«Du»: In Zuneigung zur Welt

Nr. 11 –

Pionierwerk der Schweizer Fotografie und Kunstvermittlung. Hochglanzbrevier des Bildungsbürgertums: Die berühmteste Kulturzeitschrift der Schweiz versucht einen Neustart. Ein Rückblick auf 782 Nummern.

Mein Vater hat in seinen Unterlagen eine Abonnementsrechnung aus dem Jahr 1964 gefunden: 38 Franken pro Jahr, bei Nichtbezahlen mittels Nachnahme eingezogen. Warum er die Zeitschrift abonnierte, kann er nicht mehr genau sagen. Meine Eltern waren gelinde von Kunst angezogen, der Vater zudem an Geschichte und an Technik interessiert; «Du» deckte diese Bedürfnisse in einem einzigen Produkt ab. So gehörte die Zeitschrift im aufstrebenden Mittelstand zum guten Ton.

Aus meinen Gymnasialjahren erinnere ich mich an bestimmte Ausgaben. «Im Reich der gefiederten Schlange» vom Oktober 1967, über die Maya-Kulturen, weckte den kurzfristigen Wunsch, Archäologe zu werden; später sammelte ich Themenhefte wie «Tell in der weiten Welt» oder «Kunst & Werbung». Dazu kam die literarische Beilage, etliche Jahre lang ein verlässlicher Führer durch die neueste Literatur. Mit dem Studium verlor ich «Du» aus den Augen, und es geriet erst wieder 1988, mit einer Neulancierung, ins Blickfeld.

Auch wer «Du» nur gelegentlich las, erkannte die Zeitschrift gestalterisch und mentalitätsmässig als Symbol für Schweizer Qualitäten. Gediegen, gepflegt, nicht gerade avantgardistisch, aber weltoffen, auf diese zurückhaltende Schweizer Art. Die grossen, schweren Hefte versprachen Seriosität, boten Neues und Beständigkeit zugleich.

«Wort der Offenheit»

Dabei begann die mittlerweile 67-jährige Geschichte mit einem Ende. Anfang 1941 erklärten die Verleger Conzett & Huber dem Chefredaktor der linksliberalen «Zürcher Illustrierten», Arnold Kübler, dass die Zeitschrift verkauft werde. Dafür sollte er innert zweier Monate eine neue Zeitschrift starten. Ziel: den im Verlag entwickelten Farbdruck ins rechte Licht stellen. Der Inhalt war egal. So entstand «Du», die berühmteste Kulturzeitschrift der Schweiz.

Die ersten Nummern starteten mit einem farbigen historischen Gemälde auf dem Umschlag und vier Farbreproduktionen im Innern. Darum herum legte der Journalist, Zeichner und Schriftsteller Arnold Kübler (1890-1983) ein Gerüst von Texten und Illustrationen. Drei Kolumnen («In drei Kolonnen»), «Ein Schweizer schreibt Anmerkungen zur Landschaft, in der er lebt», Reportagen, aktuelle Fotografien, eine Rubrik zu aktuellen Filmen, eine zu aktueller Literatur, dazu ein Fortsetzungsroman, und Mode, betreut von «Frl. Charlotte Weber». 68 Seiten, mit etlicher Werbung - Uhren, Mode, Papeteriewaren, auch einem Rezept mit Büchsenfrüchten, «Reisring mit Lenzburger Mirabellen». Die Abowerbung zielte nicht nur auf Ärzte, sondern auch auf Coiffeure: «Das Abonnement des Du-Heftes sollte für Sie, lieber Meister, keine Überlegenssache, sondern eine so notwendige Anschaffung wie Puder, Parfum und Schampoon sein.»

Den Titel setzte Kübler gegen Vorschläge wie «Elan», «Profil» und «Windstärke 13» durch. Er hat ihn später begründet: «Du. Anrufender Titel, Wort der Offenheit, der Zuneigung zur Welt, zu den Menschen, den Dingen, der Natur.» Und im Editorial der ersten Nummer verkündete er: «Du ist ein Programm. Wir leben in einer Zeit grösster Umwälzungen und Verschiebungen. Alle Tage rufen uns zu: Du bist nicht für dich allein da. Du hast Verantwortung und Aufgaben jenseits deiner persönlichen Neigungen und Abneigungen.»

Diese Zeitschrift für den Coiffeursalon war ein kurioses Unterfangen, mitten im Krieg. Der rückte nur gelegentlich ins Bild, in Fotografien, aber kaum in Texten; dagegen kam die Schweiz vor, mit Anbauschlacht, schönen Landschafts- und Historienbildern. Küblers Engagement war antifaschistisch, aber mehr humanistisch denn politisch. Mit dem zweiten Jahrgang versammelte sich ein Team, das die Zeitschrift zusammen mit Kübler sechzehn Jahre prägte: Der Literaturwissenschaftler Albert Bettex, der Philosoph Walter Robert Corti sowie der Gestalter und Fotograf Emil Schulthess.

Die Idee zu thematisch konzentrierten Nummern kam Kübler, als er im August 1941 Aufnahmen der Luzerner Totentanz-Bilder von Jakob von Wyl (1615) erhielt. Keiner der vorbereiteten Texte wollte dazu passen, also entschied er sich, eine Nummer zum Tod zu machen. Ein Bild von Maria Becker aus einer Shakespeare-Inszenierung. Ein Text über «Der Soldat und der Tod». Ein «Brief an einen Toten». Aber auch: eine Reportage, wie eine Arznei entsteht. Dazu Porträts von Lebensrettern. Das zeichnete Küblers «Du» aus, die überraschenden Querverbindungen. Und die untrügliche Qualität der Mitarbeitenden. Im ersten Jahrgang findet sich eine der letzten Fotografien von Annemarie Clarac-Schwarzenbach, ein Text von Max Frisch über die Aufgaben des Architekten und Kolumnen des Psychologen und Schriftstellers Max Pulver.

Vom Schmerz und der Literatur

Schon für die «Zürcher Illustrierte» hatte Kübler eine neue Generation von modernen, realistischen Schweizer Fotografen entdeckt: Hans Staub, Paul Senn, Gotthard Schuh. Mit dem «Du» kamen neue Möglichkeiten und neue Fotografen. 1946 wurde ein ganzes Heft mit Fotografien von Werner Bischof über den Neuaufbau in Europa gestaltet. 1949 folgte eine Nummer über die Hilfsleistungen der Schweizer Spende. 1955 berichtete Emil Schulthess in fünf Folgen über die USA.

1957 wollte sich Kübler vermehrt dem eigenen Schreiben und Zeichnen widmen; mit seinem Weggang löste sich die Redaktion auf. Die Leitung übernahm Manuel Gasser (1909 - 1979), 1933 Mitbegründer der «Weltwoche». Siebzehn Jahre blieb er, gleich lang wie Kübler. Einerseits setzte er fort, was dieser gepflegt hatte, etwa die moderne Fotografie. 1958 berichtete Henri Cartier-Bresson über die Schweiz. 1959 legte René Burri eine Reportage über den argentinischen Gaucho vor. Im gleichen Jahr präsentierte «Du» als Wiederentdeckung den deutschen Fotografen August Sander und 1962 Robert Frank.

Kunst wurde noch wichtiger. Eine Ausgabe zum Thema Schmerz vom Februar 1959 kombinierte kühn Bilder aus verschiedenen Jahrhunderten. Dazu gewann Gasser Hugo Loetscher als literarischen Redaktor. Der schuf 1960 die Beilage «Das Wort», die bis 1969 auch Philosophie und Sozialwissenschaften vorstellte.

Der Redaktion gehörten zeitweilig Willy Rotzler, Klara Obermüller und Peter Killer an. Gassers «Du» war interessant und gediegen, aber etwas betulich. Es fehlte der überraschende Bezug zur Gegenwart, der Kübler ausgezeichnet hatte, der kulturelle Aufbruch von 1968 war nur als fernes Echo vernehmbar. Unbestreitbar ist der Niedergang unter Gassers Nachfolgern ab 1975, auch angesichts verschärfter Konkurrenz. Redaktion und Format wurden verkleinert, die Themen eingeengt. «Du» wurde zur schön gedruckten, aber biederen Kunstzeitschrift, die vor allem in Wartezimmern auflag.

1988 kaufte der TA-Konzern die Druckerei Conzett & Huber auf und entdeckte, dass man eine Kulturzeitschrift mitgekauft hatte. Dieter Bachmann, der nach Redaktionstätigkeiten bei der «Weltwoche» und beim «Magazin» («Tages-Anzeiger») als freier Publizist arbeitete, legte dem Verlag ein Neukonzept vor. Bachmann hatte 1961 ein Volontariat beim «Du» absolviert, verlor die Zeitschrift aber dann aus den Augen. Sein Konzept versprach eine «Rückbesinnung auf die spezifischen Qualitäten der Zeitschrift, um sich von der damals grassierenden Magazinitis abzuheben». Der Kulturbegriff sollte wieder entschieden ausgeweitet werden. Und er schlug vor, sich ganz auf thematische Hefte zu konzentrieren.

«Die Zeitschrift der Kultur»

Als Bachmann die Chefredaktion übernahm, lag die Auflage unter 12 000. Das erste Heft, selbstbewusst als «Die Zeitschrift der Kultur» untertitelt, erschien im September 1988 zu Gabriel García Márquez. Damit sollten der Qualitätsanspruch und die zeitgeschichtliche Verpflichtung über die Schweiz hinaus dokumentiert werden. Es folgten Nummern zur Melancholie, zu Jean-Rudolf von Salis und Miles Davis oder ein von Daniel Spörri gestaltetes Heft. Die Auflage stieg bald auf 15 000 Exemplare, dann auf 25 000 bis 30 000, wovon 15 000 im Abonnement abgesetzt wurden. Hefte zu Dürrenmatt und Frisch verkauften sich jeweils rund 60 000 Mal. Bachmann prägte das Wort von der «Enzyklopädie der Kultur in Einzelheften» und legte Wert auf die Brauchbarkeit und Haltbarkeit der Hefte.

Der Schweizer Ausgangspunkt, meint er, habe eine beiläufige Verankerung in unterschiedlichen Kulturen mit sich gebracht und zugleich falsche Rücksichtnahme verhindert. Besonders stolz ist er auf ein Heft wie «Meier und Müller»; hier sei den beiden häufigsten Schweizer Namen etwas Besonderes abgewonnen worden, indem sich Porträts der Künstler Gerhard Meier und Otto Müller ergänzten und kontrastierten.

Nicht alles ist gelungen. Zuweilen versprachen die prominenten Namen der AutorInnen mehr, als sie halten konnten, und die philosophischen Zeitanalysen hinkten den aktuellen Ereignissen gelegentlich hinterher. Trotz gesteigerter Auflagezahlen blieb das Unternehmen defizitär, je nach Berechnung mit zwischen 300 000 und 800 000 Franken pro Jahr. Die neue Geschäftsleitung des TA-Konzerns konfrontierte den Chefredaktor alljährlich mit der Aufforderung, endlich eine schwarze Null zu schreiben. 1998 gab Bachmann, etwas müde geworden, aber auch, um wieder mehr selber zu schreiben, den Rücktritt bekannt. Sein ehemaliger Stellvertreter Marco Meier kehrte als Chefredaktor zurück. Ob die folgenden vier Jahre das Niveau hielten, ist Geschmacksfrage.

Ende einer herausragenden Tat

1993 wurde in der Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des «Tages-Anzeigers» die Neulancierung des «Du» als «herausragende kulturelle Tat des Verlagshauses Tages-Anzeiger» bezeichnet. Damit war es zehn Jahre später vorbei. 2003 wurden «Du» und die Jugendzeitschrift «Spick» verkauft. Das Verscherbeln durch den TA-Konzern bleibt einer der Sündenfälle dieses Verlagshauses. Dieter Bachmann hat damals in der «Zeit» eine wütende «Protestnote» geschrieben, und er versteht den Vorgang immer noch nicht. Der kulturell interessierte Hans Heinrich Coninx konnte sich nicht gegen die börsenfixierten Manager und Mitbesitzer durchsetzen, die zur gleichen Zeit mit dem jämmerlichen TV3-Fernsehsender zweistellige Millionenbeträge verheizten.

Die Übernahme durch den Architekturverlag Niggli in Sulgen/Thurgau war von Beginn an ein Risiko. Ein neues Redaktionsteam bemühte sich, den Auflagenverlust zu stoppen und das Image aufrechtzuerhalten. Einige Nummern sind beachtlich. Doch die kommerzielle Konstruktion war prekär und das publizistische Umfeld auch nicht einfacher geworden. Dass der Verlag Niggli jetzt aufgegeben hat, kann nicht überraschen. Wieder ist der Neustart mit einem Ende verbunden. Die bisherige Redaktion wurde sang- und klanglos abserviert; in einem «Spiegel»-Artikel heisst es verblüfft, das sei halt die Schweiz, in der praktisch kein Kündigungsschutz existiere.

Nun gibt es keine historische Gesetzmässigkeit, dass kulturelle Produkte ewig leben müssen. Doch der neue Besitzer, Oliver Prange, bisher Verleger der Marketing- und Medien-Zeitung «persönlich», hat im Februar seinen Denon-Verlag abgestossen und scheint entschlossen, «Du» als privates Projekt durchzuziehen. Dazu verpflichtete er Walter Keller («Der Alltag», «parkett», Scalo-Verlag) als Chefredaktor. Der will als Ein-Mann-Redaktion in Zürich mit der Hilfe eines internationalen Beirats wirken. Kellers erstes Heft (Startauflage 20 000) enthält, mit präzisem Timing, eine vierzigseitige, von der UBS finanzierte Beilage «UBS Young Art». Auf kritische Nachfragen hat Keller flapsig gemeint, es sei gegenwärtig beinahe provokativer, sich mit der UBS einzulassen als ein Schamhaar zu zeigen (das Schamhaar zeigt er in der ersten Nummer ebenfalls).

Keller setzt selbstbewusst auf Subjektivität und grosse Themen. Auf Nummer 783, «Die Zeit», ist 784 «Das Haus» gefolgt. Der Anspruch ist löblich. Bleiben wir unvoreingenommen. Vielleicht geht die Geschichte des «Du» ja erfolgreich weiter.