Abstimmung über das Schweizer Asyl- und Ausländergesetz 2006: Gesucht: Bürgerliche gegen das Asylgesetz

Nr. 17 –

Markus Rauh – bis Dienstag noch Verwaltungsratspräsident der Swisscom – lanciert ein bürgerliches Komitee, das sich gegen die neuen Gesetze wehrt. Findet er Unterstützung?

Wer bekam Post von Markus Rauh? Vor Ostern verschickte der Verwaltungsratspräsident der Swisscom Briefe an «die staatstragende Mitte, die Liberalen und Wohlhabenden dieses Landes». Die humanitäre Tradition und die Einhaltung der Menschenrechte dürften nicht allein die Werthaltung der Linken sein, formuliert Rauh im Schreiben. Das verschärfte Asylgesetz «mit seiner diskriminierenden, menschenverachtenden Verletzung der Menschenrechte muss uns mit Scham erfüllen». Er habe sich entschlossen, ein bürgerliches Komitee ins Leben zu rufen, «in dem humanitär denkende Politikerinnen und Politiker sich formieren und artikulieren können». Rauh will es nicht beim Versand der Briefe belassen. «Ich werde Sie anrufen und hoffe auf eine Zusage», kündigte er im Schreiben an.

Es ist ein Engagement mit Ansage: Im Januar hatte das «St. Galler Tagblatt» einen Leserbrief von Markus Rauh veröffentlicht. «Ich schäme mich, in einem reichen Land mit einer humanitären Tradition zu leben, in dem es möglich ist, Abgewiesene, die nicht ausreisen können, als Untermenschen zu behandeln, ihnen keine Hilfe zu geben, sie quasi obrigkeitlich verhungern, verdursten und erfrieren zu lassen», hiess es darin. Und im Februar stellte der 67-Jährige in einem Interview im «Tages-Anzeiger» fest, dass er über das Ja des Parlamentes zu den beiden Gesetzen «total schockiert» sei und dagegen antreten werde.

Die medienwirksame Initiative des im sankt-gallischen Mörschwil lebenden Managers liegt den Asyl-Hardlinern wie ein Stein im Magen. Christoph Mörgeli verhöhnte ihn in seiner «Weltwoche»-Kolumne als «Sozialkämpfer», der nur von seinen Fehlleistungen bei der Swisscom ablenken wolle. Erst recht sauer aufgestossen ist der SVP, dass Markus Rauh anstelle von Bundesrat Moritz Leuenberger die 1.-August-Rede auf dem Rütli halten soll.

Doch wer gehört eigentlich zur angepeilten «staatstragenden Mitte, zu den Liberalen und Wohlhabenden dieses Landes»? Die Spurensuche beginnt in der Ostschweiz. Dort ist Rauh im Wirtschaftsfilz stark verankert: Der Philanthrop sitzt im Verwaltungsrat der St. Galler Kantonalbank und ist bei Stephan Schmidheinys Anova Nachfolger von Bundesrat Hans-Rudolf Merz. Rauh ist auch Ehrensenator der Universität St. Gallen und sass lange Jahre in der Unternehmensleitung der Heerbrugger Leica Geosystems. Aus der Ostschweiz kommt auch starker Widerstand gegen das Asylgesetz. Von allen Landesteilen wurden dort am meisten Unterschriften für das Referendum gesammelt.

Doch Rauh wird die kalte Schulter gezeigt. In der FDP dominiert die Linie der St. Galler Polizeidirektorin Karin Keller-Sutter, die mit ihrer Berner Amts- und Parteikollegin Dora Andres als treibende Kraft hinter den Verschärfungen gilt. Marianne Kleiner, Ausserrhoder Nationalrätin und Vizepräsidentin der FDP Schweiz, ist sich sicher, dass die Partei hinter den revidierten Gesetzen stehe. «Ich bin sehr enttäuscht von Markus Rauh», sagt sie. Schon sein Auftreten gegen den Bundesratsentscheid zur Privatisierung der Swisscom sei in der Partei «als ungebührlich» empfunden worden. Sie habe das Gefühl, Rauh sei nicht richtig über die Vorlage informiert. Sein Engagement wirke «befremdend».

Andreas Nufer, Pfarrer in St. Gallen und Mitbegründer des Ostschweizer Solidaritätsnetzes, ist dagegen überzeugt, dass es gerade in der FDP einiges Potenzial für AbweichlerInnen gibt, «bei den wirklichen Liberalen, aber auch bei wirtschaftsnahen Vertretern». Nufer erlebt es in Gesprächen immer wieder: «Das Argument, dass hier eine Grenze überschritten wird, leuchtet vielen ein.» Es gebe zudem Parteiexponenten, «die zwar sagen, wie gut sie es finden, was wir machen, aber nicht offen dafür einstehen wollen, weil die FDP sonst Stimmen verlieren würde».

In der Partei werde kaum über das Thema diskutiert, wundert sich ein FDP-Mitglied. So seien weder Befürworter noch Gegnerinnen zu hören, «wie wenn das Ganze unter dem Deckel gehalten wird». Prominente Gegenstimmen sind in der Deutschschweiz bisher kaum zu finden. Viele Exponenten dürften sich bedeckt halten. Jürg Schertenleib, Sprecher der Schweizer Flüchtlingshilfe, rechnet damit, dass sich vor allem nicht mehr aktive Politikerinnen und Politiker melden. «Sie stehen nicht unter Fraktionsdruck.» Markus Rauh kehrt erst nach Redaktionsschluss aus den Ferien zurück und konnte nicht befragt werden.

Abweichler von der FDP-Parteilinie gibt es in anderen Landesgegenden: «Ich habe zu den Ersten gehört, die das Referendum unterschrieben haben», erklärt der Tessiner Ständerat Dick Marty. Für ihn ist klar, «dass der Respekt vor den Grundrechten wichtiger ist als die Erwägungen der Partei». Auch der frühere Bundeskanzler François Couchepin wird sich gegen das Gesetz engagieren. Martine Brunschwig Graf und John Dupraz aus Genf, die Waadtländer Claude Ruey oder Yves Guisan – alle aus der FDP-Nationalratsfraktion – lehnen die Verschärfungen ebenfalls ab.

Wie sieht es bei der CVP aus, die von der Bischofskonferenz harsche Kritik einstecken musste? Parteipräsidentin Doris Leuthard vertritt die harte Linie innerhalb der Partei. Doch die CVP ist alles andere als geschlossen. Das dürfte sich am Samstag dieser Woche zeigen, wenn die Parole beschlossen wird. Schon früh hat die Zürcher Nationalrätin Rosmarie Zapfl bekannt gegeben, dass sie wegen ihrer christlichen Überzeugung gegen die Vorlage antreten wird. Weitere Gegner sind der jurassische CVP-Nationalrat Pierre Kohler und sein Genfer Kollege Luc Barthassat.

Widerstand gegen die Parteilinie gibt es allerdings auch in der Ostschweiz. Der St. Galler Ständerat Eugen David hat sich immer wieder klar gegen das Gesetz ausgesprochen. Er und Dick Marty seien für die beiden bürgerlichen Nein-Stimmen im Ständerat verantwortlich gewesen, bestätigt David. «Ich finde gut, was Markus Rauh macht, schade ist nur, dass er nicht schon aufgetreten ist, als das Gesetz beraten wurde.» Doch der zum christlich-sozialen Parteiflügel zählende David wird nicht aktiv gegen das Gesetz antreten. «Eine gespaltene CVP nützt nur der SVP», ist er überzeugt. «Man muss auch klar sehen, dass ich zu einer kleinen Minderheit innerhalb der Partei zähle.»

Zu dieser vielleicht doch nicht so kleinen Gruppe gehört die St. Galler CVP-Nationalrätin Lucrezia Meier-Schatz. «Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass mir die Verschärfungen zu weit gehen», stellt sie klar. «Wir sind bei diesem Thema seit Jahren auf einem gefährlichen Weg.» Sie habe gegen die einzelnen Gesetzesartikel gestimmt, sich aber – wie Rosmarie Zapfl – bei der Schlussabstimmung der Stimme enthalten. Aus Gründen der Parteiräson: Sie sei Mitglied des Präsidiums, erklärt Lucrezia Meier-Schatz.

Diese Aussagen zeigen: Mit seiner Initiative könnte Rauh einige Steine ins Rollen bringen. In der CVP, aber möglicherweise auch in der FDP, gibt es nicht wenige Stimmen, die das verschärfte Asylgesetz aus Überzeugung ablehnen, die sich wegen der Parteipolitik aber noch zurückhalten. Falls es Rauh gelingt, sein bürgerliches Komitee mit einigen prominenten Namen zu besetzen, könnte dies Signalwirkung haben. Dann würde es im Abstimmungskampf neben dem von Ruth Dreifuss angeführten linken Komitee eine bürgerliche Initiative geben, die für Wirbel sorgen könnte.

Der Widerstand könnte grösser sein als bisher angenommen. Die Gesetze seien im Parlament ohne die üblichen Kompromisse durchgepaukt worden. In den bürgerlichen Parteien müsse es deshalb einige geben, denen es nun «unwohl» ist, glaubt Jürg Schertenleib von der Flüchtlingshilfe. Andreas Nufer hat die BefürworterInnen des Gesetzes bisher eher als «schwach argumentierend» erlebt: «Es gibt dort nur wenige, die aus tiefster Seele für die Verschärfungen argumentieren», so Nufer. Das dürfte auf der anderen Seite anders sein.


Wir können gewinnen

Das Unterschriftensammeln in der Kälte hat sich gelohnt: Am 6. April wurde das Doppelreferendum gegen Asylgesetz und Ausländergesetz eingereicht. Die Abstimmung findet bereits am 24. September statt. Zum ersten Mal hat die Linke reale Chancen, die x-te Verschärfung der Schweizer Asyl- und Ausländerpolitik aufzuhalten. Denn auch viele Bürgerliche sind inzwischen der Meinung, das Departement Blocher sei zu weit gegangen. Mit den neuen Gesetzen hätten nur noch Menschen mit Pass oder ID überhaupt die Möglichkeit, ein Asylgesuch zu stellen. Nach Ablehnung eines Gesuchs würde allen, auch Kindern und alten Leuten, jedwede Hilfe entzogen.

Wer die Schweiz nicht verlassen kann oder will, soll bis zwei Jahre ins Gefängnis. Behörden dürften bei binationalen Ehepaaren herumschnüffeln, ob ihre Ehe tatsächlich auf einer Liebesheirat gründet. Das sind nur einige Beispiele aus den Gesetzen, die alle AusländerInnen zu Verdächtigen machen würden.