Trans Adriatic Pipeline: Die Pipeline der neun Bundesräte

Nr. 51 –

Die Gasleitung Trans Adriatic Pipeline verträgt sich weder mit den Klimazielen Europas, noch wird sie sich wirtschaftlich rechnen. Dennoch wollen grosse Energiekonzerne das milliardenschwere Projekt mit tatkräftiger Hilfe der EU und der Schweizer Regierung gegen alle Widerstände durchzwängen. Wieso nur?

«Eine Idee, geboren in der Schweiz.» Walter Steinmann wiederholte dies gleich mehrmals, als er am 17. Mai 2016 als damaliger Direktor des Bundesamts für Energie (BFE) zur Feier des Baubeginns der Trans Adriatic Pipeline (TAP) in Thessaloniki eine Rede hielt. Er sei stolz, dass es jetzt losgehe. Die Gaspipeline verbinde den Kontinent mit den Gasfeldern im Kaukasus und schaffe damit Chancen für wirtschaftliches Wachstum. Ja, die Realisierung der TAP sei gar ein Beitrag zur Reduktion von Treibhausgasemissionen, denn damit werde Erdgas «konkurrenzfähiger im Kampf mit Kohle».

Inzwischen sind rund sechzig Prozent der 870 Kilometer langen und 4,5 Milliarden Euro teuren Gaspipeline gebaut. Sie wird ab 2020 das aserbaidschanische Erdgas durch Griechenland und Albanien leiten und von dort unter der Adria durch nach Melendugno ins italienische Apulien führen (vgl. «Die rote Zone mitten in den Olivenhainen» ).

Unzeitgemässe Gasautobahn

Widerstand kommt nicht nur von lokalen AnwohnerInnen, sondern auch von den Umweltorganisationen. Wer in den langfristigen Abbau von fossilen Energieträgern wie Erdgas investiere, schreibt etwa 350.org, sabotiere das Klimaabkommen von Paris. Der ganze Pipelineverbund vom Kaspischen Meer bis Italien – der Southern Gas Corridor – wird rund 38 Milliarden Euro kosten, die wieder eingespielt sein wollen. Die Pipelines sind für eine Betriebszeit von fünfzig Jahren oder mehr ausgelegt. Die Gruppe Fossil Free kritisiert die «unzeitgemässe Gas-Autobahn» als Bedrohung der Energiestrategie 2050 des Bundes und der europäischen Energiewende. Patrick Hofstetter, Klima- und Energieexperte beim WWF, sagt: «Der Glaube, Gas sei eine Art Brückentechnologie zu einer klimafreundlichen Energiepolitik, ist längst veraltet.» Das sieht inzwischen selbst die Weltbank so: Sie hat am 12. Dezember angekündigt, aus Klimaschutzgründen keine neuen Gasförderprojekte mehr zu unterstützen.

Tatsächlich stammt die Idee zur TAP noch aus einer anderen Zeit: aus den nuller Jahren. Damals verpflichtete das Kyoto-Protokoll die Industriestaaten erst zu relativ geringen Emissionssenkungen. Erdgas wurde deshalb als lohnende Investition angesehen, um Kohle zu ersetzen. Ein künftig liberalisierter Gasmarkt versprach neue Gewinnaussichten für die Energiekonzerne. Diese Chance wollte damals auch die Elektrizitätsgesellschaft Laufenburg (EGL) nutzen, in deren Verwaltungsrat die spätere Bundesrätin Doris Leuthard sass. Die EGL, eine Tochtergesellschaft der Axpo, liess in Italien drei Gaskraftwerke bauen und suchte Wege, im Gashandel Profite zu erzielen. 2003 gab sie eine Projektstudie für ein Pipelineprojekt Richtung Kaukasus in Auftrag. 2007 gründete sie die TAP AG in Baar und spannte die Bundesbehörden ein.

Wallfahrende Bundesräte

Es gab in der Folge kaum einen Bundesrat, der nicht für das Projekt weibelte. Dabei ging es vor allem darum, die Regierung in Aserbaidschan auf die Seite der Axpo zu ziehen. Denn es galt, Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen. Noch im gleichen Jahr reiste deshalb Energieminister Moritz Leuenberger nach Baku und führte erste Gespräche. Ein Jahr später machte der damalige Bundespräsident Pascal Couchepin seine Aufwartung bei Staatspräsident Ilham Alijew und besuchte Öl- und Gasförderanlagen. Alijew hatte 2003 sein Amt von seinem Vater übernommen, der Aserbaidschan zehn Jahre lang regiert hatte. Er gilt als hochgradig korrupt und regiert sein Land autoritär. Wahlen werden gefälscht, Oppositionelle und kritische JournalistInnen verfolgt. Im Oktober 2009 lud der Bundesrat Alijew nach Bern ein, wo er mit Hans-Rudolf Merz, Eveline Widmer-Schlumpf, Micheline Calmy-Rey und Moritz Leuenberger konferierte. Im März 2011 reiste dann Calmy-Rey als Bundespräsidentin nach Baku, Bundesrätin Doris Leuthard tat es ihr nur wenige Monate später gleich. Im Januar 2013 wurde Alijew von Bundespräsident Ueli Maurer und Aussenminister Didier Burkhalter am Weltwirtschaftsforum in Davos empfangen, drei Monate später reiste Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann nach Baku. Am 26. Juni 2013 war es dann so weit: Die TAP erhielt im Kampf gegen zwei Konkurrenzprojekte den Zuschlag.

Das Engagement des Bundesrats für das TAP-Projekt ist beispiellos. Wieso dieser Einsatz? Botschafter Jean-Christophe Füeg, Leiter für Internationales beim Bundesamt für Energie, sagt: «Versorgungsengpässe waren nach den Gaskonflikten zwischen Russland und der Ukraine nicht auszuschliessen.» Es gehe eben immer auch um «Risikoanalysen und Notfallpläne». Zwar mache Erdgas nur dreizehn Prozent des Schweizer Energiemixes aus, doch gerade im Winter sei das nicht zu unterschätzen. Als weiteren Grund für das Engagement der Regierung führt Füeg an: «Die Schweizer Regierung unterstützt Schweizer Unternehmen. Das Projekt ist Ausdruck der Swissness, zumal es von der Schweizer EGL lanciert wurde.»

Inzwischen hält die Axpo nur noch fünf Prozent der TAP-Aktien. Allerdings heisst das nicht, dass sie finanziell weniger stark engagiert ist. Sie musste Millionen an neuem Kapital einschiessen, weil das Aktienkapital mehrmals aufgestockt wurde. Derzeit liegt es bei fast einer Milliarde Franken. Die Axpo hat sich darüber hinaus laut ihrem Mediensprecher Tobias Kistner «langfristig ein beträchtliches Volumen» des Erdgases aus Aserbaidschan «gesichert» und will dieses in ganz Europa «vermarkten». Der Konzern, der mehrheitlich Schweizer Kantonen gehört, beteiligt sich also mit tatkräftiger Unterstützung des Bundesrats an einer Hochrisikowette auf Erdgas und muss nun aus ureigenem Geschäftsinteresse hoffen, dass die Politik möglichst wenig einschneidende Massnahmen gegen die Verbrennung des fossilen Brennstoffs beschliesst – eine schizophrene Konstellation.

Die Axpo pokert hoch

Dabei könnte sich die Axpo massiv verspekuliert haben, denn immer mehr Gasanbieter versuchen, in den europäischen Markt einzudringen oder ihren Marktanteil zu erhöhen. So plant Russland mit Nord Stream 2, die Kapazität seiner Pipelines durch die Ostsee zu verdoppeln. Israel und Zypern wollen ihr Erdgas durch das Mittelmeer nach Italien und Griechenland leiten. Und in den europäischen Häfen werden immer mehr Terminals gebaut, die Tankschiffe mit Flüssiggas löschen können. Neben Grosslieferanten wie Katar sind derzeit die USA in grossem Tempo daran, neue Absatzmärkte für ihr Erdgas zu erschliessen.

Die EU träumt von einem grossen freien Gasmarkt, in dem die KonsumentInnen auf dem ganzen Kontinent die gleichen tiefen Preise zahlen. Doch die Kritik an dieser Politik steigt – und klimafreundliche Energiequellen wie Sonnen- und Windkraftwerke werden immer konkurrenzfähiger. Tatsächlich gibt es klare Anzeichen, dass Kohlekraftwerke nicht einfach durch Gaskraftwerke ersetzt werden. So haben die Gasturbinenhersteller Siemens und General Electric in den letzten Wochen wegen massiver Absatzprobleme Massenentlassungen angekündigt.

Dieser Trend droht nun auch die Finanzierung der TAP zu torpedieren. Schon zweimal hat die Europäische Investitionsbank einen Entscheid über einen Milliardenkredit an das Projekt verschoben, das letzte Mal am 12. Dezember. Weitere Abklärungen seien für einen Entscheid erforderlich, hiess es. War anfänglich von einem 2-Milliarden-Euro-Kredit die Rede, stehen inzwischen noch 1,5 Milliarden zur Diskussion. Eine Sprecherin der TAP sagt, man habe auch Kreditbegehren an die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) gestellt und hoffe auf Kreditgarantien diverser OECD-Länder. Zusätzlich werde auch ein «grosser Anteil» der Projektfinanzierung über kommerzielle Anbieter abgewickelt.

Geldwäsche und Korruption

Zu den grössten Anteilseignern der TAP AG gehört inzwischen neben dem britischen Energieunternehmen BP und der italienischen Snam der staatliche aserbaidschanische Energiekonzern Socar. Dieser hat 2012 von Exxon Mobil sämtliche Esso-Tankstellen in der Schweiz übernommen. Zuvor schon begann der Konzern, von Genf aus mit Rohöl zu handeln. Aserbaidschan nutzt die Schweiz als Brückenkopf, um in den Europäischen Markt vorzustossen.

Botschafter Füeg sagt, es gebe bei Energielieferstaaten oft Interessenkonflikte zwischen Wirtschaft und Menschenrechten, das sei ein «generelles Problem». Dass das TAP-Projekt von Aserbaidschan zur Geldwäsche und Korruption missbraucht wird, befürchtet Füeg nicht. «Da passen Firmen wie BP schon auf. Die sind da sehr sorgfältig. Schliesslich sind die Antikorruptionsbehörden in den USA und Britannien sehr streng.»

Anfang September hatte der britische «Guardian» zusammen mit einem internationalen Recherchenetzwerk aufgedeckt, dass die Regierung Aserbaidschans mithilfe mehrerer britischer Firmen rund drei Milliarden US-Dollar gewaschen und viele der Gelder zur Bestechung europäischer Entscheidungsträger und Journalistinnen verwendet hatte. Der Bulgare Kalin Mitrev hatte zwischen 2012 und 2014 rund 425 000 Euro aus Aserbaidschan erhalten, angeblich als Beratungshonorare. Er sitzt derzeit, wie schon während zweier früherer Amtsperioden, im Direktionsrat der EBRD, von der sich die TAP AG einen 500-Millionen-Kredit erhofft.

Auch Mitglieder des Europarats wurden bestochen, damit sie 2013 einen kritischen Bericht über Aserbaidschan ablehnten. Übrigens ging damals auch die Schweiz nicht vergessen: Nationalrätin Doris Fiala (FDP) hatte eine goldene Kette mit Perlen und Brillanten erhalten – die sie laut Medienberichten «umgehend» zurückgab.

Konkurrenz durch Biogas

Dass die Schweiz auf Erdgas aus Aserbaidschan angewiesen wäre, behauptet heute niemand mehr ernsthaft. Im liberalisierten Gasmarkt verfügt die Schweiz über zahlreiche Lieferoptionen. Ausserdem wird hierzulande zunehmend CO2-neutrales Biogas produziert, das dem importierten Gas Konkurrenz macht.

Der Anteil an Biogas in Gasheizungen – dem grössten Verbrauchssegment im Gasmarkt – soll gemäss dem Verband der Gaswirtschaft bis 2030 auf dreissig Prozent steigen. Eine grosse Quelle von Biogas sind organische Haushaltsabfälle. Diese müssen, wie heute schon etwa in der Stadt Zürich, separat entsorgt werden und können dann so weiterverarbeitet werden. Biogas verfügt über dieselben Eigenschaften wie fossiles Erdgas, nur ist es CO2-neutral. Das Engagement des Bundesrats dafür ist bislang allerdings noch bescheiden.

Nachtrag vom 15. Februar 2018 : Milliardenkredit für Pipeline aus Baar

Die in Baar ansässige TAP AG, die Aktiengesellschaft hinter dem umstrittenen Projekt Trans Adriatic Pipeline (TAP), erhält von der Europäischen Investitionsbank (EIB) einen Kredit von 1,5 Milliarden Euro. Es handelt sich um den grössten je vergebenen Kredit der EIB überhaupt. Damit scheint die Finanzierung der 4,5 Milliarden teuren Pipeline, die Erdgas von der griechisch-türkischen Grenze nach Süditalien führen soll, gesichert. Noch hängig ist ein Kreditgesuch im Umfang von 500 Millionen Euro bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. An dieser ist, anders als bei der EIB, auch die Schweiz beteiligt. Die TAP ist das westlichste Teilstück des Southern Gas Corridor, mit dem Erdgas aus Aserbaidschan nach Westeuropa geführt werden soll. Zu den grössten Anteilseignern der TAP AG gehören der britische Ölkonzern BP und der aserbaidschanische Staatskonzern Socar. Gegründet wurde die AG vom Schweizer Energiekonzern Axpo, der derzeit noch fünf Prozent an ihr hält.

Für die EU gilt das Projekt als «strategisch wichtig». Doch in Apulien, wo die Pipeline auf Land trifft, ist die TAP heftig umstritten. Viele BewohnerInnen befürchten negative Auswirkungen auf den Tourismus, lehnen das Vorhaben aber auch aus klimapolitischen Gründen ab. Die Protestaktionen gehen denn auch nach der Bekanntgabe des Kredits weiter. Auch von internationalen Umweltorganisationen wird der EIB-Entscheid heftig kritisiert, da damit die Klimaziele der EU unterlaufen würden. Die Behauptung, Erdgas sei eine Art «Brückentechnologie» in eine saubere Energiezukunft, sei längst widerlegt. Laut einer Studie der Organisation Banktrack könnte die Energiegewinnung aus dem aserbaidschanischen Erdgas sogar ähnlich klimaschädigend sein wie jene aus Kohle: Bei der Gasgewinnung und beim Transport durch den Southern Gas Corridor können grosse Mengen an Methan in die Umwelt gelangen. Der Treibhausgaseffekt von Methan ist 25-mal höher als jener von CO2.

Daniel Stern

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