Young M.A: Die beste Rapper
Die New Yorkerin Young M.A prägt einen neuen Typus von RapperIn. Ihre sexuelle Identität verkörpert sie so unaufgeregt, dass man sich ertappt fühlt.
Es ist Sommer, und ein Laut hallt durch die Strassen von New York, dröhnt aus offenen Autofenstern, wird immer wieder gesendet von den grossen Rap-Radiostationen der Stadt: «Ooouuu». Lang gezogen, aber nicht geheult, gleitet er entspannt rauf und runter. Was so schön ist an diesem seltsamen Lautwort: Spricht man es aus, gibt man automatisch etwas preis. So auch die Rapperin Young M.A, die mit diesem Laut ein Gefühl transportiert, das man irgendwo zwischen Entzücken, Euphorie und Erregung vermutet. Es ist kein Zufall, dass sich dieser Moment in der Geschichte des Rap in einem solchen Ausruf kristallisiert. Young M.A ist ein Ereignis – nicht durch das, was sie sagt, sondern durch das, was sie verkörpert.
Mit dem Track «Ooouuu», der bis heute auf Youtube über 300 Millionen Mal angeklickt wurde, wird Young M.A im Sommer 2016 plötzlich zur Hoffnungsträgerin. In den vergangenen Jahren hatte Rap in den USA vor allem in anderen Städten stattgefunden, nun sahen manche in der damals 24-Jährigen die Vorbotin eines Revivals des New York Rap. Unbeirrt arbeitete sie weiter an ihrer künstlerischen Vision, lehnte das Angebot für eine Rolle in der TV-Serie «Empire», die sich um ein fiktives Hip-Hop-Label dreht, ab, um die Kontrolle über ihr Profil zu bewahren, und widerstand der Verlockung, einen Plattenvertrag zu unterschreiben. Kürzlich erschien ihr erstes Album, «Herstory in the Making», ein handwerklich minutiöses und emotional verdichtetes Werk, das ohne Spektakel oder Drang zur Innovation brilliert.
Sextalk am Handy
In der Form klingt «Ooouuu» wie klassischer New Yorker Strassenrap. Young M.A gibt sich geistreich und poetisch versiert, die Atmosphäre ist düster und der Beat auf wenige Elemente reduziert: Über einem Drumset, das nur minimal variiert, drehen sich die immer gleichen drei Töne. Eine eigentliche Hook gibt es nicht. Doch es gibt einen Höhepunkt, der Aufbau zur Punchline ist im Beat gut zu hören. Young M.A richtet sich jetzt an eine Person, deren Freundin sich ständig bei ihr meldet, Sextalk am Handy sucht. Bevor die Drums wieder einschlagen, ruft sie: «Du nennst sie Stephanie? Ich nenn sie Headphanie.»
Young M.A macht aus dem Namen der Frau eine Anspielung auf Oralsex. Für mit Rap vertraute Ohren ist diese Zeile nicht etwa darum irritierend, weil hier eine Frau auf ihre sexuellen Dienste reduziert wird, sondern vor allem wegen der Person, die sie ausspricht. Eine lesbische Rapperin, die mit einem Song über Sex ein Mainstreampublikum erreicht – das hatte es noch nie gegeben.
Es muss ein Mann sein, dem hier die Freundin stibitzt wird. Denn die Welt in diesem Text ist komplett männlich codiert, Young M.A erklärt sogar ihre Loyalität zum «Bro Code», einem Kodex für Männerfreundschaften aus der TV-Serie «How I Met Your Mother». Doch indem sie sich diesen aneignet, unterwandert sie ihn. Unzählige Rapper haben über Oralsex gerappt, den sie von Frauen einfordern, oft mit expliziter Zurückweisung von sexuellen Praktiken, bei denen auch die Frau befriedigt wird. Und Rapperinnen wie Azealia Banks oder Missy Elliott haben diese Konstellation einfach umgedreht und sich mit der gleichen Forderung an Männer gerichtet. Indem sich Young M.A nun direkt in die Position dieser Männer versetzt, lässt sie diese quasi links liegen.
Es überrascht nicht, dass sie dadurch auch einen eigenen Code gewinnt. In «Ooouuu» ist an einer Stelle die Rede von einem Deep Throat. Danach gefragt, wie diese Oralsextechnik bei zwei Frauen funktionieren soll, erklärte Young M.A, es überrasche sie nicht, dass ein Typ dies nicht verstehe. Doch all die Lesben da draussen wüssten genau, von was sie spreche: «Wenn du das nicht verstehst, musst du es auch nicht verstehen.»
Selten bezeichnet sich Young M.A in ihren Texten als «dyke», ein ursprünglich abwertend gemeintes, dann als Selbstbezeichnung angeeignetes Wort für Lesbe. Und mit ihrem Track «Eat» hat sie sich noch vor «Ooouuu» an die Leute gerichtet, die sie wegen ihrer sexuellen Identität diskriminieren. Doch identitäre Zuschreibungen weist sie konsequent zurück. Kürzlich sagte sie in einem Interview: «Ich will diese Labels nicht. Ich date einfach keine Männer. Ich liebe Frauen.» Sie wolle auch nicht «female rapper» genannt werden, einfach «rapper».
Einen Scheiss drauf geben
Young M.A ist eine Erscheinung. Oft trägt sie Achselshirt und Trainerhose, Arme und Hals übersät mit Tattoos, auf den Zähnen mit Diamanten besetzte Grillz. Ihre Körpersprache entzieht sich weiblichen Stereotypen, doch auch den männlichen Gangster will sie nicht geben. Young M.A scheint etwas zu verkörpern, was es so bisher nicht gab. Im Interview mit der Journalistin Judnick Mayard beschreibt Young M.A ihre kulturelle Sozialisation: «Es gab immer die weiblichen Rapperinnen, die wie weibliche Rapperinnen aussahen, und dann gab es die Typen. Damit bin ich aufgewachsen, also dachte ich, so muss es sein. Bis ich an einen Punkt gelangte, an dem ich mich selber finden musste.»
Wenn man den Titel des neuen Albums liest, könnte man zunächst vermuten, dass uns Young M.A diese Geschichte in ihren Texten erzählt. Doch «Herstory in the Making» ist gerade andersrum gemeint, hier will Geschichte nicht nacherzählt, sondern geschrieben werden. Tatsächlich gibt sie in ihren Texten wenig Greifbares über sich preis, lange war nicht einmal ihr bürgerlicher Name Katorah Marrero öffentlich bekannt. Doch Young M.A spricht immer wieder über den entscheidenden Einschnitt in ihrem Leben: die Ermordung ihres Bruders, als sie siebzehn war. Weil der Vater die ersten zehn Jahre ihres Lebens im Gefängnis sass, war der Bruder ihre wichtigste Bezugsperson.
Young M.A führt im Gespräch mit Mayard auch ihr Coming-out auf diesen Schicksalsschlag zurück. Zuvor hat sie ihre Homosexualität verborgen, versucht, sich anzupassen. Der Tod ihres Bruders habe sie wachgerüttelt und auf sich selber zurückgeworfen. «Das ist eher meine Geschichte: nun einen Scheiss drauf zu geben. Nicht nur ‹Oh, ich bin jetzt homosexuell› oder ‹Ich habe mich geoutet›.» Da sie die depressiven Jahre davor zurückgelassen habe, müsse sie in ihrer Musik auch nicht mehr davon erzählen.
Mit dem Hyundai unterwegs
Tatsächlich ist bei Young M.A keine Unsicherheit über ihre Rolle in einer heterosexuell und männlich dominierten Szene auszumachen, das scheint für sie schlicht kein Thema zu sein. Mit dieser selbstverständlichen Erweiterung traditioneller Genderrollen ist Young M.A im Rap der Gegenwart nicht alleine. Mit Lil Nas X hat ein schwuler, schwarzer Junge ausgerechnet den weiss und konservativ dominierten Country mit Rap gemischt, um einen der grössten Hits dieses Jahres zu landen. Und der Rapper und Sänger Young Thug schreibt zwar immer wieder frauenverachtende Zeilen, ist aber auch für seine extravaganten Frauenkleider bekannt und behauptet, kein Geschlecht zu haben.
Mit Widersprüchen geht Young M.A locker um. Sie rappt «Scheiss auf all diesen bescheidenen Scheiss» («The Lyfestyle»), ist aber stolz, nur einen Hyundai zu fahren («Self M.Ade»). Sie verweigert sich traditionellen Formen weiblicher Sexyness, hat aber in Zusammenarbeit mit der Plattform Pornhub einen lesbischen Porno produziert, der Frauenkörper auf ziemlich konventionelle Art sexualisiert. Diese Lockerheit scheint auch davon zu kommen, dass Young M.A quasi ausserhalb der heteronormativen Schusslinie steht. Auch die aggressive sexuelle Ästhetik, die Rapperinnen von Lil’ Kim über Foxy Brown bis Nicki Minaj prägten, scheint sie nicht nötig zu haben.
Aber eigentlich sollte man einfach diese Musik hören, ihren lockeren und gleichzeitig ungemein kontrollierten Flow, ihren beeindruckenden, aber nie angeberisch wirkenden Sprachwitz. Einfach diese Musik hören, die auch ohne Genderdiskurs zum Besten gehört, was es im Rap heute gibt. Das ist eine Spannung, die Young M.A nicht aushalten muss.
Young M.A: Herstory in the Making. M.A Music / 3D. 2019