Innere Sicherheit: Terror im Konjunktiv

Nr. 23 –

Weil der Staatsschutz nichts beweisen muss, kann er in seinem Bericht zur inneren Sicherheit behaupten, was er will. Und ebnet damit den Weg für die Verschärfung des Staatsschutzgesetzes.

Nichts ist passiert, aber alles ist möglich. Das ist zusammengefasst das Ergebnis des neusten «Berichts innere Sicherheit Schweiz», den das Bundesamt für Polizei (BAP) am Mittwoch vergangener Woche vorgelegt hat. «Die Schweiz war 2005 wiederum kein Ziel des islamistischen Terrorismus», heisst es da auf Seite 10. Weil diese Tatsache beruhigen könnte, muss das BAP sie gleich im nächsten Satz relativieren: «Dschihadistische Terroristen» könnten sich auch in der Schweiz aufhalten. Terroristische Anschläge lägen in der Schweiz «zunehmend im Bereich des Möglichen». Belege dafür haben die Staatsschützer keine. «Konkrete Vorbereitungshandlungen konnten bis heute zwar nicht endgültig nachgewiesen werden», muss BAP-Direktor Jean-Luc Vez anerkennen. Das könne sich aber «rasch und jederzeit ändern».

Eventuell missbrauchte Schweiz

Mit dieser «nüchternen Analyse» macht das Amt Stimmung für die nächste Verschärfung des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS), des - der Öffentlichkeit gern als «Hooligangesetz» verkauftes - Staatsschutzgesetzes, für die der Bundesrat noch in diesem Jahr eine Botschaft vorlegen will. Der Zeitplan ist sehr knapp bemessen, denn bisher existiert dafür nur ein Vor-Vorentwurf, den Polizeiminister Christoph Blocher im Februar dieses Jahres noch vor der sonst üblichen Ämterkonsultation und ohne das Plazet des Gesamtbundesrats auf der Website des BAP (www.fedpol.ch) veröffentlichen liess. Kern dieses Entwurfs: Der Staatsschutz soll zur «Terrorismusbekämpfung» präventiv Telefone und E-Mails anzapfen, V-Leute einsetzen, «verdeckten Ermittlern» Tarnidentitäten verleihen und Wohnungen verwanzen dürfen. Bisher sind solche Massnahmen nur im Rahmen eines Strafverfahrens und auf der Grundlage einer richterlichen Genehmigung möglich. Dem Staatsschutz sollen diese Befugnisse nun auch dann zur Verfügung stehen, wenn es nicht einmal den Verdacht einer Straftat gibt. Diese endgültige Rückkehr in die Zeit vor dem Fichenskandal wird nicht einfach durchzusetzen sein. Der erste Entwurf einer Arbeitsgruppe unter der Leitung von Urs von Däniken, dem Leiter der Staatsschutzzentrale des BAP, war im August 2005 als «Indiskretion» vorzeitig an die Öffentlichkeit gelangt und danach schnell zurückgezogen worden.

Pläne für die Verschärfung hegen die Staatsschützer schon seit dem 11. September 2001. Allerdings mochte die Bedrohungslage nicht so recht zu diesen grossen rechtlichen Geschützen passen. Noch im letztjährigen Sicherheitsbericht musste BAP-Direktor Vez «klar festhalten: Es gibt weiterhin keinen Hinweis darauf, dass die Schweiz für Terrorgruppen ein Hauptangriffsziel darstellt.» Möglich waren allenfalls Spekulationen darüber, «dass unser Land zur logistischen Unterstützung des islamistischen Terrorismus missbraucht worden sein könnte» - und auch die haben die «Sicherheitsorgane» bisher nicht bewiesen. Die von der Bundesanwaltschaft angestrengten Ermittlungsverfahren brachten bisher kaum etwas zutage: Das Verfahren gegen die Tessiner Finanzfirma Nada/Al Taqwa, das im November 2001 mit einer spektakulären Durchsuchungsaktion begonnen hatte, musste die Bundesanwaltschaft im Juni 2005 endgültig einstellen, nachdem die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts festgestellt hatte, dass die Verdachtsmomente gegen die Repräsentanten der Firma nichts taugten.

200 Dollar für al-Kaida

Anfang März 2006 präsentierte der Eidgenössische Untersuchungsrichter den Abschlussbericht eines weiteren Verfahrens gegen zehn Personen aus dem Jemen, dem Irak und Somalia, die die Bundesanwaltschaft zur Jahreswende 2003/2004 hatte festnehmen lassen. In seinem letzten Sicherheitsbericht hatte das BAP den Verdacht der «logistischen Unterstützung von Al Qaida» ordentlich aufgeblasen. Der Untersuchungsrichter stellt nun fest, dass acht der zehn Betroffenen, die zum Teil über ein Jahr in Untersuchungshaft sassen, überhaupt keine Verbindung zum Terrorismus hatten. Ihnen können allenfalls ausländerrechtliche Verstösse nachgewiesen werden: illegale Einschleusung und Herstellung falscher Papiere. Die beiden anderen hatten telefonische Kontakte zu einem Al-Kaida-Mann im Jemen. Im neuen Sicherheitsbericht ist nun die Rede davon, dass «die Gruppe beachtliche Geldsummen, die teils aus ihren eigenen illegalen Aktivitäten stammten, mit unbekanntem Verwendungszweck in den Nahen Osten» überwiesen habe. Die Feststellungen des Untersuchungsrichters sind da bescheidener: Einem der Beschuldigten konnte er nachweisen, den überwältigenden Betrag von zweihundert US-Dollar an besagten Al-Kaida-Mann transferiert zu haben.

Bleibt der Fall Mohammed Achraf, der im Herbst 2004 grosse mediale Wellen geschlagen hatte. Der abgewiesene Asylbewerber sass seit Ende August 2004 auf dem Flughafen Kloten in Ausschaffungshaft. Für die Schweizer Medien begann der Fall am 20. Oktober mit der Meldung, die spanische Polizei habe eine «Terrorzelle ausgehoben» («Tages-Anzeiger»), deren «Gehirn» («Le Temps») - nämlich besagter Achraf - in der Schweiz inhaftiert sei. Die Gruppe habe einen Anschlag auf die Audiencia Nacional, das zentrale spanische Strafgericht, geplant. Im Sicherheitsbericht des letzten Jahres präsentierte das BAP den Fall als Beispiel einer gelungenen Zusammenarbeit «aller schweizerischen Behörden» mit den spanischen Partnerdiensten. «In die Schweiz reiste er möglicherweise, um einen palästinensischen Informatikspezialisten aus Deutschland zu treffen und finanzielle Mittel für den geplanten Anschlag aufzutreiben, den er zusammen mit anderen als Selbstmordattentäter auszuführen beabsichtigte. Ein Kauf von 500 Kilogramm Sprengstoff sei jedoch nicht zustande gekommen.» In seinem neuen Bericht muss das BAP einräumen, dass das Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft gegen den mittlerweile als Abderrahmane Tahiri identifizierten Mann nichts gebracht hat:

«Die spanischen Verdachtsmomente bezüglich seiner Aktivitäten in der Schweiz konnten ihm hier nicht nachgewiesen werden. Insbesondere gibt es keinen Hinweis, dass er in die Schweiz gereist sei, um Mittel zum Erwerb grosser Mengen Sprengstoff zu generieren. Nur einige geringfügige Diebstahlsdelikte gehen auf ihn zurück. Am 22. April 2005 wurde Tahiri an Spanien ausgeliefert.»

Auch der neuste Terroralarm lebt davon, dass die Staatsschützer ihn nicht in einem ordentlichen strafrechtlichen Verfahren nachweisen müssen. Blosse Spekulationen taugen jedoch nicht für die Gesetzgebung. Und unausgegorene Vermutungen dürfen nicht die Grundlage für tiefgehende Eingriffe in die Grundrechte sein.


Der «Bericht innere Sicherheit Schweiz» auf dem Web: www.bap.admin.ch/d/aktuell/index.htm (auf «Berichte» klicken)