Argentinien: Der geschickte Emir

Nr. 51 –

Staatspräsident Néstor Kirchner zeigt, wie man mit Hilfe von Familienbanden an die Macht kommt und diese sichert.

«Der Kirchner kommt!» Angstschweiss soll den EinwohnerInnen von Río Gallegos auf der Stirn gestanden sein, wenn sie diese Ankündigung hörten. Der Rechtsanwalt Néstor Carlos Kirchner amtete zu Beginn seiner beruflichen Karriere in seiner Heimatstadt Río Gallegos als privater Schuldeneintreiber. Gnadenlos soll er auch den Fernseher mitgenommen haben, wenn es nichts anderes zu pfänden gab. Seit 2003 ist Kirchner Staatspräsident Argentiniens. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit gelang es ihm, die Auslandsschulden um rund 65 Milliarden Dollar herunterzuhandeln. Der heute 55-jährige Kirchner ist clever, kann verbissen sein und misstrauisch. Ausserdem versteht er es geschickt, Familienmitglieder und Freunde auf wichtigen Posten zu platzieren. Der Mann ist machtbewusst.

Néstor Kirchner wurde 1987 Bürgermeister der Provinzhauptstadt Río Gallegos und 1991 erstmals Gouverneur der Provinz Santa Cruz. Dass er dort zwölf Jahre im Amt bleiben konnte, ermöglichte erst die Änderung der Provinzverfassung. Die Provinz Santa Cruz ist reich an Bodenschätzen, deren Erträge den Finanzhaushalt kräftig füllen. «Das Emirat» nennen Spötter die Provinz - und Kirchner herrschte wie ein Emir. Für die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung ist die Provinz der direkte Arbeitgeber, für fast die gesamte andere Hälfte sind es die Firmen, die von den Aufträgen der Provinzregierung abhängen. Die Kasse sofort unter Kontrolle bringen, die politische und ökonomische Macht in seiner Hand konzentrieren und die Politik auf die nächste Wahl ausrichten: Der Nachfolger im Bürgermeisteramt von Río Gallegos, Alfredo Martínez, sieht bei Kirchner immer dieselbe Vorgehensweise, ob als Bürgermeister, als Gouverneur oder als Präsident.

In dieses System passt, dass Kirchners Schwester Alicia nacheinander in der Stadt, in der Provinz und schliesslich im ganzen Land für den sozialen Bereich zuständig war und damit für die Verteilung der Sozialbeihilfen. Seit Dezember ist sie nun Senatorin der Provinz Santa Cruz. Das Amt hatte seit 1995 Néstor Kirchners Ehefrau Cristina inne, die jetzige Senatorin der Provinz Buenos Aires. Als Kirchner noch Bürgermeister war, leitete seine Ehefrau in Río Gallegos den Rat für Planung und Beratung, danach wurde sie Abgeordnete des Provinzparlaments von Santa Cruz und erklomm dort den Posten der Vizeparlamentspräsidentin.

Cristina Fernandez ist 1953 geboren und wuchs in La Plata auf, der Hauptstadt der Provinz Buenos Aires. Hier lernte sie Mitte der siebziger Jahre den drei Jahre älteren Néstor kennen. Beide hatten Rechtswissenschaften studiert. 1975 wurde geheiratet, 1977 kam Sohn Máximo zur Welt, 1990 folgte die Tochter Florencia. Der Klatschzeitschrift «Para Ti» sagte Cristina Fernandez: «Von mir aus können die Marines hier landen, ungeschminkt gehe ich nicht auf die Strasse.» Von Anfang an habe sie versucht, durchzusetzen, dass ihr Mann sich besser anziehe «oder wenigstens die Farben seiner Kleider besser kombiniert», erzählte sie in einer Radiosendung. Wer Kirchner live und in Farbe erlebt, weiss um den bescheidenen Erfolg ihrer Bemühungen. Freunde sagen, Machtwille, Intelligenz und Stolz seien bei ihr untrennbar verschmolzen.

Und der Mann fürs Grobe? Kirchners alter Freund, der Architekt Julio De Vido, kümmert sich wie früher schon in Santa Cruz um die Verteilung der öffentlichen Aufträge. Als heutiger Planungsminister Argentiniens fällt die Vergabe der Staatsaufträge für Infrastrukturbauten in sein Ressort. Wirtschaftsminister Lavagna kritisierte Ende November mögliche Kartellabsprachen der von De Vido beauftragten Firmen. Vier Tage später war Lavagna seinen Job los.

Über das Familienleben der Kirchners ist wenig bekannt. Zumal sich in Argentinien bis 2003 ohnehin niemand für den lispelnden Politiker interessierte, dessen Provinz näher bei den Pinguinen der Antarktis liegt als bei der Hauptstadt. Interviews werden von der Familie nicht gegeben, Pressekonferenzen finden bei Kirchner ohne Fragen statt. Im September 2005 brachte das renommierte Nachrichtenmagazin «Noticias» in seiner Jubiläumsausgabe zur 1500. Nummer ein Foto auf die Titelseite: «Der geheimnisvolle Sohn des Präsidenten». Es war das Presseeigengoal des Jahres: Der Abgebildete wies zwar Ähnlichkeiten mit Vater Néstor auf, war aber trotzdem nicht Sohn Máximo. ◊