Hooligangesetz: Eine neue Sicherheit?
Letzte Woche endete die Vernehmlassung zum Entwurf des Bundesgesetzes über Massnahmen gegen Gewalt an Sportveranstaltungen. Die WOZ schickte eine Stellungnahme nach Bern.
Sehr geehrter Herr Bundesrat Blocher, sehr geehrte Damen und Herren vom Dienst für Analyse und Prävention
Schon im Jahre 2003 hat sich die WOZ an der Vernehmlassung zum Entwurf des Bundesgesetzes über Massnahmen gegen Rassismus, Hooliganismus und Gewaltpropaganda beteiligt, den noch Ihre Amtsvorgängerin, Frau Ruth Metzler, ausgearbeitet hat (siehe www.woz.ch/archiv/old/03/22/5913.html). Kernpunkt dieses Gesetzes sollte eine so genannte Hooligandatenbank sein, anzusiedeln beim Dienst für Analyse und Prävention (DAP), bei der eidgenössischen Staatsschutzzentrale also. Im März dieses Jahres nun haben Sie diesen Entwurf um weitere «präventive Massnahmen» ergänzt. Also doppeln auch wir nach.
Wir tun das aus zwei Motiven:
• Erstens sind wir gebrannte Kinder: Nachdem die WOZ selbst und viele ihrer MitarbeiterInnen vom Staatsschutz fichiert wurden, ist eine Erweiterung staatsschützerischer Befugnisse mit uns nicht zu machen. Wir waren und sind für die Abschaffung der Schnüffelpolizei.
• Zweitens sind wir unerschütterliche LiebhaberInnen demokratischer Freiheitsrechte. Zwangsmassnahmen, die sich ausschliesslich auf polizeiliche Erwägungen stützen, lehnen wir ab. Die Unschuldsvermutung ist uns heilig. Wir verteidigen auch die Bewegungs- und die Versammlungsfreiheit von Fussball- oder Eishockeyfans - und das nicht nur, weil wir selbst als nächste dran sein könnten.
Der Zusatzentwurf
Im Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der Inneren Sicherheit (BWIS) wollen Sie als neue staatsschützerische Aufgabe die «Verhinderung von Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen» festschreiben. Um diese Aufgabe zu erfüllen, soll es nicht nur die schon in Frau Metzlers Entwurf vorgesehene «Hooligandatenbank», sondern zusätzlich «individualpräventive Massnahmen» geben:
• Rayonverbote, die «polizeibekannte Gewalttäter» aus dem Umkreis der Stadien fernhalten sollen.
• Ausreiseverbote, die diesem Personenkreis die Reise an Spiele im Ausland verunmöglichen.
• Meldeauflagen, das heisst, die betroffene Person hätte sich zum Zeitpunkt des Spiels bei der lokalen Polizeidienststelle einzufinden, und schliesslich
• der präventive Polizeigewahrsam bis zu 24 Stunden.
Dieses polizeiliche Repertoire stammt aus Deutschland, wo 4000 Personen in der Datenbank «Gewalttäter Sport» gespeichert sind. Anlässlich der Fussball-EM 2004 in Portugal belegte die deutsche Polizei 175 Personen mit Meldeauflagen und 152 mit Ausreisesperren. Über 2000 Personen bekamen vor der EM Besuch von der Polizei, die ihnen drohte, nur ja nicht nach Portugal zu fahren. Nach demselben Muster behandelt die deutsche Polizei auch Personen, die an Demonstrationen teilnehmen wollen. Die Präventivhaft heisst in Deutschland übrigens «Unterbindungsgewahrsam». Ihre Orientierung am deutschen Vorbild lässt uns befürchten, dass Sie das neue Massnahmenbündel demnächst auch in der Schweiz auf Demonstrierende ausdehnen. Teilweise ist dies ja ohnehin schon der Fall.
Der Ruf der Schweiz?
Dass Sie Ihre neuen Massnahmen im BWIS, also im Staatsschutzgesetz, verankern wollen, haben Sie sich schlau ausgedacht. Es ist das einzige Bundesgesetz, das präventiv-polizeiliche Massnahmen vorsieht. Der Staatsschutz würde also nicht mehr nur überwachen und fichieren, er dürfte sich dann auch an Zwangsmassnahmen beteiligen. Die Verrechtlichung auf Bundesebene hätte zugleich den Effekt, dass auch Kantone, in denen diese Methoden nicht durchsetzbar wären, stramm stehen müssen. Dass Sie damit die kantonale Polizeihoheit untergraben, von der auch die neue Bundesverfassung nur Ausnahmen zulässt, ist Ihnen bewusst. Um die neue Ausnahme und damit die Zuständigkeit des Bundes zu rechtfertigen, greifen Sie zu Behauptungen und abenteuerlichen Begründungen, nämlich:
• Erstens, dass die Gewalt bei Sportveranstaltungen zugenommen habe. Gewalt beim Sport gibt es zweifellos, aber eine Zunahme lässt sich nicht nachweisen. Die Hooliganszene im eigentlichen Sinne ist in der Schweiz sehr klein und auch in den Nachbarstaaten am Schrumpfen.
• Zweitens, dass Bundesinteressen berührt seien, weil «der Ruf der Schweiz als sicheres Land durch die regelmässig auftretenden, von der Presse gut dokumentierten Gewaltexzesse infrage gestellt wird». Mit dieser Begründung liesse sich eine gesetzgeberische Zuständigkeit des Bundes für alles Mögliche fordern - etwa für die häusliche Gewalt, für Gewalt im Strassenverkehr und selbstverständlich für Demonstrationen.
Unschuldsvermutung - gibts das?
Viel mehr als Ihre fehlende Zuständigkeit stört uns aber der präventivpolizeiliche Charakter Ihrer Vorschläge. Voraussetzung für die vorgesehenen Zwangsmassnahmen ist nicht eine gerichtliche Verurteilung, sondern eine blosse administrative Entscheidung der Polizei. In Art. 24 b des Entwurfs heisst es zwar, dass sich Rayonverbote gegen Personen richten sollen, die «nachweislich an Gewaltakten beteiligt» waren. Wie man sich das vorzustellen hat, steht in der Erläuterung: «Der Nachweis ... erfolgt in der Praxis durch Aussagen der Polizeibeamten, der Fanbeauftragten der Sportvereine oder des Sicherheitspersonals der Stadien sowie durch Film- und Fotoaufnahmen.» Das ist gleich doppelt inakzeptabel:
• Erstens, weil Sie die ohnehin schon bestehende Verquickung der privaten Vereine und ihrer Sicherheitsdienste einerseits und der Polizei andererseits auf die Spitze treiben. Die Klubs können nun ihre Stadionverbote, die sie allein aufgrund ihres Hausrechts erlassen, zu polizeilichen Massnahmen umdefinieren und bis weit vor das Stadion verlängern. Es reicht, dass ein Ordnungsdienstler einen Verdacht hegt. Schon heute liegen die Listen der privatrechtlichen Stadionverbote nicht nur der lokalen Polizei vor, sondern auch der Zentralstelle Hooliganismus, die der Sicherheitsdienst der Zürcher Stadtpolizei für die Konferenz der Polizeikommandanten führt.
• Zweitens, weil Sie es der Polizei möglichst bequem machen wollen. Sie müsste sich in Zukunft nicht mehr mit Gerichten und vor allem nicht mehr mit den VerteidigerInnen der Beschuldigten herumschlagen. Der polizeiliche «Nachweis» soll den Beweis vor Gericht ersetzen. Ihre Begründung hierfür lesen wir in den Erläuterungen: «Nur selten können einzelne Täter identifiziert, festgenommen und der Strafverfolgung zugeführt werden.» Anders ausgedrückt: Die Beweise reichen meist nicht für eine Verurteilung. Wer aber nicht verurteilt ist, gilt in einem Rechtsstaat als unschuldig und darf nicht nachträglich doch noch bestraft werden.
Der Taschenspielertrick mit den angeblich genauen Nachweisen zieht sich durch den gesamten Entwurf. Formulierungen wie «konkrete und aktuelle Hinweise» oder «konkrete und aktuelle Tatsachen» können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es stets die Polizei ist, die zusammen mit ihren privaten Hilfstruppen über Ausreiseverbote, Meldeauflagen oder gar über die Inhaftierung einer Person entscheidet. Die Betroffenen können sich zwar beschweren, aber die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. Und vor allem: Der Beschwerdeweg ist mühselig. Die Massnahmen der Polizei überprüft zunächst deren politische Führung, das heisst die Polizeidirektion des jeweiligen Kantons, dann der Regierungsrat als gesamtes Gremium. Angesichts der Verbandelung von Polizei und Politik können die Betroffenen in den beiden ersten Instanzen kaum mit Erfolg rechnen. Erst danach ist der Gang zum Verwaltungsgericht möglich.
Wiederholt sich Altstetten?
Wenigstens, so könnte man meinen, geht es hier nur um «individualpräventive» Massnahmen. Massenfestnahmen wie im Dezember letzten Jahres, als die Zürcher Polizei gleich einen ganzen Zug mit 427 Basler Fans in Altstetten einkesselte und in Polizeigewahrsam nahm, regelt dieser Entwurf nicht. Er bedroht «nur» einzelne Personen, so scheint es. Die Realität wird jedoch eine andere sein. Wer Rayonverbote im weiteren Umkreis von Stadien durchsetzen will, muss schon auf den Anfahrtswegen zum Stadion kontrollieren. Aktionen wie in Altstetten sind damit programmiert. Damit wird auch der Kreis der potenziell von Ihrem Entwurf betroffenen Personen zunehmen: 400 Personen sind heute mit Stadionverbot belegt, weitere zirka 600 - so schätzt der Dienst für Analyse und Prävention DAP - würden sich «gelegentlich» an Ausschreitungen beteiligen. Allein von den in Altstetten Festgenommenen gehörten 346 zur «erlebnis- und gewaltbereiten» Szene, behauptet die Stadtpolizei Zürich. Mehr Kontrollen würden mehr Rayonverbote bewirken, und Rayonverbote machen weitere Kontrollen nötig.
Sehr geehrter Herr Bundesrat Blocher, statt des Teufelskreises der Prävention durch vorbeugende Repression empfehlen wir, es doch mal mit wirklicher Sozialarbeit zu probieren. Fanprojekte und ein vernünftiges Begleitprogramm bei der EM 2008 kosten. Dieses Geld wäre aber erheblich besser investiert als die Millionen für eine vorgetäuschte Sicherheit.
Mit freundlichen Grüssen,
im Namen der WOZ,
Heiner Busch