Generation Easyjet: Für ein paar Tonnen CO₂ und ein paar Fränkli

Nr. 45 –

Die Passagierzahlen an den Schweizer Flughäfen wachsen enorm – und mit ihnen die Klimafolgen des Flugkonsums. Bund, Flughäfen und Airlines hinterfragen das Dumpingangebot nicht. Dabei gibt es in der Bevölkerung eine Mehrheit für Regulierung.

  • Übers Wochenende kurz mit dem Rollkoffer nach Berlin fliegen: Im Flughafen Kloten, Terminal A. FOTO: Andrin Fretz
  • BewohnerInnen der Schweiz fliegen im Schnitt 9000 Kilometer jährlich: Langstreckenterminal E im Flughafen Kloten. FOTO: Andrin Fretz

Die Rollkoffer im Handgepäckformat rattern über den glatten Boden der Ankunftshalle. Eine Passagierin fährt auf dem Kickboard aus dem Zoll des Flughafens Basel-Mulhouse. Am Montagmorgen haben hier alle Ankommenden aus Düsseldorf, Frankfurt, Berlin und Brüssel panische Angst, den Bus in die Stadt zu verpassen. Der nächste fährt in sechs Minuten.

Die ihn verpasst haben, sagen: «Ich arbeite bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und reise jedes Wochenende woandershin.» – «Ich bin Pendler aus Düsseldorf und arbeite in der Pharma.» – «Jede Woche Basel–Berlin. Freitag hin, Montag zurück.» – «Ich arbeite auf dem Bau und verbringe die Wochenenden zu Hause in Berlin.» – «Alle zwei Wochen Brüssel–Basel, meine Freundin ist dort, und ich arbeite an der Uni Zürich.» Der Flughafenzoll ist für diese Menschen nicht mehr als eine Passage des Arbeitswegs, wie für andere eine Verkehrsampel.

Der Wettbewerb scheint grenzenlos

Die BewohnerInnen der Schweiz fliegen viel, im Schnitt 9000 Kilometer pro Jahr. Neunzig Prozent dieser Flüge, so steht es im «Mikrozensus Mobilität und Verkehr 2015», haben private Gründe: Familienurlaub, Verwandtschaftsbesuche – oder auch nur mal schnell für ein Wochenende zum besten Cold Brew Coffee nach Berlin. Die Generation Easyjet besteigt den Flieger wie ihre Eltern das Tram – so vermittelt es auch die Werbung. Selbst Langstreckenflüge sind lächerlich billig. Ist man flexibel im Reisedatum, reist man für unter 500 Franken von Zürich nach San Francisco und zurück. Swiss-Sprecherin Karin Müller sagt, dass die Airline neue Flugrouten in enger Absprache mit der Wirtschaft bestimme. Der Direktflug Zürich–San Francisco etwa sei ein Bedürfnis der Pharmaindustrie gewesen. Ohnehin fokussiere man die Geschäftspolitik auf «Premiumkunden». Ein Flight Attendant der Swiss erzählt gar von Leuten, die nur zur Bewahrung des Vielfliegerstatus nach New York reisen, sodass er ihnen auf dem Rückflug desselben Fliegers erneut begegnet. Es existiert also ein Angebot, das manche zu einer sinn- und lustlosen Reise über den Atlantik treibt. Ob im Hochpreis- oder Billigsegment: Der Wettbewerb ist grenzenlos und das Angebot absurd.

Die Airlines, Flughäfen und das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) thematisieren die damit verbundene Problematik nur selten – sie bringen vor allem die steigende Nachfrage als Argument vor. Die Schweiz dürfe daher keine Regulierungen einführen. Basel-Mulhouse bekommt eine Zuganbindung – weil die Nachfrage steigt. Das Bazl schlägt zudem vor, ehemalige Militärflugplätze für den zivilen Linienverkehr zu nutzen – zur Bewältigung der steigenden Nachfrage. Im Jahr 2000 reisten 35 Millionen Menschen durch Schweizer Flughäfen; heute sind es sechzig Prozent mehr. Bis 2030 sollen es 80 Millionen werden. Im Entwurf des SIL, des langfristigen Rahmenplans für die Zivilluftfahrt, den der Bundesrat in der ersten Hälfte 2019 verabschieden will, schreibt das Bazl: «Ein Teil der Passagiere wird auf andere Flughäfen oder Verkehrsmittel (Bahn, Fernbus) ausweichen müssen.» Falls die Flughafenkapazität nicht grösser werden sollte, müssen einige Bemitleidenswerte tatsächlich Züge besteigen.

Es gibt keine Untersuchungen zum Reisezweck aller Menschen, die in der Schweiz ein Flugzeug besteigen. Der «Mikrozensus Mobilität und Verkehr» untersuchte per Telefonumfrage bloss die Fluggründe der EinwohnerInnen. Wie viele BauarbeiterInnen und Pharmaangestellte jede Woche nach Basel pendeln, ist unbekannt.

Und das Pariser Abkommen?

Montagmorgen, 9 Uhr, am Flughafen Basel-Mulhouse. Das Flugzeug aus München ist eben gelandet. Alle PassagierInnen tragen Jackett oder Hosenanzug. Sämtliche Angesprochenen sind WochenpendlerInnen auf der letzten Etappe ihres Arbeitswegs zu Pharma- oder Beratungsfirmen. Ein Arbeitsweg, der jeder Vernunft entbehrt: Gut fünf Stunden dauert die Zugfahrt München–Basel. Der Flieger ist zwar nur 55 Minuten in der Luft – aber allein die Münchner S-Bahn braucht 40 Minuten vom Hauptbahnhof bis zum Flughafen. Dazu kommen Boarding, Pass- und Handgepäckkontrolle. Mehr als zwei Stunden sparen die PendlerInnen nicht. Dafür machen sie sich pro Flug für etwa 120 Kilogramm CO2 verantwortlich, pro Woche für 240. Auf das Jahr hochgerechnet sind das mehr als zehn Tonnen. Das ist gleich schädlich wie fünf Interkontinentalflüge – und fast das Doppelte des durchschnittlichen Treibhausgasausstosses pro Kopf und Jahr.

Die Schweiz will die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreichen. Dass sie es schafft, ist zu bezweifeln – obwohl der Treibhausgasausstoss über die letzten dreissig Jahre leicht zurückgegangen ist. Der internationale Flugverkehr ist vom Abkommen ohnehin ausgenommen, deshalb darf er die Atmosphäre ungebremst erhitzen: 1990 war der Flugkonsum in der Schweiz für 3,1 Millionen Tonnen, 2016 schon für 5,2 Millionen Tonnen Treibhausgase verantwortlich. Das sind in den Bundesstatistiken zehn Prozent des Gesamtausstosses. Umweltorganisationen rechnen gar mit dem doppelten Schaden, denn Wolkenbildung und Ozon werden in den offiziellen Angaben ausgeklammert. Der Bund bilanziert die Folgekosten des Flugverkehrs für Klima, Umwelt und Gesellschaft auf 1,2 Milliarden Franken jährlich. In den Preisen der Flugtickets schlägt sich das nicht nieder. Nur wenige zahlen freiwillig einen Aufpreis für CO2-Kompensation.

Airlines sind private Unternehmen im globalen Wettbewerb. Und Flughäfen? Die drei Landesflughäfen in der Schweiz agieren wie private Unternehmen – obwohl sie das eigentlich gar nicht sind. Der Flughafen Genf bezeichnet sich als «autonomer öffentlicher Betrieb», und sein alleiniger Aktionär ist der Kanton Genf. Der Flughafen Basel-Mulhouse ist eine öffentlich-rechtliche Unternehmung; den Betrieb regelte der Bundesrat 1949 in einem Staatsvertrag mit Frankreich. Nicht nur PolitikerInnen, sondern auch Bundesbeamte sitzen im Verwaltungsrat, und selbst die zwei WirtschaftsvertreterInnen sind Delegierte des Kantons Basel-Stadt. Einzig bei der Flughafen Zürich AG sind 62 Prozent der Aktien in Privatbesitz, aber auch in dessen Verwaltungsrat sitzen Regierungsrätin Carmen Walker Späh und Stadtpräsidentin Corine Mauch.

Dass Airlines ihr Wettbewerbsgeschäft möglichst ohne staatliche Regulierung verfolgen wollen, überrascht nicht. Doch selbst das Bazl denkt nicht an Eingriffe: Im Entwurf des SIL-Rahmenplans erwähnt es Regulierungsinstrumente nicht einmal. Die Mineralölsteuer wird zwar genannt, aber bei Flugreisen ist sie bloss eine Worthülse. Alle internationalen Flüge sind davon ausgenommen. Der Fokus liegt auf der steigenden Nachfrage. Dass sich die Bazl-Passagierprognosen in der Vergangenheit als überrissen erwiesen, wird verschwiegen.

«Schweizer Alleingang»?

Doch der Widerstand wächst. Im Baselbiet haben 24 LandrätInnen einen Vorstoss gegen den Flughafenausbau unterzeichnet: Sie fordern den Stopp für alle Kantonsbeiträge, die mehr Umweltbelastung durch den Flugverkehr bedeuten.

Ende Oktober sprach sich die Umweltkommission des Nationalrats mit dreizehn zu zwölf Stimmen knapp gegen die Einführung einer Luftverkehrsabgabe aus. Das Anliegen mitgetragen hatte auch eine Gruppe von Mitte-NationalrätInnen. «Wer die Augen nicht verschliesst, bemerkt, dass sich unser Klima rasant ändert – und wir haben nur ein einziges Klima», sagt etwa der Obwaldner CSP-Nationalrat Karl Vogler. Die Minderheitsanträge und anstehenden Motionen werden es im rechtsbürgerlich dominierten Nationalratsplenum aber schwer haben.

In der Bevölkerung des VielfliegerInnenlands Schweiz hingegen wäre die Luftverkehrsabgabe wohl mehrheitsfähig: Eine GFS-Studie im Auftrag der Schweizerischen Energiestiftung ergab, dass eine Mehrheit eine Abgabe von fünfzig Franken auf europäischen Flügen unterstützt – vorausgesetzt, dass die Einnahmen Klimaprojekten zugutekommen.

Die Swiss und der Flughafen Zürich wollen nichts von diesem «Schweizer Alleingang» wissen, wie es ihre Medienstellen nennen. Auch die Umweltkommission befürchtete, dass «Passagiere auf Flughäfen im Ausland ausweichen könnten». Ausland, Alleingang? Dass das bloss Rhetorik ist, spürt man bereits im Kontakt mit dem Flughafen Basel-Mulhouse: Dort kennt man Luftverkehrsabgaben bereits. Auf Flüge im französischen Sektor werden Steuern zwischen 1 und 45 Euro erhoben. «Diese Steuern zieht die französische Luftfahrtbehörde bei den Airlines direkt ein.», erklärt die Flughafensprecherin. Weshalb auch? Nicht nur Frankreich, sondern auch Deutschland, Österreich und Italien erheben Luftverkehrsabgaben. Der «Schweizer Alleingang» ist eine reine PR-Behauptung.