Erntehelferinnen: 42 Euro pro Tag und kein Schutz vor Corona

Nr. 21 –

Sie ernten die frischen Erdbeeren für Europas Supermärkte – und geraten in der Coronakrise noch stärker unter Druck. Nun schliessen sich die MigrantInnen auf Spaniens Plantagen zu Kollektiven zusammen. Ihre Kritik zeigt Wirkung.

Wegen der Pandemie fühlt sich ein Arbeitstag an «wie zwei Tage in einem»: Marokkanische ArbeiterInnen ernten am 7. Mai im andalusischen Lepe Erdbeeren. FOTO: NICCOLÒ GUASTI, GETTY

Frauen, die ohne Mundschutz Erdbeeren ernten. Zwei, die Pestizide im weissen Plastiktunnel versprühen. Direkt daneben ein Zelt, in dem sich andere Arbeiterinnen ausruhen. Das zeigt ein Video von den Feldern des spanischen Beerenproduzenten Berries Los Mimbrales im südspanischen El Rocio* in der Region Huelva.

Geteilt hat das Video ein Kollektiv von Erntehelferinnen: «Jornaleras de Huelva en lucha» heisst es, Tagelöhnerinnen von Huelva im Kampf. Im dazugehörigen Facebook-Post schreiben die Frauen, dass ihnen auf den Feldern von Berries Los Mimbrales nicht nur die Schutzausrüstung fehle, sie würden auch angeschrien und beleidigt. Das Unternehmen zahle weniger als den Mindestlohn und vergüte Überstunden nicht angemessen. Sechs Personen müssten sich ein Zimmer teilen. Berries Los Mimbrales ist unter anderem ein Zulieferer des grössten Beerenproduzenten der Region, Driscoll’s, exportiert aber auch selbst. Driscoll’s liefert an Supermarktketten in ganz Europa.

Die Spanierin Ana Lepe hat selbst auf den riesigen Beerenplantagen gearbeitet, die die Region um Huelva prägen und auf denen Erdbeeren, Himbeeren und Heidelbeeren angebaut werden. Sie hat Jornaleras de Huelva en lucha mitgegründet. «Ich bin das Gesicht des Kollektivs, weil ich meinen Job bereits verloren habe», sagt sie im Gespräch, «aber es stehen viele andere Leute hinter mir, und wir prangern die Situation auf den Feldern an.»

Diese hat sich durch die Coronakrise nochmals verschärft. «Es gibt noch mehr Missbrauch und Ausbeutung am Arbeitsplatz», so die Aktivistin. Versuche, die Arbeitsinspektion zu informieren, hätten nichts gebracht. Daher setze das Kollektiv darauf, Missstände in den sozialen Medien öffentlich zu machen. Es ist damit nicht allein. In den vergangenen Wochen mehren sich Anzeigen von ErntehelferInnen, der Gewerkschaft Sindicato Andaluz de Trabajadores (SAT) und verschiedenen Kollektiven – wegen fehlender Schutzausrüstung und überfüllten Unterkünften, aber auch wegen mutmasslicher Gewalt und schlechter Bezahlung.

«Nach unserer Kritik haben einige Unternehmen Sicherheitsmassnahmen eingeführt», berichtet Lepe. In einem Unternehmen hätten sie einen Ruhetag durchgesetzt. Zuvor hätten die Angestellten dort jeden Tag in der Woche gearbeitet. Die WOZ hat die Arbeitgeberverbände Interfresa und Freshuelva angefragt, welche Massnahmen sie in ihrem Verband ergreifen, um ArbeiterInnen vor Corona zu schützen. Weder Interfresa noch Freshuelva hat darauf geantwortet.

Selbstorganisation nimmt zu

In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Medienberichte über Ausbeutung und sexualisierte Gewalt auf den Beerenplantagen rund um Huelva. Die Region ist der grösste Erdbeerproduzent Europas. In der Saison 2018/19 wurden dort mehr als 340 000 Tonnen Erdbeeren produziert. Die Unternehmen machten damit einen Umsatz von 554 Millionen Euro. Trotzdem liegt der Mindestlohn für ErdbeerpflückerInnen in Huelva mit rund 42 Euro pro Tag unter dem branchenübergreifenden Mindestlohn in Spanien.

Neben Erntehelferinnen aus Osteuropa und Migranten aus Ländern südlich der Sahara arbeiten in Huelva vor allem Frauen aus Marokko, die über eine Kontingentregelung für die Erntesaison nach Spanien kommen. Sie werden in Marokko von der eigens dafür eingerichteten Agentur Anapec ausgewählt. Die meisten können nicht lesen oder schreiben, sprechen kein Spanisch und sind auf das Einkommen angewiesen, um ihre Familien in Marokko zu ernähren. Das macht sie besonders verletzlich.

Durch die Schliessung der Grenzen im Zug der Covid-19-Pandemie blieben viele der ArbeitsmigrantInnen aus. Der Arbeitsdruck auf die anderen habe sich dadurch erhöht, erzählt Ana Lepe. Ein Arbeitstag fühle sich an «wie zwei Tage in einem», und für Überstunden erhielten sie nur den normalen Stundenlohn.

Die Coronakrise hat die schwelende Diskussion um Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft wieder entzündet. Und wie in Deutschland, Italien und Portugal führt das auch in Huelva dazu, dass sich ErntehelferInnen zunehmend organisieren – weil staatliche Hilfen ausbleiben. Neben dem Kollektiv von Lepe hat sich in Huelva auch das Kollektiv afrikanischer Arbeiter gegründet. Ausserdem gibt es mit #RegularizacionYa eine Kampagne zur Legalisierung von MigrantInnen angesichts der Coronapandemie. Anders als in Italien und Portugal hat es in Spanien dazu bisher noch keine politischen Vorstösse gegeben.

«Was uns wirklich Sorgen macht, ist die Situation marokkanischer Frauen», sagt Lepe. Ihr Kollektiv arbeitet mit einer Gruppe von Anwältinnen zusammen, doch es ist derzeit schwierig, alle Arbeiterinnen auf den Feldern zu erreichen. «Die meisten Häuser und alle Felder sind vollständig geschlossen», so Lepe.

Kein Wasser, kein Strom

Neben den marokkanischen Frauen leben in der Region Huelva zahlreiche ErntehelferInnen in ärmlichen Siedlungen neben den Erdbeerfeldern. Häufig kommen sie aus Ländern südlich der Sahara. Ihre Häuser bestehen oft nur aus Plastikplanen, es gibt kein fliessendes Wasser, keinen Strom und kaum Zugang zu medizinischer Versorgung. Die BewohnerInnen haben oft keine Papiere, leben aber teilweise seit Jahren dort.

Vor allem die gesundheitliche Versorgung und der Zugang zu Wasser wurden angesichts von Corona drängend. Anfang Mai postete der Gewerkschafter Diego Cañamero Valle vom SAT Bilder von Hütten aus Plastik in Lucena del Puerto. «In der Siedlung gibt es sechs Wassertanks aus Plastik, aber sie sind seit einem Monat nicht mehr gefüllt worden», schreibt Valle. Das vom Roten Kreuz und der Caritas verteilte Essen und Wasser reiche nicht aus. «Überall gibt es Hunger, Durst, Müll, Abfall und Plastik», schreibt Valle. «Ich verfluche all jene, die, da sie Macht haben, dies zulassen.»

Auch der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für extreme Armut und Menschenrechte hatte die Siedlungen rund um Huelva im Februar besucht. Die Bedingungen dort könnten sich mit «dem Schlimmsten messen, was ich auf der Welt gesehen habe», schrieb er. Durch öffentlichen Druck hatte das Kollektiv afrikanischer Arbeiter in Huelva durchgesetzt, dass die andalusische Regierung in den rund vierzig Camps in der Region zumindest eine Grundversorgung mit Wasser und Strom gewährleistet.

Mehr als Einzelfälle

Auch die spanische Arbeitsministerin Yolanda Díaz hat vergangene Woche neue Massnahmen der Aufsichtsbehörde für Arbeit und soziale Sicherheit und Polizei angekündigt. So soll es verstärkte Kontrollen geben zu «Ausbeutung, Menschenhandel, Zwangsarbeit, Sklaverei oder sklavereiähnlichen Praktiken».

Die Landwirte bezeichnen die Massnahme als gezielte Kampagne, um der andalusischen Landwirtschaft zu schaden. Er bedaure, dass die Regierung an «vergifteten Kampagnen des europäischen Wettbewerbs gegen die andalusische Landwirtschaft» teilhabe, wird etwa Eduardo López, Sekretär des Bauern- und Viehzüchterverbands COAG in Andalusien, zitiert. Missbrauch oder Ausbeutung seien Einzelfälle.

Dass die Verstösse gegen das Arbeitsrecht keine Einzelfälle sind, darauf deuten die Zahlen der spanischen Regierung hin, die das spanische Medium «La Mar de Onuba» im Februar öffentlich gemacht hatte. Demnach erhält nur ein Bruchteil der Arbeiterinnen aus Marokko einen Vertrag, der mit dem Gesetz vereinbar ist. Von fast 15 000 Saisonkräften, die 2019 eingestellt wurden, haben nur 243 Personen einen regulären Dreimonatsvertrag erhalten.

Ana Lepe kann nicht verstehen, warum sich die Landwirte so gegen Kontrollen wehren, wenn Missbrauch und Ausbeutung nur Einzelfälle sein sollen. «Wenn ihr glaubt, dass auf den Feldern gut mit den Menschen umgegangen wird, warum habt ihr Angst?» Die Unternehmer sollten die Farmen für die Arbeitsinspektionen öffnen. «Lasst sie die Bedingungen sehen, unter denen diese Menschen arbeiten.»

* Korrigendum vom 28. Mai 2020: In der Printversion sowie in der alten Onlineversion steht fälschlicherweise, die Farm liege in Lucena del Puerto. Korrekt ist: Sie befindet sich in El Rocio.