Staatsschutz: Präventiver Einbruch
Die erste Variante des Gesetzesentwurfs zur «Stärkung der inneren Sicherheit» ist vom Tisch. Doch die Fortsetzung folgt bestimmt.
Der Staatsschutz möchte Telefone überwachen und Wanzen setzen, haupt- und ehrenamtliche Spitzel unter Legenden und Tarnidentitäten einsetzen, DenunziantInnen einen (steuerfreien) Judaslohn auszahlen, Organisationen verbieten und Personen bestimmte «Tätigkeiten» untersagen, Leute unter Zwang vorführen, in Wohnungen einbrechen, sie ohne Kenntnis der Betroffenen durchsuchen und Gegenstände daraus entwenden ...
All das möchte er ohne konkreten Verdacht, ausserhalb von Strafverfahren und ohne richterliche Genehmigung tun, allenfalls abgenickt durch ein Dreiergremium abgehalfterter ExrichterInnen. So steht es im Vorentwurf eines «Bundesgesetzes zur Stärkung der inneren Sicherheit», den die «Weltwoche» letzten Donnerstag ans Licht zerrte.
Vergebens waren Medienschaffende zuvor diesem Produkt einer Arbeitsgruppe aus diversen Bundesämtern und Kantonen hinterhergerannt. Kritiker, wie der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte Hanspeter Thür und der Zuger Sicherheitsdirektor Hanspeter Uster, waren zum Schweigen verdammt. Und beim Dienst für Analyse und Prävention (DAP), der eidgenössischen Staatsschutzzentrale im Bundesamt für Polizei, erging man sich in Allgemeinplätzen.
Bundesrat Christoph Blocher hat den Entwurf des Staatsschutzes nun zurückgezogen, weil er «den Fichenstaat nicht will». PolitikerInnen selbst der bürgerlichen Parteien zeigten sich «erschreckt» und distanzierten sich vom angeblich allein Schuldigen: dem Präsidenten der Arbeitsgruppe und Chef des DAP, Urs von Däniken.
Ist-Zustand schlimm genug
Jahrelang konnte sich der jetzt allein gelassene von Däniken auf den Beistand seiner bürgerlichen KomplizInnen in Bundesrat und Parlament verlassen. Sie bescherten ihm und seinem Dienst mit dem Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) erstmals eine gesetzliche Grundlage.
Das 1998 in Kraft getretene BWIS schaffte das nach dem Fichenskandal errungene Einsichtsrecht der BürgerInnen in ihre Daten wieder ab und gab dafür der Schnüffelpolizei weitreichende Befugnisse: Die StaatsschützerInnen können seitdem ganz legal die Wahrnehmung politischer Rechte unter dem Vorwand überwachen, deren «Missbrauch» durch ExtremistInnen oder TerroristInnen zu bekämpfen. Sie verfügen über eine eigene Datenbank, in der Anfang 2004 bereits 60 000 Personen erfasst waren. Und sie haben Zugang zu allen möglichen Datenbanken anderer Behörden, die ihnen auskunftspflichtig sind. Jährlich überprüft der DAP rund 2000 Asylsuchende und rund 20 000 Einbürgerungswillige, verhängt vor dem Davoser Wef hunderte von Einreisesperren, lässt sich die Personalien der bei Demonstrationen gefilzten Leute übermitteln und gibt selbst Daten ins Ausland weiter.
Die schläfrige parlamentarische Kontrolle durch die Geschäftsprüfungsdelegation, die selbst wiederum an die Geheimhaltung gebunden ist, konnte und sollte diesem Dienst, der mittlerweile auf rund 200 Angestellte gewachsen ist, nichts anhaben.
Viele scharfe Hunde
Die Unterstützung aus Bundesrat und bürgerlichen Parteien riss auch nicht ab, als es nach den Anschlägen vom 11. September 2001 darum ging, die einzige «Lücke» im Gesetz zu schliessen und den DAP auch zu Zwangsmassnahmen - zu Durchsuchungen, Telefonüberwachungen und Ähnlichem - zu ermächtigen. Schon in der Herbstsession 2001 balgten sich vor allem CVP- und FDP-ParlamentarierInnen um die Rolle des schärfsten Hundes: an vorderster Stelle der damalige FDP-Ständerat und heutige Bundesrat Hans-Rudolf Merz, der die «Vorverlagerung der Beschaffungsschwelle», den «Ausbau der Post- und Fernmeldeüberwachung», das «Eindringen in fremde EDV-Systeme usw.» und den «Einsatz verdeckter Ermittler» forderte.
Das Echo folgte im Juni 2002 in Form einer vom DAP erstellten und vom Bundesrat abgesegneten «Lage- und Gefährdungsanalyse Schweiz nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001», die erneut beklagte, dass «Zwangsmassnahmen wie auch das Beobachten von Vorgängen in privaten Räumen» nur im Rahmen von Strafverfahren möglich seien. Der Bundesrat setzte eine Arbeitsgruppe ein, um das bereits feststehende Gesetzgebungs- und Ausbauprogramm auszuarbeiten.
Auch nach dem Amtsantritt Blochers ging das Pingpongspiel zwischen Parlament und Bundesrat weiter. Im Mai 2004 forderte FDP-Nationalrat Didier Burkhalter «präventive Massnahmen» zur Terrorismusbekämpfung. «Beispielsweise sollen die Nachrichtendienste ... Telefon- und Briefverkehr, namentlich E-Mail, vorbeugend überwachen können.»
Im Februar 2005 brachte die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerats einstimmig ein Postulat zur «effizienteren Bekämpfung von Terrorismus und organisiertem Verbrechen» ein, in dem sie nicht nur die «präventive Überwachung», sondern auch «präventive Interventionen» forderte. Der Bundesrat nahm beide Vorstösse wohlwollend entgegen und liess von Dänikens Arbeitsgruppe machen.
Der Entwurf, der den Staatsschutz zu Lug und Trug, zu Einbruch und Diebstahl ermächtigen sollte, ist also kein Alleingang des obersten Schlapphuts. Er ist das Produkt einer Koalition der Mächtigen, denen Demokratie und Grundrechte schnuppe sind. Die gespielte Entrüstung der Bürgerlichen wird schnell nachlassen. Der nächste Vorstoss in dieselbe Richtung kommt bestimmt. Nur eine wachsame Öffentlichkeit kann ihn verhindern.