Türkei: Öl, Gas, Geld, Macht

Nr. 28 –

Die Eröffnung der Pipeline Baku-Ceyhan ändert die strategische Lage grundlegend.

Zwei Tage lang soll gefeiert werden. Die Welt zu Gast - nein, nicht in Ankara, sondern in einem eher unbekannten Ort an der Südostküste des Mittelmeeres mit dem Namen Ceyhan. Gegen fünfzig PräsidentInnen und RegierungschefInnen und noch einmal fünfzig Energieminis-terInnen sind eingeladen. Eigentlich wird nur eine Ölpipeline eingeweiht. Aber was heisst hier «nur», wenn ein Fass Rohöl über siebzig US-Dollar kostet. Zum Baubeginn der Pipeline vor gut dreissig Monaten waren es gerade mal fünfzehn.

Für die Türkei ist die Inbetriebnahme der Pipeline der Ritterschlag zur Regionalmacht. Das Land ist auf der internationalen Bühne der Energieversorgung vom Statisten zum Mitspieler aufgestiegen. Es rückt vor vom abhängigen Öl- und Gaskonsumenten zum «Zwischenhändler» mit Gewicht.

Die 17 700 Kilometer lange Pipeline von Baku am Kaspischen Meer über Georgien an die Südküste der Türkei schafft einen Energiekorridor neuen Typs: Es ist das erste Trassee für Öl und Gas von Ost nach West, das nicht von den traditionellen Ölstaaten - den Mitgliedern der Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec) - abhängt. Die Pipeline schwächt den Einfluss der Opec-Staaten auf den Weltenergiemarkt. Doch damit nicht genug: Auch Russland, das sich zum mächtigen Globalplayer in Sachen Energie gemacht hat, wird durch die neue Pipeline bei der Ausbeutung der reichen Öl- und Gasvorkommen vor Baku im Kaspischen Meer ausgebootet und hat keinen Einfluss auf die Energielieferungen, die von dort in den Westen gehen. Und schliesslich ist auch Iran ein grosser Verlierer, denn Iran wurde bei diesem Projekt vollständig umgangen, obgleich eine Leitung über iranisches Territorium erheblich kürzer und billiger gewesen wäre.

Weniger Einfluss für die Opec, Iran und Russland - das sind Ziele der USA. Und tatsächlich stand Washington Pate bei der Planung dieser Pipeline. Der damalige US-Präsident Bill Clinton reiste 1999 denn auch nach Baku, als sich die Präsidenten der Türkei, Aserbaidschans und Georgiens auf den Bau der Pipeline verständigt hatten. Die USA bemühen sich seit längerem um eine Neuordnung der Region - bekanntlich auch mit grossem Kriegsgerät. Der neue Energiekorridor vom Kaukasus zum Mittelmeer ist dabei ein wichtiges Element.

Dreissig Monate lang gruben sich die Bautrupps eines Konsortiums von elf Firmen unter Führung von BP vom Kaspischen Meer durch die Berge im Osten der Türkei. Sie schweissten rund 150 000 Rohre aneinander bis zu einem Terminal an der türkischen Südküste am Mittelmeer. Bald sollen durch diese Leitung jeden Tag rund eine Million Fass Rohöl nach Ceyhan fliessen, das entspricht fast der gesamten Fördermenge von Libyen. Aserbaidschan wird durch den Ölexport reich - und unabhängig von Russland. Und das bettelarme Georgien kassiert für den Energietransfer. Die Türkei wird jährlich einige hundert Millionen Dollar verdienen, denn pro Fass, das durch die Berge im Osten fliesst, ist die Rede von 1,50 Dollar Leitungsgebühr. Mit der Pipeline kommen InvestorInnen für Raffinerien ins Land, weil es für viele KundInnen billiger ist, raffiniertes Öl zu kaufen und transportieren zu lassen als nicht raffiniertes - und vor allem: Wer auch immer im Westen künftig mit Lieferanten für seinen Energiebedarf verhandelt, wird auch mit der Türkei sprechen müssen.

Die Türkei will ihre strategische Position weiter verbessern. Grosse Ingenieurtrupps vermessen bereits im ganzen Land für weitere Projekte. Insgesamt drei grosse Pipelines sind projektiert: Öl und Gas aus Ägypten, Syrien und Jordanien, mehr Öl und Gas aus Russland sowie aus dem Kaukasus und dem Iran - und alle führen sie nach Westen.

Im türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan endet noch eine Pipeline: jene aus dem Irak. Aufgrund der günstigen Witterungsbedingungen können in Ceyhan Tankschiffe 365 Tage im Jahr problemlos beladen werden. Viele schwärmen schon von Ceyhan als dem «Rotterdam des östlichen Mittelmeers». Damit ist ein Nadelöhr für den Energietransport entlastet: der Bosporus. Denn Schiffe, die aus dem Schwarzen Meer durch den Bosporus ins Mittelmeer wollen, müssen im Winter oft wochenlang auf eine Durchfahrtsmöglichkeit warten. Am zweiten Weg nach Westen wird bereits seit einigen Jahren gebaut: Eine Pipeline soll vom Bosporus über Griechenland auf den Balkan und bis nach Österreich führen. An diesem Projekt würde sich auch die Europäische Union gerne beteiligen.

Für die EU ist die Türkei damit ein interessanterer und zugleich schwierigerer Partner geworden. Just vor dem Beginn des Festes in Ceyhan reiste der türkische Aussenminister Abdullah Gül nach Washington und beriet mit seiner Amtskollegin Condoleezza Rice über ein gemeinsames Grundsatzpapier mit der Überschrift «Aussenpolitische Visionen». Während man in der EU überlegt, ob die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei wegen Zypern auf Eis gelegt werden sollen, definiert Ankara entscheidende aussenpolitische Positionen mit Washington.