«WIDERSPRÜCHE»: Helfen und herrschen

Nr. 37 –

Die 25-jährige Zeitschrift für soziale Arbeit und alternative Sozialpolitik verdient es, bekannter zu sein.

Wer in einer Buchhandlung nach den «Widersprüchen» fragt, dem wird der Verkäufer möglicherweise einen «Widerspruch» in die Hände legen. Die Verwechslung der beiden Zeitschriften liegt nahe, nicht nur wegen der Titel: Auch den Bezug auf «sozialistische Politik» teilen sich die zwei. Und beide gibts seit 25 Jahren. Die «Widersprüche»-Redaktion feiert dies, indem sie in ihrem hundertsten Heft fragt, was heute kritische soziale Arbeit sei.

Während der (Schweizer) «Widerspruch» in hiesigen linken Kreisen seinen festen Platz hat, sind die (deutschen) «Widersprüche» in der Schweiz kaum bekannt. Selbst in Fachkreisen scheint die Zeitschrift für aktuelle Entwicklungen im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsbereich nur wenig beachtet zu werden. Nur die Fachhochschule in Rorschach hat das Heft abonniert und verwendet es in der Lehre. Soziale Arbeit in der Tradition sozialer Bewegungen habe es allgemein schwer, sich Gehör zu verschaffen, sagt Hanspeter Hongler, der an der Hochschule für Soziale Arbeit Zürich lehrt und die «Widersprüche» im Zürcher Sozialarchiv liest.

Honglers Einschätzung findet sich auch im Jubiläumsheft. Kritische soziale Arbeit agiere auf einem Spielfeld, um das nur wenige ZuschauerInnen versammelt seien, sagt Hans-Uwe Otto von der Universität Bielefeld im Gespräch mit der Redaktion - obwohl die jüngsten «gesellschaftlichen Erosions- und Wandlungsprozesse» dringender denn je nach einer «kritischen oder radikalen sozialen Arbeit» rufen würden. Doch wie könnte eine solche heute aussehen? Eine einfache Antwort darauf gibt es für eine Profession nicht, die im Heft als «unterdrückend-helfend» (Ute Straub, Frankfurt am Main) bezeichnet wird.

Flügge werden

Bereits die erste «Widersprüche»-Ausgabe mit dem Titel «Hilfe und Herrschaft» spielte auf das Spannungsverhältnis von Hilfe, Kontrolle und Disziplinierung an. 1983 veröffentlichte die Redaktion, die heute TheoretikerInnen und PraktikerInnen der sozialen Arbeit vereint, ihr Manifest «Verteidigen, kritisieren, überwinden zugleich!». An der theoretischen und politischen Vertiefung dieser Strategie wird seither im Umfeld der «Widersprüche» gearbeitet. Im Kern geht es heute noch darum, den erreichten Stand sozialpolitischer Absicherungen zu verteidigen, seine Herrschaftsfunktion zu kritisieren. Schliesslich soll beides überwunden und in Bedingungen überführt werden, die neue Lebensweisen ermöglichen.

Neben vielem anderen bietet die aktuelle, 200 Seiten starke Ausgabe Einblicke in die angelsächsische Diskussion. So stellt ein Artikel die «Anti-Opressive Social Work» vor. Und ausnahmsweise hat mit dem Basler Soziologen Ueli Mäder gar ein Schweizer Autor Eingang in die Zeitschrift gefunden.

Wohltuend ist, dass für das Jubiläumsheft nicht nur wie üblich Fachartikel, Buchrezensionen und Kongressberichte geschrieben, sondern auch mehrere längere Gespräche geführt wurden. Die Lektüre der «Widersprüche» ist anspruchsvoll - und eigentlich ein Muss für alle, die sich für eine kritische soziale Arbeit auf der Höhe der Zeit interessieren; für eine soziale Arbeit, die auf der Suche ist und sich, wie von der Redaktion gefordert, im Gefüge der Macht so weit wie möglich flügge machen sollte.


«Widersprüche.

Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich». Kleine Verlag. Bielefeld. www.widersprueche-zeitschrift.de