Journalismus und Geschichtsschreibung: Ein Clan und seine Chronisten
Ein neues Buch über den Familienclan der Willes ruft die Erinnerung an ein altes Buch zum selben Thema wach. Und lässt an verpasste Fortschritte denken.
Als der Journalist und Historiker Niklaus Meienberg im Frühjahr 1987 in der Zürcher «Weltwoche» eine Artikelserie über General Ulrich Wille, den Oberbefehlshaber der Schweizer Armee von 1914 bis 1918, und über dessen militärisch-industriellen Familienclan veröffentlichte, stiess er auf eine aus heutiger Sicht unerhört breite Resonanz, aber auch auf die scharfe Kritik einiger etablierter GeschichtsprofessorInnen.
Meienbergs Serie wurde von der «Weltwoche» in einer Pressekonferenz sowie mit Inseraten angekündigt. Praktisch alle Schweizer Medien berichteten darüber und erzählten, wie der einst von vielen SchweizerInnen verehrte General im Ersten Weltkrieg sich als deutschfreundlicher Polterer, demokratieferner Obrist, als Antisemit, Rassist und Sozialistenfresser aufgeführt hatte, wie er vermutlich bereits zu Amtszeiten senil gewesen war, wie er aus Angst vor einer Revolution im Herbst 1918 einen die Schweiz auf viele Jahre hinaus traumatisierenden Generalstreik provozierte, wie sein Sohn Ulrich Wille junior - ebenfalls ein hoher Offizier der Schweizer Armee - bald nach dem Krieg einen deutschen Politiker namens Adolf Hitler nach Zürich eingeladen hatte und ihm hier eine Fundraising-party organisierte, oder wie die Enkelin des Generals, die Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach, an den Widersprüchen einer höheren Tochter - zwischen nazifreundlichem Elternhaus und antifaschistischem Freundeskreis - schon in jungen Jahren zerbrach. Die Kioskauflage der «Weltwoche» stieg um tausend Exemplare. Als im Oktober 1987 Meienbergs Buch «Die Welt als Wille und Wahn. Elemente zur Naturgeschichte eines Clans» erschien, stand dieses bald auf Platz zwei der Bestsellerliste, unmittelbar hinter dem Buch «Perestroika» des sowjetischen Präsidenten und Reformers Michail Gorbatschow.
«Die Welt als Wille und Wahn» war Meienbergs grösster publizistischer Erfolg. Ähnlich wie frühere seiner Werke - etwa «Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S.» (1973) - ging auch «Die Welt als Wille und Wahn» aus einer kleinen, aber wichtigen handwerklichen Regelverletzung hervor: Beim Besuch einer Ausstellung über die Familie Wille, für die sich Meienberg seit langem interessierte, hatte er im Ortsmuseum Meilen am Zürichsee einen dort bloss zur Dekoration ausgestellten Band unveröffentlichter Briefe des Generals an seine Frau entdeckt. Einige dieser Briefe hatte er exzerpiert, von rund einem Dutzend Seiten konnte der Fotograf Roland Gretler, ein Freund Meienbergs, Reproduktionen anfertigen. Die beiden taten das zwar nicht heimlich, aber ohne Erlaubnis der Familie Wille, die ihre Archive vor jeder kritischen Forschung verschlossen hielt. 1977 hatten die Willes sogar versucht, Meienberg per Gerichtsbeschluss daran zu hindern, über die prodeutschen Intrigen von Ulrich Wille jun. im Zweiten Weltkrieg ein Theaterstück zu verfassen.
Der Clan schreibt zurück
Siebzehn Jahre nach Niklaus Meienbergs Publikation, die am Beispiel einer vornehmen Familie auch eine Geschichte der Schweiz als Klassengesellschaft zeichnen wollte, ist im Herbst 2004 erneut ein Buch über den Wille-Clan erschienen: Es versammelt weitaus mehr neue Quellen, und einige sind spektakulärer als jene, die Meienberg 1987 zur Verfügung standen. Dennoch blieben die Medien diesmal relativ ruhig. Zwar versuchte das Magazin «Facts», mit einer Titelgeschichte das Buch etwas auszuschlachten, aber die anderen Blätter reagierten nicht einmal mit dem Abdruck einer Agenturmeldung darauf. Ein halbes Dutzend bis heute publizierte Rezensionen, inklusive einer People-Story in der «Schweizer Illustrierten», lassen sich mit dem Wirbel von 1987 überhaupt nicht vergleichen.
Unter dem Titel «Die Geborene» hat Alexis Schwarzenbach, ein in Oxford und Florenz ausgebildeter Historiker und Ururenkel General Willes, ein fünfhundertseitiges Werk über seine Vorfahren verfasst. In dessen Zentrum steht die Tochter des Generals, Renée Schwarzenbach, geborene Wille, Ehefrau von Alfred Schwarzenbach, einem bedeutenden Textilindustriellen, und Mutter der unglücklichen Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach. Diese Renée Schwarzenbach spielte als Gutsherrin, Pferdenärrin, feurige Nazisympathisantin, aber auch als exzellente Hobbyfotografin bereits in Meienbergs Clangeschichte eine prominente Rolle.
Für seine Forschung waren Alexis Schwarzenbach sämtliche privaten Archive der Familie zugänglich. Man kann sich ausserhalb des Clans kaum vorstellen, was das bedeutet: Als der Historiker in einem Büroschrank seines Vaters in Thalwil nachschaute, fand er dort prompt das Protokoll jenes erwähnten Besuches von Adolf Hitler bei seinem Urgrossonkel Ulrich Wille jun. im August 1923. Als Schwarzenbach die Tagebücher der Ururgrossmutter studierte, einer geborenen von Bismarck, fand er aus der gleichen Zeit die Bemerkung, dass der alten Dame dieser «Hittler äusserst sympathisch» sei: «Der ganze Mensch bebt, wenn er spricht; er spricht wundervoll!» Als Schwarzenbach sich weiter mit Ulrich Wille jun. beschäftigte, dem Korpskommandanten, über dessen politische Haltung zu schreiben die Familie einst dem Schriftsteller Meienberg hatte verbieten wollen, entdeckte er, dass Wille dem «Führer» schon vor seinem Besuch in Zürich eine Wahlkampfspende nach München überbracht und zusammen mit Grossadmiral Alfred von Tirpitz 1922 einen Putsch für Deutschland geplant hatte. Er las in den Akten auch, dass der geachtete Urgrossonkel und spätere Pro-Juventute-Präsident nicht erst im Zweiten Weltkrieg mit dem deutschen Gesandten gegen die eigene Armeeleitung intrigierte, sondern schon im Ersten Weltkrieg nur mit grösster Mühe von einer Desertion aus der - vom eigenen Vater befehligten - neutralen schweizerischen in die deutsche Armee abgehalten werden konnte.
Trotz dieser Fülle an unbekanntem Material - Schwarzenbach berichtet auch, wie die hysterische Familie des hysterischen Generals im Herbst 1918 fest an die bolschewistische Revolution in der Schweiz glaubte und anfing, Dokumente zu verstecken -, trotz unzähliger Details, die man vorher höchstens erahnen, mangels Archivzugang jedoch nie beweisen konnte, hat Alexis Schwarzenbach 2004 ein weitaus weniger spannendes und weniger wichtiges Buch vorgelegt als Meienberg 1987.
Geschichte oder Journalismus?
Geschichtsschreibung entsteht bekanntlich nicht im luftleeren Raum. Geschichte wird aus der Gegenwart heraus erforscht, aus einer Neugier, die sich an Aktualität entzündet, an aktuellen Interessen und Nöten. Wer die Probleme der Vergangenheit studiert, hofft in der Regel, die Probleme der Gegenwart, vielleicht sogar jene der Zukunft besser verstehen zu können. Ausserdem möchte, wer schreibt, natürlich gelesen werden: Er oder sie richtet sich an ein mehr oder weniger genau definiertes Publikum und versucht, dieses Publikum zu gewinnen.
Die akademische Schweizer Geschichtsforschung hat lange Zeit so getan, als hätte sie keine derartigen Interessen, als wäre ihre Wissenschaft grundsätzlich neutral und schon allein deshalb «objektiv», weil sie in der geschützten Atmosphäre universitärer Seminare und von historischen Lehrstühlen herab in oft trockener, schwer verständlicher Sprache und mit zahlreichen Fussnoten versehen verkündet wird. Als Niklaus Meienberg das Buch «Die Welt als Wille und Wahn» veröffentlichte - in leicht verständlicher Sprache, ohne jede Fussnote, aber mit Quellenverweisen und Dokumentenanhang -, haben ihm einige Historiker vorgeworfen, er schreibe gar nicht Geschichte, sondern «linke Publizistik» und «Belletristik». In diesem Sinn äusserten sich beispielsweise die heute pensionierten ProfessorInnen Walter Schaufelberger (ETH Zürich), Peter Stadler (Universität Zürich) und Beatrix Mesmer (Universität Bern). Sie schlossen Meienberg explizit aus dem Kreis der ernst zu nehmenden HistorikerInnen aus. Beatrix Mesmer bezweifelte öffentlich, dass der Wille-Autor «überhaupt Geschichtsschreibung bieten» wolle.
Die Vorbehalte waren für Meienberg keineswegs neu. Mit seinen früheren historischen Reportagen - eben jener über den erschossenen Ernst S. oder jener über den guillotinierten Schweizer Hitler-Attentäter Maurice Bavaud (1980) - war er auf ganz ähnliche Kritik und auf die explizite Feindschaft oder Nichtanerkennung der bürgerlichen Geschichtsschreibung gestossen, wobei damals die Historiker Georg Kreis (Universität Basel) und Klaus Urner (ETH Zürich) - neben dem NZZ-Redaktor Hugo Bütler - eine Art Wortführerschaft übernahmen: Kreis und Bütler rückten Meienberg in einer NZZ-Kampagne 1977 gar in die Nähe des «linken Faschismus».
Immer wieder war Meienberg «Polemik» vorgeworfen worden, «Einseitigkeit» oder eine «manichäische Grundhaltung», weil er als Autor eine erkennbare Haltung einnahm und die Geschichte des an Verbrechen und Skandalen reichen 20. Jahrhunderts nach dem wissenschaftlichen Zeitgeschmack allzu wortstark und leidenschaftlich referierte. Für Meienberg galt zweifellos der Satz des französischen Mediävisten Georges Duby, der 1991 schrieb: «Der trockenen, kalten, unbeirrbaren Geschichte ziehe ich die leidenschaftliche Geschichte vor. Und ich bin fast geneigt zu glauben, dass sie wahrer ist.»
Es ist hier nicht der Platz, Niklaus Meienberg elf Jahre nach seinem Tod noch einmal als Historiker oder gar seine GegnerInnen zu würdigen. Bemerkenswert erscheint mir aber, dass es bei der Kritik an Meienbergs Arbeit häufig um methodische oder formale Kriterien ging - und auch heute noch geht -, dass ihm hingegen kaum je echte inhaltliche Fehler oder schwere Irrtümer nachgewiesen werden konnten («Es stimmt halt, was er geschrieben hat», notierte Max Frisch). Eine bemerkenswerte Ausnahme machte im Fall Wille immerhin der Lausanner Geschichtsprofessor Hans Ulrich Jost, der Meienberg Verharmlosung vorwarf: Indem er sich personengeschichtlich ganz auf den spinnerten General beziehungsweise auf dessen Familie konzentriere, stilisiere er diese als Abweichung von der helvetischen Normalität und versäume es damit gerade, das «demokratische System» jener Zeit zu analysieren, das von reaktionären Kräften solchen Schlages geprägt worden sei.
In der Regel ging es aber nicht um die Frage, ob Meienberg Recht hatte oder nicht, sondern ob man so, wie er arbeitete - mit journalistischen Vorgehensweisen, mit einer nichtakademischen, engagierten Sprache -, überhaupt arbeiten durfte. Meienberg selber hat den Widerspruch formuliert, im Oktober 1985 schrieb er in der WOZ:
«Bei uns gibt es eine komische Trennung: Auf der einen Seite die Fachhistoriker, die das 'Handwerkszeug' abgelöst von einem interessanten Gegenstand, in jahrelanger, meist langweiliger, der Allgemeinheit nichts nützenden Malocherei sich aneignen (…); und die dann mit einer Liz- oder Doktorarbeit, welche niemand ausser 'ihr' Professor liest, und auch der nicht immer so genau, das Studium 'abschliessen', wenn sie nicht in die 'Forschung' überwechseln, wo sie weiterhin langweilige Insider-Elaborate hervorbringen, die keinen Lesegenuss vermitteln. Auf der anderen Seite: Historisch interessierte Schriftsteller, die (…) von der Zunft scheel betrachtet werden - und doch immer wieder bessere und wissenschaftlichere Bücher schreiben als die Zünftler. Ihr Stil ist packend, wenn er von den Dokumenten inspiriert und vom eigenen Quellenstudium geformt wird (…), und ein wenig weniger packend, wenn der Schriftsteller meint, er müsse nicht selbst in die Archive hinuntersteigen und könne die Quellenforschung den Fachhistorikern überlassen.»
Dieser Widerspruch, die «komische Trennung» zwischen «Fachhistorikern» und «Publizisten», hat natürlich auch eine soziale, klassenkämpferische Dimension: Es war - und ist - eine Trennung zwischen Dazugehörenden und AussenseiterInnen, zwischen Eingeweihten und EmpörerInnen. Im Fall Wille hatte die Trennung ausserdem ganz deutliche tagespolitische Gründe: Tatsächlich stand die Schweiz bei Erscheinen von «Die Welt als Wille und Wahn» zwei Jahre vor einer Volksabstimmung über die Abschaffung der Armee. Wie hätte man in dieser Situation die Geschichte der einheimischen Offiziers- und Aristokratenkaste widerspruchslos einem linken Kritiker überlassen können?
Ein Abglanz dieser Trennung - und des Klassenkampfes von oben - leuchtet heute noch. Am 16. November 2004 schrieb die NZZ über die beiden Wille-Bücher:
«Dass die Familienchroniken der Willes und der Schwarzenbachs die Schweizer Geschichte im 20. Jahrhundert spiegeln, hat bereits in den achtziger Jahren der Publizist Niklaus Meienberg erkannt. Anders als dessen polemisches Porträt ist Alexis Schwarzenbachs Darstellung seiner Familie sachlich und undogmatisch.»
Die NZZ führt in ihrem Artikel keinen einzigen Beleg an, weshalb das Werk des «Publizisten» - der übrigens ordentlich Geschichte studiert und mit dem Lizentiat abgeschlossen hatte, aber selten davon sprach - «polemisch», also unglaubwürdig sein soll, und das Werk des zweifellos befangenen Clanmitglieds - der laut Klappentext an einer Habilitation über die Kulturgeschichte der europäischen Monarchien im 20. Jahrhundert schreibt - «sachlich und undogmatisch»: Offenbar ist das einfach so. Und auch der Umstand ändert daran nichts, dass Schwarzenbach die meienbergschen Forschungsresultate inhaltlich gar nicht widerlegt, sondern sie im Gegenteil immer wieder anerkennen muss und - obschon der Name Meienberg in Schwarzenbachs Buch fast nie vorkommt - wissenschaftlich darauf aufbaut.
Der Widerspruch zwischen akademischer und nichtakademischer Geschichtsschreibung lebt auch bei kritischen jungen HistorikerInnen fort, und manchmal wäre man fast versucht, ihn als Dünkel von UniversitätsabsolventInnen zu bezeichnen, die sich, so schlecht es ihnen im Einzelfall wirtschaftlich gehen mag, immer noch zu den Mitgliedern einer besonderen Kaste zählen: Als die Geschichtszeitschrift «Traverse» vergangenes Jahr ein Heft zum Thema «Vermittlung von Geschichte» publizierte, wurden darin die journalistischen, aber auch die filmischen Zugänge zur Geschichte einfach ausgeblendet: FilmerInnen und JournalistInnen waren unter den AutorInnen des Heftes nicht vertreten, so als ob es sie gar nicht gäbe. Als ob die grösste historische Debatte der letzten Jahrzehnte - zur Schweizer Verantwortung im Holocaust - ohne ihre Arbeit überhaupt denkbar gewesen wäre.
Der vorliegende Text ist die stark gekürzte und bearbeitete Fassung eines Referats, das am 20. November 2004 im Istituto di storia delle Alpi in Lugano gehalten wurde.
Niklaus Meienberg: «Die Welt als Wille und Wahn. Elemente zur Naturgeschichte eines Clans». Limmat Verlag. Zürich 1987. 230 Seiten. Vergriffen.
Alexis Schwarzenbach: «Die Geborene. Renée Schwarzenbach-Wille und ihre Familie». Verlag Scheidegger & Spiess. Zürich 2004. 512 Seiten. 48 Franken.
«Traverse. Zeitschrift für Geschichte». Nr. 2004/2. «Vermittlung von Geschichte. La transmission de l’histoire». Chronos Verlag. Zürich 2004. 28 Franken.
Georges Duby: «Eine andere Geschichte». Verlag Klett-Cotta. Stuttgart 1992.
Martin Durrer, Barbara Lukesch: «Biederland und die Brandstifter. Niklaus Meienberg als Anlass». Limmat Verlag. Zürich 2004.
Fussnoten ohne Quellen
Geschichtsschreibung entsteht aus politischen Gründen. Das wird gerne verschwiegen oder verdrängt. Journalismus entsteht per Definition aus politischen Gründen, aus der Aktualität, und es gibt keine Chance, das zu verschleiern: Meienbergs journalistisch-historische Kritik an den Schweizer Militärköpfen ist heute, fünfzehn Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges, fast liberales Allgemeingut geworden, also politisch nicht mehr so provokant. Der Widerstand und die Argumente gegen sein Buch müssten jetzt vermutlich anders formuliert werden, um noch etwas auszulösen: Die zitierte Herabsetzung durch die NZZ erschien im Lokalteil und ist vielleicht bloss noch ein Reflex; im Feuilleton sähe man das eventuell weniger streng. «Die Welt als Wille und Wahn» wäre 2004 kein Bestseller mehr, so wenig wie Gorbatschows «Perestroika». Meienberg würde das Buch heute aber auch ganz anders schreiben.
Umgekehrt ist es von den Familien Wille und Schwarzenbach nicht besonders mutig, heute die Tür zu ihren privaten Archiven einen Spalt weit zu öffnen und einen ihrer Sprösslinge darüber schreiben zu lassen. Das wäre vor siebzehn Jahren eine kühne Reaktion gewesen. Man merkt dem Buch von Alexis Schwarzenbach diese Verspätung leider an. Er schreibt über weltpolitische Dinge, die Meienbergs Leser empörten, in ihrem Demokratieverständnis erschütterten, mit derselben langatmigen Indifferenz wie er auch noch die banalsten Ehekorrespondenzen zwischen Renée Schwarzenbach und ihrem Mann Seite um Seite referiert. Er erstickt seine Fundstücke zwischen Banalitäten. Er stellt kaum Fragen, die nicht schon beantwortet wären. Zum Beispiel fragt er sich nicht, was es denn eigentlich bedeutet, dass die Grossbürgerin Renée Schwarzenbach mit ihren auffälligen, offen praktizierten lesbischen Beziehungen so wenig Anstoss erregte, weder beim Ehemann, noch in der Familie, noch im puritanischen Zürich oder bei den homophoben Nazifreunden. Er setzt sich auch nicht wirklich mit der Kritik an seiner Familie auseinander, macht sich keine Gedanken zur gesellschaftlichen Rolle eines Schweizer Clans oder darüber, wie sich diese Rolle im Laufe der Zeit veränderte und wie es heute um sie steht. Er schreibt Familiengeschichte. Alles, was von der Familie kommt, ist ihm wichtig. Er schreibt nichts, was nicht stimmt, und alles, was er schreibt, ist minutiös und leidenschaftslos mit Fussnoten belegt: Letztere kann allerdings niemand benützen, denn ausser der Familie hat niemand Zugang zu den Akten. - Das ist diese Art von Wissenschaftlichkeit.