Sondermüllexport: Hauptsache, billig

Nr. 48 –

Die Schweiz will brennbaren Sonderabfall vermehrt im Ausland entsorgen. Nächsten Dienstag beraten Industrie und Behörden über die Details.

Mehr Markt! Diese Forderung hat mittlerweile auch das Geschäft mit Sonderabfällen erreicht. Anlass dafür: Der Verkehr mit Abfällen wird per 2006 in einer neuen Verordnung geregelt. Darin gleicht das Departement von Moritz Leuenberger die Schweizer Vorschriften über den Umgang mit Gefahrengut an jene der EU an und regelt den Umgang mit Massenabfällen wie Altreifen, Altholz oder Elektroschrott. Neu fällt auch die bisherige Regel, wonach brennbarer Sonderabfall nur dann exportiert werden darf, wenn die Vernichtung in einer dem technischen Niveau der Schweiz vergleichbaren Anlage geschieht und eine Kostenersparnis von mindestens einem Viertel bis einem Drittel bringt.

Ganz neu sei dieser Export allerdings nicht, sagt Beat Frey, Bereichsleiter Grenzüberschreitender Verkehr mit Abfällen beim Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (Buwal). Doch jetzt soll ausgehandelt werden, was zukünftig erlaubt ist. Eine erste Sitzung des Buwal mit interessierten Wirtschaftskreisen findet am 6. Dezember statt. Über die Details des Vorschlags will Frey deshalb noch nichts verraten. Ursprünglich sei es darum gegangen, den Export von Sonderabfällen einzuschränken. Die Sitzung könne aber auch das Gegenteil zum Resultat haben, nämlich dass der Export einfacher werde. «Es ist ein Abwägen zwischen Investitionsschutz und freiem Markt», so Frey. Das Exportverbot für brennbare Sonderabfälle von 1996 sei zum Schutz der Sondermüllöfen erlassen worden, allen voran von jenem der Valorec in Basel (Kapazität 24 000 Jahrestonnen) und Ems-Dottikon (9000 Jahrestonnen). In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass deutsche Zementwerke gerne leicht belastete Lösungsmittel aus der Schweizer Industrie entgegennehmen - zu günstigeren Konditionen, als dies die hiesige Branche tut.

Zementwerke drohen mit mehr CO2

Fast komplett im Ausland entsorgt werden sollen auch die Abfälle, die in den nächsten zehn Jahren in der ehemaligen Sondermülldeponie Kölliken und womöglich dereinst in Bonfol ausgegraben werden. Allein für Kölliken ist eine halbe Milliarde Franken veranschlagt. «Die Schweizer Öfen sind weder technisch noch mengenmässig dafür eingerichtet», sagt Buwal-Experte Frey. Im Abfallgeschäft ist neben Profientsorgern seit den neunziger Jahren auch die Zementindustrie aktiv. Die Schweizer Zementwerke decken inzwischen 51 Prozent ihres Energiebedarfs mit so genannten alternativen Brennstoffen. Dazu gehören neben Altreifen, Tiermehl und Klärschlamm auch leicht belastete Lösemittel, die im Jahre 2004 insgesamt 31 000 Tonnen ausmachten. «Können diese Stoffe günstiger exportiert werden, fehlen sie uns, wir werden automatisch mehr fossile Brennstoffe wie Kohle einsetzen müssen», warnt Cemsuisse-Direktor Georges Spicher und droht mit einem höheren CO2-Ausstoss.

Betroffen von der zu erwartenden Aufweichung des Exportverbots sind nicht nur die Zementwerke. Probleme dürften vor allem die Betreiber der vier Sondermüllöfen in Genf, im Wallis (Lonza), von Ems-Dottikon und der Regionalen Sondermüllverbrenungsanlage (RSMVA) in Basel bekommen. Die Anlage wurde Anfang der neunziger Jahre von der damaligen Ciba-Geigy erbaut, ging dann an die Novartis über und gehört heute der Valorec AG, einer Tochter von Veolia Environnement mit über 300 000 Mitarbeitenden in 115 Ländern. «Die Basler Konvention verpflichtet uns zwar, unnötige grenzüberschreitende Transporte zu unterbinden und die Vernichtung von Sonderabfällen möglichst nahe der Entstehung zu veranlassen», sagt Werner Wagner, Leiter Recycling und Entsorgungsdienste bei der Valorec. Trotzdem erwartet er, dass 2006 mehr Sondermüll ins Ausland fliessen wird, «zum billigsten Entsorger halt». Die Valorec will aber nicht klein beigeben und rüstet sich, um neue Abfallkategorien verarbeiten zu können.

In den nächsten zwei Jahren werden im Basler Quartier Kleinhüningen acht Millionen Franken investiert, um ein Lager für feste und flüssige Sonderabfälle zu erstellen und die Beschickung des Ofens zu optimieren. Bisher liess die Valorec einen guten Teil der jährlich 15 000 Tonnen Flüssigabfälle in Schweizerhalle BL extern zur Verbrennung vorbereiten. Über die Hälfte des Materials stammt von den drei Basler Chemieunternehmen Roche, Novartis und vor allem Ciba, dazu kommen Lieferungen von Drittkunden aus der Schweiz. Ware aus dem Ausland wird vielfach im Zusammenhang mit einem humanitären Engagement der Eidgenossenschaft oder internationaler Organisationen angeliefert, so PCB-haltige Abfälle aus Serbien oder Pestizidaltlasten aus Bhutan.

Defizitgarantie passé

Die Valorec hat mit dem Jahreswechsel einen zweiten Dämpfer zu verdauen: Per September 2005 lief der zehnjährige Vertrag aus, den die beiden Basler Kantone mit den Ofenbetreibern abgeschlossen hatten. Damals ging es darum, mit Liefergarantien von 1500 (Basel-Stadt) respektive 2200 Tonnen Sondermüll (Baselland) den Bau des in der Region heftig umstrittenen Ofens zu unterstützen. Denn noch Anfang der neunziger Jahre wurden chlorhaltige Abfälle auch aus der Basler Chemie auf hoher See verbrannt. Weil verschiedene Schweizer Zementwerke begannen, die weniger belasteten Sonderabfälle zu günstigen Tarifen anzunehmen, aber auch weil Sonderabfall generell vermindert wurde, konnten die Kantone ihre gemachten Versprechen nicht halten und mussten die Fixkosten übernehmen.

Rund 23 Millionen Franken überwies die öffentliche Hand zwischen 1995 und 2005 an die Firma, was jedes Mal für heftige Diskussionen in den jeweiligen kantonalen Fachstellen und Parlamenten führte. Mit den geplanten Investitionen sei der zur Hälfte abgeschriebene Valorec-Ofen auf gutem Weg, ist Kurt Schoch, stellvertretender Leiter der Hauptabteilung Gewässer, Abwasser und Abfälle im Amt für Umwelt Basel-Stadt, überzeugt. Doch er zweifelt, ob die geplante Lockerung des Sondermüllexports, so sie denn nächste Woche beschlossen wird, tatsächlich ohne Abstriche bei der Umwelt möglich sei: «Es ist grundsätzlich schwierig zu überprüfen, inwieweit die Verbrennung im Ausland dem Stand der Technik entspricht. Dies gilt vor allem für die Entsorgung der Rückstände.» Schoch befürchtet, mit seinen Bedenken relativ einsam dazustehen - die übrigen Kantone dürften gegen die geplante Exportpraxis wenig einzuwenden haben.