Der Tantralehrer: Mann mit Liebesinsel

Nr. 31 –

Heinrich Manns Enkel Saranam will die Menschheit aus ihrer sinnlichen Kümmernis befreien - seit Jahren mit seinem Tantrainstitut und demnächst auch literarisch.

Beileibe, die Menschheit hats nicht leicht mit dem Geschlechtstrieb. Ohne ihn wär sie nicht, aber mit ihm ist sie auch nicht, was sie sein will. Ein uraltes Dilemma, spätestens seit der individual- wie der gattungsgeschichtlichen Pubertät und der in diese Zeit fallenden Drüsentätigkeit. Die Zivilisation verlangt die Unterdrückung der Sexualität, das Leben ihre Befreiung. Fluch oder Erlösung, daran scheiden sich die Geister. Das ist in den besten Familien so.

Vulgärphysiognomiker wollen den Manns bereits an der ausgeprägten Nase ansehen, dass das Sexuelle sie umtrieb. In lebenslangem Streit lagen die berühmten Schriftstellerbrüder Heinrich und Thomas Mann über die Handhabung der Geschlechtlichkeit. «Wie ich sie hasse», stöhnte der homosexuelle Thomas Mann und bekämpfte seine «Hunde im Souterrain» mit solch gnadenlosem Willen zur Sublimation, dass er den Dichterolymp erklomm. Während der Genussmensch Heinrich auch die seligen Untiefen der Sinnesfreuden nicht scheute, dunkle Etablissements frequentierte, der füllig-ordinären Weiblichkeit huldigte - und mit seiner Kunst stets im Schatten des jüngeren Bruders blieb.

Kinder gezeugt haben sie bekanntlich beide. Thomas, überpflichtig, sechs an der Zahl, Heinrich nur Tochter Leonie. Saranam Ludvik Mann ist Leonies Sohn. «Saranam» kommt aus dem Sanskrit und heisst «Zuflucht». Es ist ein Tantraname. Der Enkel von Heinrich Mann ist Tantralehrer und Sexualtherapeut.

«Diamond-Lotus-Institut» ist an der Tür zu lesen. Saranam Ludvik Mann steht barfüssig im engen Flur einer Erdgeschosswohnung in Berlin-Schöneberg. Eine türkise Flatterhose trägt er, dazu ein luftiges, leicht transparentes Hemd in angedeutetem Leopardenmuster. Er ist ein eher kleiner Mann, dessen Nase keinen Zweifel lässt an der Familienzugehörigkeit. Seine Körperhaltung wirkt etwas gebeugt, als trüge er schwer an den langen, schwarzen, reichlich geölten Locken. Ein südländischer Typ mit dunklen Augen und bronzefarbener Haut, dem seine fünfzig Jahre nicht sofort anzusehen sind. So ungefähr stellt man sich den vom Grossvater literarisch verewigten Henri Quatre vor, den guten, volkstümlichen König aus den Pyrenäen, der die Frauen liebte und Frankreich befriedete.

An den Wänden neben Saranam Ludvik Mann hängen im schummrigen Licht Abbildungen von alten buddhistischen Steinreliefs, darauf Männer und Frauen mit buddhistisch glücklichen Gesichtern in sexueller Interaktion. «Im Tantra geht es um die Verehrung des Geschlechtlichen», erklärt der Enkel von Heinrich Mann. «Verehre den Phallus wie einen Zauberstab, verehre die Vagina wie eine Blüte!» Diamant und Lotusblüte nennen die Inder in hochachtungsvoll poetischer Bildhaftigkeit das männliche und das weibliche Geschlechtsorgan. Auf einem kleinen Bord informieren Flyer über das Institutsangebot: erotisch-tantrische Massage, Shakti-Tantra, Hautgeflüster, Alchemie des Eros, Lust- und Orgasmustraining, Healing Drumming. Daneben eine Vitrine mit Videos über die Kunst der sexuellen Ekstase. «Ohne Wurzeln keine Blüte» heisst ein Büchlein, das zwischen Flakons mit tantrischen Essenzen und Massageölen gegenüber dem Eingang zum grossen Seminarraum ausliegt.

«Lust und Liebe», das sei sein Lebensthema, immer schon, schwärmt Saranam Ludvik Mann. Er setzt sich auf eins der Schaffelle, die überall auf dem roten Teppich verteilt sind. Auf ihnen kommt es während der Workshops vermutlich zu den tantrischen Vereinigungen. Ein riesiger Phallus aus Stein steht im Raum. Sechs überlebensgrosse Spiegel hängen an den Wänden. Auf einem von ihnen, den ein schwerer Messingrahmen trägt, sind in dicken schwarzen Buchstaben die Worte «Frust» und «Lust» geschrieben, dazwischen ein Sinnspruch in Sanskrit. An einer Längsseite thront ein golden glänzender Buddha. Zu seiner Linken eine weitgehend unbekleidete Frauenfigur: Shakti, die Verkörperung der Weiblichkeit. Wie auf einem Altar sind Kerzen, Räucherstäbchen, Federn, Muscheln und eindeutig geformte Schalen mit getrockneten Rosenblättern auf dem Boden arrangiert. Trommeln und ein grosser Gong betonen die rituelle Aura des Ortes.