FREESTYLE: Im Freistil durch die Zürcher Amtsstuben

Nr. 48 –

Fruchtbarer Zusammenprall der Kulturen: Skater, Bikerinnen und Breakdancer realisieren zusammen mit der Stadtverwaltung einen Freestylepark.

Sommer 2000. Die Landiwiese, einer der wenigen Orte in Zürich, wo den Skateboardern, Inlineskaterinnen und BMX-Fahrern ein paar mickrige Hindernisse zur Verfügung stehen, ist wieder einmal von einem Grossanlass belegt. Ernesto Schneider, in Jugendprojekten engagierter Skateboarder, ärgert sich nicht zum ersten Mal über das fehlende Angebot für die urbanen FreestylesportlerInnen.

Skateboarden, Freestyle-Inlineskating und BMX sind unter Jugendlichen enorm populär. Sie sind kaum institutionalisiert, kennen weder Vereine noch gezielte Fördermassnahmen - vielleicht sind sie deshalb so beliebt. Schneider trommelt Leute aus den verschiedenen Szenen zusammen, holt Breakdancer und Mountainbikerinnen mit an Bord und gründet mit ihnen den Verein Freestylepark. Gemeinsam wollen sie Druck machen, auf dass die Stadt sie beim Bau einer Hindernisanlage unterstütze. Sie wollen einen Freestylepark, wo sie niemanden stören und von niemandem gestört werden und wo sie ihren Sport auf hohem Niveau ausüben können.

Die FreestylerInnen machen Druck

3500 Unterschriften sammeln die FreestylerInnen bis im Herbst 2001. Mit diesem Votum im Rücken trifft sich Schneider mit Vertretern des Sportamts. Unter ihnen ist der stellvertretende Chef Andi Bühler, der über mehr als hundert städtische Sportanlagen gebietet. Schneider spürt, dass er nicht weiter kommt. «Sie nehmen uns nicht ernst», wirft er ihm vor. «Wenn Sie unser Anliegen ignorieren, wie das die Stadt seit Jahren tut, dann kann es passieren, dass Zürich wieder einmal brennt.» «Drohen Sie mir nicht!», antwortet der Chefbeamte. Ohne Resultat geht man auseinander. Zwei Tage später erhält Schneider eine E-Mail von Bühler, in dem dieser vorschlägt, den Streit zu vergessen und die Sache mit dem Freestylepark zusammen anzuschauen. Eine ungewöhnliche Zusammenarbeit beginnt.

Doch Sitzungen und Absichtserklärungen reichen Schneider nicht. Er wendet sich an den SP-Gemeinderat Thomas Marthaler. Der ehemalige Schweizermeister im Boxen reicht eine Motion ein, die im Januar 2002 ohne Gegenstimme an den Stadtrat überwiesen wird. Marthaler bezeichnet diese Motion später einmal als seinen grössten politischen Erfolg: «Der Freestylepark ist für die Stadt noch wichtiger als ein neues Fussballstadion», sagt er heute.

Eine Kommission aus Vertretern der FreestylerInnen und der Stadt evaluiert 52 mögliche Standorte. Anfang Januar 2003 gibt der Stadtrat bekannt, den Freestylepark im Hardhof unter der Europabrücke bauen zu wollen. Er beauftragt Grün Stadt Zürich mit der Projektierung und stellt dafür 150 000 Franken zur Verfügung. «Endlich geht was», sagen sich die FreestylerInnen. Wie weit sie noch von ihrem Ziel entfernt sind, ahnen sie nicht.

Kampf der Kulturen

In der Planungsgruppe prallt die Freestylekultur auf den geordneten Gang der Verwaltung. «Man musste den Jungen schon zeigen, wie man hier arbeitet», erinnert sich Bühler, der die FreestylerInnen konsequent «die Jungen» nennt. «Aber sie haben schnell gelernt.» Schneider fasst die Defizite der anderen Seite zusammen: «Die glaubten, sie wüssten, was die Jugendlichen brauchen. Dann sagten wir: Entweder hört ihr auf uns, oder wir ziehen uns zurück.» Mehr als einmal wird es laut in der Kommission. Dann ist jeweils Andi Bühler gefragt. «Manchmal musste ich den Jungen sagen, jetzt müsst ihr ein bisschen justieren, sonst kommt es nicht gut raus. Dann musste ich wieder meine Mitarbeiter beschwichtigen. Alles in allem verlief der Prozess aber sehr gut.» Martina Brennecke von Grün Stadt Zürich stösst etwas später zum Ausschuss, findet aber schnell den Draht zu den FreestylerInnen. «Es war sehr wichtig, ihnen zu zeigen, dass man sie ernst nimmt.»

Schneider greift zu ungewöhnlichen Methoden: «Um den Leuten von der Stadt zu erklären, wie der Freestyler funktioniert, habe ich den Film «Lords of Dogtown» (Dokumentarfilm über die US-Skateboardszene der siebziger Jahre) zirkulieren lassen. An jeder Sitzung gab ihn einer begeistert dem nächsten weiter. Ja, an diesen Sitzungen lernten sie uns verstehen.»

Am meisten Mühe macht den FreestylerInnen die Trägheit der Verwaltung. Alles muss aufs Genaueste abgeklärt und mehrfach abgesichert werden. «Die Planungsgruppe hat sehr schnell und effizient gearbeitet», findet Bühler. «Trotzdem warfen uns die Jungen immer wieder vor, wir machten nicht vorwärts. Für uns, die diese Abläufe kennen, ist ein Jahr wenig. Für die Jungen ist ein Jahr unendlich lang.»

Umso schwerer sind die Rückschläge zu verkraften. Man habe zu spät realisiert, dass schon 2008 im Bereich des geplanten Freestyleparks eine neue Rampe auf die Europabrücke gebaut wird, muss Pio Marzolini, der Sprecher des Tiefbau- und Entsorgungsdepartements (TED), Ende Februar 2004 bekannt geben. Ein Lacher für die einen, ein Schock für die FreestylerInnen. Drei Jahre Lobbying und ein Jahr konkrete Planung scheinen für die Katz. Der Projektkredit ist aufgebraucht, und der Verein Freestylepark verliert zwei Drittel seiner über 450 Mitglieder. «Die Szene glaubte, damit sei das Projekt gestorben», erinnert sich Ernesto Schneider. Der Verein bemüht sich in der Folge, dies zu widerlegen und mit positiven Nachrichten die Freestylegemeinde bei der Stange zu halten.

Beeindruckendes Tempo

Gleichzeitig gibt das TED bekannt, die Anlage auf der Allmend Brunau bauen zu wollen. Manu Gschwend und Sacha Weilenmann, die PlanerInnen aufseiten der FreestylerInnen, arbeiten auf Hochtouren, um den Park dem neuen Standort anzupassen und ziehen ihre KollegInnen von Grün Stadt Zürich mit. Das Tempo der Planungsgruppe beeindruckt sogar Schneider. «Da hat man gesehen, dass die Stadt den Park wirklich will.» Anfang Mai des gleichen Jahres präsentiert der Ausschuss dem Stadtrat das Vorprojekt. 4,5 Millionen Franken kostet der Freestylepark, der auf 10 000 Quadratmetern Fläche achtzig SportlerInnen Platz bieten wird.

Ein stolzer Betrag für Sportarten, die im Sportamt noch vor wenigen Jahren kein Thema waren. «Sicher, das gibt eine gefreute Sache», bestätigt Sportanlagenchef Bühler, «aber mit weniger kann man nichts machen, das der Nachfrage gerecht würde.» Eine halbe Million Franken steuert der Kanton bei. Zum Vergleich: Der Bau eines einzigen Fussballplatzes kostet drei Millionen Franken.

Jetzt lobbyieren die FreestylerInnen im Namen der Stadt gegenüber der Bevölkerung und dem Gemeinderat. Schneider und seine KollegInnen sind in ihrem Element. Martina Brennecke lobt: «Die zeigten: Wir sind wer! Auch die bohrendsten Fragen haben sie kompetent und selbstsicher beantwortet.» Am 24. November 2004 bewilligt der Gemeinderat den Kredit gegen die Stimmen der SVP und einiger Grüner. Die SVP findet die Anlage unnötig und zu teuer. Die Grünen stören sich an der Tatsache, dass von den BenutzerInnen Eintritt verlangt werden soll, und verlangen eine Überarbeitung des Projekts.

Das grösste Hindernis haben die FreestylerInnen damit übersprungen. Ihre Geduld wird jedoch weiter strapaziert. Nun sind es AnwohnerInnen, die mit Rekursen den FreestylerInnen Steine vor die Räder legen (vgl. Kasten). 760 Unterschriften sammeln sie gegen den Freestylepark auf der Allmend Brunau. Die FreestylerInnen kontern mit einer weiteren Petition, in der sie den sofortigen Baubeginn fordern. Mit 2000 Unterschriften machen sie Stimmung in der Freestylegemeinde und das, was sie am besten können: Druck auf die Stadtbehörden. ◊