«Kurtlar vadisi Irak»: Im Tal der grauen Wölfe

Nr. 8 –

Ein türkischer Blockbuster sorgt jetzt auch in Westeuropa für Furore. Türkische Agenten machen mit Krummdolchen Jagd auf ungläubige US-Soldaten in Kurdistan.

Der Streit um die dänischen Mohammed-Karikaturen hat sich noch nicht gelegt, da steht bereits neues Ungemach ins Haus. Der Film «Tal der Wölfe» (im Original «Kurtlar vadisi Irak») hat in der Türkei mehrere Millionen ZuschauerInnen ins Kino gelockt. In- und ausländische KritikerInnen werfen der mit zehn Millionen Euro angeblich «teuersten türkischen Kinoproduktion aller Zeiten» einen aggressiv antiamerikanischen und antisemitischen Hintergrund vor. Nun ist der Streifen des Regisseurs Serdar Akar auch in Westeuropa zu sehen, zumindest überall dort, wo es eine nennenswerte türkische Community gibt. Und auch hier strömen die Massen. Konservative Feuilletons befürchten schon eine Fortsetzung des «Kampfs der Kulturen» in ihren westeuropäischen Vorstädten.

Montagabend im Berliner Stadtteil Neukölln. Nach Schweizer Massstäben ist dies ein heruntergekommener proletarischer Stadtteil und auch nach deutschen einer mit sehr hohem MigrantInnenanteil. In einem Einkaufscenter zeigt das Multiplexkino Karli «Tal der Wölfe», in türkischer Originalversion mit deutschen Untertiteln. Für mancheN FilmkritikerIn mag schon der Ausflug hierher Ängste wecken. In den Parallelgesellschaften des deutsch-deutschen Mittelstands sieht es jedenfalls deutlich anders aus. «Tal der Wölfe» ist auch heute Abend gut besucht, überwiegend von einem Publikum mit Migrationshintergrund. Vor mir sitzen Frauen mit Kopftüchern, links und rechts nehmen Pärchen Platz, rote Plastiktabletts mit Popcorn und einlitergrossen Coca-Cola-Bechern in den Händen. Im Werbevorspann turnen die üblichen Halbnackten über die Leinwand. Das wars dann aber schon mit den bekannten Sehgewohnheiten. Was folgt, kann man getrost als eine auf niedrigstem Niveau betriebene cineastische Bankrotterklärung der türkischen Mehrheitsgesellschaft bezeichnen.

«Tal der Wölfe» nimmt als filmischen Ausgangspunkt eine Begebenheit vom 4. Juli 2003 aus dem Nordirak. Damals waren elf türkische Soldaten von einem Kommando der US-Armee festgesetzt worden. Der politische Kontext der Aktion: Die türkische und die US-amerikanische Regierung konnten sich nicht auf eine Nachkriegsordnung für den Irak einigen, weswegen die Türkei beim zweiten Waffengang gegen Saddam nicht mitmachte. Das türkische Militär agierte dennoch weiterhin eigenmächtig und als Counterguerilla gegen kurdische Separatisten auf irakischem Gebiet. Und schielte dabei wohl auch auf die Ölfelder im kurdischen Nordirak.

Der Regisseur erwähnt solch politische Erklärungen mit keinem Wort. Im Mittelpunkt steht hingegen die symbolische Erniedrigung der türkischen Soldaten durch das US-Militärkommando. Sie stülpten den festgesetzten Soldaten Säcke über die Köpfe. Daraufhin ziehen drei Agenten, Serienstars des türkischen Fernsehens, los, um die grundlos beleidigten und verratenen Soldaten der Grosstürkei zu rächen. Ihr Feind: der fiese CIA-«Sam» und seine Bande aufgepumpter Rambos.

Auffällig ist, wie tatsächlich begangene Menschenrechtsverbrechen der US-Truppen im Irak der Regie Akars zur Bildproduktion von Antiamerikanismus und zur Propagierung grosstürkischer Fantasien dienen. Im Film lässt der Regisseur eine jüdisch-angloamerikanische Weltverschwörung aus dem Gefängnis von Abu Ghraib einen florierenden Handel mit Organen von Gefangenen betreiben. Aus einer solchen Perspektive muss der verrückte CIA-«Sam» ausdauernd vor dem Jesuskreuz knien, dazwischen killt er mit Vorliebe arabische Frauen und kleine Kinder. Selbstverständlich, dass «Sam» in der gerechten Welt des Archaikers Akar rituell mit dem Krummdolch gerichtet wird. Als Splatter wäre die Story allenfalls geeignet, als ethnizistisch-folkloristischer Kriegerfilm spottet sie jeglichen Vergleichs.

Ein durch die Schule des türkischen Grossnationalismus gegangenes Publikum scheint dies allerdings anders zu sehen. Am Ende der Vorstellung in Berlin-Neukölln gibt es verhaltenen Applaus. Die befragten BesucherInnen zeigen sich mit dem gerade erlebten Kinospass zufrieden: «Hundert Prozent echt.» «Vielleicht etwas übertrieben, aber wahr.» «Sehr spannend, gut gemacht.» «Das müssen die Amis aushalten.» Der Propagandastreifen gilt hier tatsächlich als «sehr ausgewogen». Das liegt, neben der nationalistischen Engstirnigkeit des Milieus - wer geht schon in schlechte Kriegsfilme -, sicherlich auch an den ideologischen Angeboten, die der Film dem «anständigen Türken» macht: Er positioniert ihn in der viel gerühmten «Mitte», zwischen ungläubigen Ami-Juden und wahnsinnigen Sprengstoffgürtel-Arabern. Der Film stellt auch bekannte Szenen aus irakischen Entführungsvideos nach. Der (turkmenische) Obermufti nimmt in einer solchen dem jungen Dschihaddi das Schwert aus der Hand. Der gerechte Krieg soll den dafür zuständigen Männern vom staatlichen Sicherheitsdienst (der Türkei), die Predigt der überlieferten religiösen Hierarchie vorbehalten bleiben.

Wofür ein solches, auf politischer Ebene gerade real regierendes Bündnis mit Ministerpräsident Erdogan an der Spitze steht, verdiente sicherlich wieder genauere Betrachtung. «Welch ein schöner Tag», wird die aus der Premiere von «Tal der Wölfe» kommende Frau des türkischen Ministerpräsidenten in der Presse zitiert. Die durchschnittlichen türkischen MigrantInnen im europäischen Ausland sind von all dem jedoch weit entfernt, um nicht zu sagen abgeschnitten. Das ist kaum zu übersehen. Die marginalisierte Minderheit und ihr Nationalismus mögen oftmals eine Mischung aus Pathos und Kitsch darstellen, auswärts entfaltet er jedoch eine andere Wirklichkeitsmacht als die Rambo-Counterguerilla des türkischen Staats in den kurdischen Gebieten.

Einige, wie der deutsch-türkische Schriftsteller Feridun Zaimoglu, haben «Tal der Wölfe» mit einem schlechten US-Actionfilm verglichen und wollten so die Debatte entdramatisieren. Doch der Vergleich hinkt. In den USA wurden neben vielen miserablen eben auch viele gute Actionfilme produziert. Und vor allem jede Menge aus der Perspektive nationaler Minderheiten, die sich gegen die eigene Obrigkeit richten. Etwas, was in der Türkei nach wie vor nur schwer möglich ist, da Kritik schnell als Hoch- und Landesverrat gilt. «Tal der Wölfe» scheint so auch viel stärker allgemeiner Ausdruck einer offiziellen und repressiven Staatskultur zu sein als irgendein vergleichbarer Film mit Sylvester Stallone.

«Tal der Wölfe». Türkei 2006. Regie: Serdar Akar. In ausgewählten Schweizer Kinos.