit digital verfremdeter Stimme auf ihrem Anfang 2018 erschienenen Album «Montenegro Zero». Haiyti will Gangsterrap für die Strasse machen – und wird im deutschen Feuilleton als die aufregendste Rapperin des Landes gehandelt. Sie dreht verwackelte Videos mit dem Smartphone – und ist bei einem Majorlabel unter Vertrag. Sie will nicht politisch korrekt sein – und ist ein Liebling der Linken. Sie ist von sich selber scheinbar blind überzeugt – und wundert sich, dass jemand extra aus der Schweiz anreist, um sie zu interviewen.

Haiyti kommt mit dem Fahrrad aus dem Berliner Stadtteil Wedding, wo sie seit dem Wegzug aus ihrer Geburtsstadt Hamburg wohnt. Sie ist gut 1,55 Meter gross und überlegt selten, bevor sie antwortet. Starke Sympathie oder Ablehnung: Im Kontakt mit Menschen polarisiere sie, sagt Haiyti. Wobei, wenn man sie trifft, ist Letzteres schwer vorstellbar.


WOZ: Haiyti, in Chemnitz haben Bands wie die Toten Hosen oder der Rapper Marteria kürzlich vor 65 000 Leuten ein Solikonzert gespielt, um gegen die rechte Hetze in der Stadt zu demonstrieren. Würden Sie an einer solchen Veranstaltung auftreten?
Haiyti: Ich habe das natürlich mitbekommen, weil da auch viele Freunde von mir gespielt haben. Aber ne, ich glaub, da würde ich selber nicht auftreten.

Wieso nicht?
Ich finde, als Künstlerin muss ich nicht explizit politisch sein. Ich will das wirklich trennen. Natürlich bin ich links, aber darüber rede ich nicht mehr, weil das halt klar ist. Ich bin ja auch beliebt bei den Linken. Und wenn ich dann ein paar von denen verliere, weil ich Boy London trage, eine Marke, die in ihrem Logo mit dem Naziadler spielt, ist mir das auch egal. Eigentlich waren es sowieso immer eher die Linken, die mich genervt haben.

Das müssen Sie erklären.
Hier in Berlin oder in Hamburg, wo ich aufgewachsen bin, ist man von so vielen Ausländern umgeben, dass es gar nicht möglich ist, rassistisch zu sein. Ich ging auf eine Schule mit einem Ausländeranteil von achtzig Prozent. Ich habe es eher erlebt, dass Linke intolerant waren und einen ausgeschlossen haben, weil man keine Dreadlocks oder Tattoos hatte. Aber das will ich jetzt auch nicht zu laut sagen, deswegen habe ich schon mal eine fünfstellige Summe verloren.

Wie haben Sie das geschafft?
Ich hätte für einen grossen Internetkonzern einen Gig spielen sollen. Dann hat irgendwer in Hamburg im Schanzenquartier plötzlich all diese bunten Plakate aufgehängt, auf denen sich Schwule, Lesben und Heteros küssen. Als ich dann auf Instagram gesagt habe, dass ich das eklig finde, hiess es plötzlich, ich sei homophob. Dabei haben mir nur die Plakate nicht gefallen und Street Art sowieso nicht. Wie kommen die darauf?! Wenn schon, bin ich doch eher eine Stimme für die Underdogs. Aber der Gig wurde dann abgesagt.

Und Sie finden es nicht problematisch, für einen solchen Konzern zu spielen?
Ne, wieso denn? Das ist doch mein Job. Es hat sich dann sowieso erübrigt, darüber nachzudenken. Aber ich habe daraus gelernt. Themen wie Politik, Homosexualität, Krieg oder Religion: alles tabu! Aber da denkst du ja nicht daran, wenn du eine Instagram-Story machst.

Beim Konzert in Chemnitz ging es ja nur um ein Zeichen gegen Rechtsextreme, – damit würden Sie sich doch nicht aus dem Fenster lehnen.
Aber das hat nichts mit meiner Kunst zu tun. Ich führe einen anderen Kampf.

Was ist Ihr Kampf?
Alleine als kleines Mädchen Gangsterrap machen – schwierig genug!

Weil Sie ein Mädchen sind?
Ich wollte das nie wahrhaben … aber ja. Da gibt es keine Pluspunkte. Als Popstar, wenn man singt und eine Frau ist, ist das anders. Aber nicht als Gangsterin. Da schreibt vielleicht das «Zeit Magazin» über dich, aber das bringt mir ja nichts dabei, Gangsterrap für die Strasse zu machen. Mein Image wird dadurch stark, aber auf einer Seite, wo ich gar nicht sein will. Man kann sich seine Fans nicht aussuchen, und auch über sein Image hat man – leider – nicht so viel Macht.

Vielleicht findet Gangsterrap mittlerweile einfach im Feuilleton statt?
Das war aber schon immer so. Ich habe ja auch Kunst studiert, und was haben die Leute gehört, die ich da im ersten Semester getroffen habe? 187 Strassenbande und Haftbefehl, deutschen Gangsterrap. Aber ich habe damals geheim gehalten, dass ich noch Musik mache. Das finden dann alle wieder viel zu interessant. Meine Schule hat mich sogar einmal angefragt, ob ich dort als Haiyti ein Interview geben würde. Aber was haben die denn mit meiner Musikkarriere zu tun?! Wir hätten gerne über meine Bilder reden können oder über die Stipendien, die ich nie bekommen habe.

In «Berghain» rappen Sie darüber, dass Sie noch nie in dem berüchtigten Berliner Club waren. Haben Sie das mittlerweile nachgeholt?
Was ich in meinen Texten sage, stimmt ja alles. Ich war tatsächlich noch immer nie dort drin, obwohl es seit Jahren mein Plan ist. Einmal war ich schon fast drin, aber dann hatte ich kein Geld an der Kasse. Ich wollte sogar gestern gehen, aber weil ich in Hotelzimmern nie schlafen kann und meine Tabletten nicht dabeihatte, war ich am Montag zu müde. Aber dieses Hardcoreraven in düsteren Räumen kenne ich ja, und ich habe das ehrlich gesagt auch ein bisschen gesehen. Ich bin seit zehn Jahren Profipartygirl – ich kenne alles, was es gibt.

Ein Grossteil Ihrer Lieder dreht sich ums Nachtleben. Brauchen Sie das nicht als Inspiration?
Nein, bei mir ist das anders. Ich muss es mir eher verkneifen zu produzieren. Und wenn ich was produziere, muss es auch raus. Aber ich sollte mich jetzt eher etwas rarmachen, die Leute kommen sonst nicht mehr mit. Theoretisch kann ich in zwei Tagen ein Album machen. Für «Montenegro Zero» habe ich etwa drei Wochen gebraucht. Mein neues Mixtape «ATM» ist dagegen eher unbewusst entstanden. Aus Langeweile habe ich mal da und mal dort einen Track aufgenommen – plötzlich hatte ich zehn zusammen. Das ist für mich ein Mixtape: Man bringt mal schnell den Müll raus. Mein Management und mein Label haben das gar nicht mitbekommen, die mussten dann schnell reagieren.

Werden Ihre Texte schlechter, wenn Sie länger daran arbeiten?
Das kann ich so nicht sagen. Manchmal brauche ich Monate für einen Text, manchmal Minuten – meistens geht es schnell. Aber für die Produktion stimmt das schon. Bei «ATM» ist es mir auch passiert, dass Songs rausgeflogen sind, das ist sonst nicht meine Art. An einem habe ich im Studio zu lange rumgebastelt, und am Schluss klang der einfach zu ausproduziert. Der erste Take ist bei mir fast immer der beste, dann sind die Gefühle noch da. Das ist die Hölle: Wenn ich aufnehme und beim ersten Mal haben die vergessen, auf Record zu drücken, weil sie sich gerade einen Joint angemacht haben – da könnte ich ausflippen.

Ist Ihnen das passiert?
Ich musste das ganze Album «Nightliner» noch einmal aufnehmen, weil eine Festplatte abgestürzt war. Aber beim zweiten Mal klang es einfach nicht mehr gut, darum habe ich das Album aus dem Internet gelöscht. Ich will das dann nochmals rausbringen, von den MP3-Dateien der ersten Aufnahmen, die ich noch habe – quasi ein Lo-Fi-«Nightliner»-Tape.

Die Trap-Bewegung hat in den letzten Jahren zu einer Art Dekonstruktion des traditionellen Rap geführt, Technik und Virtuosität zählen heute viel weniger. In welche Richtung geht es?
Die Ära der alten Rapper ist vorbei, jetzt gibt es neue Trends. In den letzten Jahren hat tatsächlich jeder Trap gemacht, weil es so einfach ist: Ein Beat mit einer TR-808 Drum Machine und darüber eine Melodie mit Autotune – schon hast du einen fertigen Track. Aber die wirklich Guten kristallisieren sich ja trotzdem heraus. Zum Beispiel Future oder Trippie Redd sind auch richtig gute Sänger und Rapper. Die Zukunft wird sein, dass man Alt und Neu kombiniert. Da ist die Rapperin Young M.A eine der Vorreiterinnen: Die macht einfach klassischen New York Rap von der Strasse, richtig real, aber in unsere Zeit versetzt. Ich würde sagen: Sie ist der neue Tupac.

Wieso verwenden Sie selber eigentlich den Autotune-Effekt?
Keine Ahnung, das machen die Produzenten an. Das glaubt mir ja wieder keiner, aber ich höre auch keine Musik, in der dieser Effekt verwendet wird. Doch mir gefällt daran, dass sich die Stimme eher wie ein Instrument anhört. Und ich mag generell Maschinelles. Zum ersten Mal gehört habe ich Autotune vermutlich in melodiösen Trancesongs. Dort sind die Stimmen dann noch hochgepitcht, und man wusste gar nicht mehr: Ist das ein Alien?

Wieso soll es maschinell klingen?
Ich bin gar nicht so reflektiert, dass ich sagen könnte, es soll so oder so klingen. Ehrlich gesagt merke ich gar nicht mehr, ob Autotune an ist oder nicht. Ich höre meine Stimme schon so, während ich einen Text schreibe. Und im Studio gehe ich ans Mikro, und das Ding ist an. Ich habe zwar fast ein absolutes Gehör, bin aber keine Sängerin – mit Autotune kann ich mich wenigstens so fühlen. Und es macht alles noch sauberer.

Gibt es bei solchen Stilmitteln, die gerade von allen verwendet werden, nicht die Gefahr, in Stereotype zu verfallen?
Es stimmt schon, heute hört sich tatsächlich fast jeder Song gleich an. Aber meine nicht, und darauf kommt es an.

Vielleicht liegt das an der Aggressivität in Ihrer Stimme. Viele Ihrer männlichen Kollegen, die Trap oder Cloud Rap machen, wirken abgelöscht.
Dieses abgelöschte Zeugs habe ich ja auch gemacht. Aber mein Problem ist, dass ich immer alles zwei Jahre zu früh mache, darum habe ich auch weniger Erfolg als andere. Viel Trap ist Easy Listening, das will ich jetzt auch mal machen: ein Album, das man so nebenbei hören kann.

Beginnen Sie, wie eine Popsängerin zu denken?
Jetzt, nach drei Jahren Karriere, frage ich mich halt, womit man Erfolg haben könnte. Ich komme langsam in eine Reflexionszone. Ich frage mich auch zum ersten Mal, wie mein Image sein soll. Wenn man so viele Facetten hat wie ich, ist man einfach nicht greifbar. Ich muss das plakativer machen.

Und welches Image hätten Sie gerne?
(Überlegt.) Audrey Hepburn mit Grills! (Lacht. Sie öffnet ihren Rucksack und zieht einen rötlichen, glitzernden Zahnaufsatz aus der Aussentasche.) Ich weiss gar nicht, wieso ich den immer mit mir rumschleppe … Ich musste natürlich Diamanten nehmen, und Roségold!

Ist das alles echt?
Klar! Der kostet 3500 Euro, aber ich habe auch einen Spezialpreis. Für Sie würde der mehr kosten. Ich habe den Grill bei einem Typen in Berlin individuell für mich machen lassen, das ist wie beim Kieferorthopäden.

Und was ist eigentlich mit diesen pinken künstlichen Fingernägeln, die Sie heute tragen?
Das ist für mich eine kleine Revolution. Pink finde ich toll! Aber nur, wenn es Männer tragen. Aber gucken Sie mal, die haben vorne noch diese roten Streifen. Nur Pink würde mir zu fest nach Tussi oder Barbie aussehen, aber mit dem Rot sieht es wieder aggressiv aus.

Das muss sich ja nicht ausschliessen. Nicki Minaj zum Beispiel macht auf Barbie und ist trotzdem aggressiv.
Das ist nicht mein Stil. Die ist ja komplett Plastik, nur noch eine Kunstfigur. Man weiss nicht, wie sie privat ist. Bei Cardi B, ihrer grössten Rivalin, ist das anders. Die lebt davon, dass sie sympathisch ist und von der Strasse und auch so redet wie das Volk.

Cardi B ist Ihnen näher?
Ich würde sagen, ich bin genau dazwischen. Ich trage ja auch Perücken und mache fiktive Lovesongs wie Nicki Minaj, aber wenn ich von der Bühne gehe, bin ich niemand anders. Das ist der Unterschied.

In Interviews haben Sie aber auch schon über Haiyti in der dritten Person gesprochen.
Eben, ich bin irgendwo dazwischen: halb ausgedacht, halb unprofessionell.

Dafür gibt das Stoff fürs Feuilleton, wo dann darüber spekuliert wird, was bei Ihnen authentisch ist und was ironisch.
Beim österreichischen Rapper Money Boy ist das genau gleich: Einerseits ist der sehr intelligent und hat sich eine Kunstfigur erschaffen, aber irgendwie ist er auch wirklich so, wie er sich als Künstler gibt. Wir sind als Personen nicht greifbar. Es ist verzwickt.

Sieht das nur von aussen verzwickt aus, oder fühlt es sich auch verzwickt an?
Es fühlt sich auch so an. Ich bin nie sicher, ob ich gerade in einer Rolle stecke oder nicht – ein Leben in einer Twilight Zone.

Können Sie diese Zone beschreiben?
Ich bin auf der Bühne und habe das Gefühl, dass ich Haiyti spiele. Aber dann merke ich, dass ich auch tatsächlich so werde, wie meine Fans mich sehen. Eigentlich bin ich gar nicht so eine starke Persönlichkeit, aber dann stehen plötzlich Teenies vor mir und heulen vor Freude, weil sie mich sehen. Dann realisiere ich, dass die ja wirklich etwas Krasses in mir sehen und dass ich vielleicht ein Vorbild für die bin, obwohl ich das nie sein wollte.

Ist das schön oder schwierig?
Es ist eben verzwickt. Es ist zwar ein schönes Gefühl, wenn die Leute zu mir aufschauen, auf der anderen Seite will ich diese Verantwortung nicht haben.

Sie haben anfangs all Ihre Musik selber produziert und auch alle Ihre Videos selber gedreht. Seit letztem Jahr sind Sie beim Majorlabel Universal unter Vertrag. Reden die bei Ihrem Image nicht mit?
Ganz im Gegenteil, die halten sich komplett raus. Ich würde mir ehrlich gesagt eher wünschen, sie würden sich etwas mehr einmischen. Ich nehme Ideen von anderen auch gerne an, aber meistens habe ich selber einfach die besten. Ich habe auch den Pressetext zu «ATM» geschrieben, den mussten sie aber ein wenig zensieren, weil den Text in der ursprünglichen Version niemand kapiert hätte.

Was wurde rausgestrichen?
Moment, ich kann Ihnen eine Zeile vorlesen. Ich habe zum Beispiel geschrieben «dunkle Chansons für ‹Hohe Luft›-Leser und einen Bushido-Sektempfang für die Bitches». «Hohe Luft» ist ein Philosophiemagazin aus Hamburg, und der zweite Teil spielt auf eine Line des Rappers Bushido an. Kenne Sie die?

Nein.
Die geht: «Ich piss dir ins Gesicht, dann hast du deinen Sektempfang.»

Nicht schlecht!
Ja, ich kann schon gut schreiben. Aber eine solche Zeile ist dann eben zu hochgestochen.