Börsen: Der Kampf um die Weltbörse

Nr. 47 –

Preistreibende Angebote, Übernahmekämpfe, Megafusionen: Die Handelsplätze des globalen Kapitalismus werden vergoldet.

Die Geschäfte an den Börsen boomen wie noch nie. Der Dow-Jones-Index und der Swissmarket-Index erreichen Rekordmarken. Weniger beachtet - aber nicht weniger beachtlich - sind die Auseinandersetzungen um die Herrschaft über die Schauplätze des Booms: Die grossen Weltbörsen werden vom Fusions- und Übernahmefieber geschüttelt.

Börsen waren bis vor kurzem altmodische Clubs, private Vereine mit eigener Satzung und Selbstverwaltung, die denen gehörten, die sie benutzten, den Börsenhändlern und -maklerinnen. Diese Börsenvereine mit öffentlichem, teilweise sogar gemeinnützigem Status haben sich mittlerweile fast alle in Privatunternehmen, Kapitalgesellschaften verwandelt. Die Börsen gehen selbst an die Börse, ihre Mitglieder beziehungsweise AnteilseignerInnen verdienen sich dabei eine goldene Nase.

Über ein Drittel der wichtigsten Börsen der Welt sind inzwischen «börsennotierte» Aktiengesellschaften (und nur noch rund fünfzehn Prozent der Börsen weltweit sind keine reinen Privatunternehmen). Die drei grössten europäischen Börsen, die Londoner Börse (London Stock Exchange LSE), die Vierländerbörse Euronext und die Deutsche Börse in Frankfurt, gingen bereits 2001 an die Börse. 2006 folgte die weltgrösste Börse, die New York Stock Exchange (NYSE). Dem Finanzkapital steht damit eine neue Spielart der Konkurrenz offen. Aus den Börsen als Orten der Spekulation sind selbst Spekulationsobjekte geworden.

Hohe Konzentration

Obwohl die Zahl der Börsen in den letzten zwanzig Jahren rasant gestiegen ist, entfallen inzwischen fast 97 Prozent aller Börsenumsätze auf weniger als fünfzig Börsen. Die weitaus meisten und mit Abstand wichtigsten dieser Börsen befinden sich in Europa und in den USA. Europa hat allein siebzehn Aktienbörsen, acht davon befinden sich in Deutschland. Nur wenige Weltbörsen wie Tokio, Hongkong und neuerdings auch Schanghai befinden sich im asiatischen Raum. Über 80 Prozent des weltweiten Devisenhandels konzentrieren sich auf fünf Devisenmärkte, von denen der in der Londoner City mit Abstand der grösste und wichtigste ist. Mehr als 82 Prozent des Handels mit einheimischen Aktien finden weltweit an acht Aktienbörsen statt, von denen die New Yorker Aktienbörse NYSE die grösste ist. Fast 90 Prozent des weltweiten Handels mit festverzinslichen Anleihepapieren konzentrieren sich auf die fünf grössten Anleihebörsen der Welt, auf London entfallen allein schon 42 Prozent des Handelsvolumens. Der Handel mit Derivaten ist weltweit auf wenige, hoch spezialisierte Terminbörsen konzentriert - zwei davon in Chicago und zwei in Europa.

In der Liga der Weltbörsen ist nur noch die Tokioter Börse nicht börsennotiert und kann deshalb nicht aufgekauft werden. Alle übrigen Weltbörsen sind vom Fusionsfieber erfasst. In den USA ist die Börsenkonzentration weit höher als in Europa. Nur die grossen vier, die NYSE und die Nasdaq in New York sowie die auf Derivatenhandel spezialisierten Börsen Chicago Mercantile Exchange (CME) und Chicago Board of Trade (CBOT), haben überregionale, ja weltweite Bedeutung.

In Europa entstand 1998 die Eurex, die drittgrösste Terminbörse der Welt, als Fusionsprodukt der Deutschen Terminbörse und der SOFFEX, einer Tochter der schweizerischen Börsengesellschaft SWX. Kurz darauf fusionierten die Börsen von Paris, Amsterdam und Brüssel zur Euronext, der ersten Mehrländerbörse, die 2002 durch Fusion mit der Börse von Lissabon und den Zukauf der Londoner Terminbörse LIFFE erweitert wurde. Euronext ist heute die fünftgrösste Aktienbörse der Welt. Auch in Skandinavien, Spanien und Italien haben regionale Börsen fusioniert. In New York hat die Nasdaq 2005 die elektronische Börse Instinet aufgekauft, worauf die NYSE ihrerseits die elektronische Börse Archipelago übernahm.

Hedgefonds verhindern Übernahme

Für die AktionärInnen der Börsengesellschaften sind Übernahmen und Fusionen lohnende Geschäfte. Schon Übernahmegerüchte reichen aus, um die Aktienkurse der beteiligten Börsen in die Höhe zu treiben. Das freut namentlich die ManagerInnen und AktionärInnen der grossen Investmentfonds, die viel in Aktien der grössten Börsen investiert haben. Hedgefonds-Manager-Innen haben in jüngster Zeit wiederholt Übernahmen verhindert - etwa die geplante Übernahme der Londoner Börse durch die Deutsche Börse - in der zutreffenden Erwartung, dass die Aktien der beteiligten Börsen beim fortgesetzten Übernahmepoker weiter kräftig steigen würden.

BörsenmanagerInnen erwarten und versprechen höhere Umsätze und leichteren Marktzugang und hoffen auf Kostenersparnisse, denn die fixen Kosten der Börsen sind dank Computerisierung kräftig gestiegen. Bei Fusionen und Übernahmen können bis zu achtzehn Prozent der Handelskosten eingespart werden, in Europa wären das bei grenzüberschreitenden Fusionen bis zu fünf Milliarden Euro pro Jahr.

Für das US-amerikanische Börsenkapital geht es, wie beim aktuellen Versuch der NYSE, die Euronext zu übernehmen, um den Zugang zum Geschäft mit Neuemissionen von Aktien, denn da haben die US-Börsen rasant an Boden verloren. Noch im Jahr 2000 fanden neun Zehntel aller Börsengänge und Neuemissionen in den USA statt, heute ist der US-Anteil auf ein Zehntel geschrumpft. Für die US-Börsen geht es auch darum, Marktanteile im Handel mit ausländischen Wertpapieren, etwa mit britischen und deutschen Aktien, zurück zu gewinnen, denn der spielt sich heute in den USA zu vier Fünfteln ausserhalb der Börsen ab (in Europa sind es bis zu 75 Prozent). Mit dem Kauf der grössten europäischen Börsen könnte das US-Börsenkapital einen Teil jener InvestorInnen zurückgewinnen, die vor der strengeren und jüngst mit dem Sarbanes-Oxley Act* erneut verschärften US-Börsenregulierung geflohen sind.

Kämpfe um Euronext und London

Zurzeit ist der Kampf um die Londoner Aktienbörse LSE und die Vierländerbörse Euronext in vollem Gang. Viermal wurde in den letzten zwölf Monaten versucht, die LSE zu übernehmen: Die Deutsche Börse versuchte es Anfang 2005 (zum zweiten Mal), dann probierte es Euronext, danach kam die australische Investmentbank Macquarie, schliesslich überbot die Nasdaq alle früheren Bewerber um fast das Doppelte. Alle diese Übernahmeversuche scheiterten, denn den Grossaktionären der LSE, angeführt von einigen grossen Hedgefonds, waren die Gebote zu niedrig, sie wollten höher pokern. Die Nasdaq hat daher ihre Strategie geändert und mittlerweile über 25 Prozent der Aktien der LSE erworben. Damit kann sie der europäischen Börsenkonkurrenz die Übernahme der LSE sauer machen.

Zur gleichen Zeit wurde die Euronext von der Deutschen Börse und von der NYSE heftig umworben. Anfang Juni 2006 schien die Übernahmeschlacht in Europa entschieden - Euronext und NYSE erklärten gemeinsam ihre Absicht zu einer Megafusion, bei der mit einer Marktkapitalisierung von über fünfzehn Milliarden US-Dollar das weltweit grösste Börsenunternehmen entstehen sollte - und zugleich die erste transatlantische Börse. Im September plädierte Paris Europlace, eine der grössten europäischen Finanzlobbys, mit dem sogenannten Lachmann-Bericht aber für eine europäische Lösung. Die Deutsche Börse solle ihren Aktienhandel in die Euronext einbringen und dafür eine Beteiligung von fünfzehn bis zwanzig Prozent erhalten. Die föderative Struktur der Euronext soll erhalten und durch den Zusammenschluss mit der Borsa Italiana noch verstärkt werden. Die NYSE versprach sogleich, keinesfalls amerikanische Börsenregeln in Europa einführen zu wollen, und die Deutsche Börse legte prompt ein neues Angebot ganz im Sinne des Lachmann-Reports vor. Doch letzte Woche gab die Deutsche Börse ihre Bemühungen um die Euronext auf.

Der Paukenschlag

Mit einem Paukenschlag ist Mitte Oktober der Kampf der Weltbörsen in ein neues Stadium eingetreten. Plötzlich und unerwartet wurde die Fusion der weltgrössten Terminbörse, Chicago Mercantile Exchange CME, mit ihrer Erzrivalin, der Chicago Board of Trade CBOT, bekannt gegeben. Mit diesem Acht-Milliarden-Dollar-Deal entsteht mit einem Schlag die weltweit grösste Börse für den Handel mit Derivaten aller Art. Die neue Börse, an der Tag für Tag mehr als neun Millionen Transaktionen getätigt werden, hat einen Marktwert von gut 25 Milliarden US-Dollar.

Mit diesem Quantensprung in der Zentralisation des Derivatenhandels wird der Druck auf die New Yorker Börsen enorm verstärkt, sich eine entsprechende Derivatenbörse zuzulegen. Den US-amerikanischen Bewerbern NYSE und Nasdaq geht es beim Übernahmekampf um Euronext denn auch in erster Linie um die Londoner Terminbörse LIFFE - die zweitgrösste Terminbörse der Welt. Eurex, die Nummer drei, hat sich schon um eine Fusion mit der LIFFE bemüht.

Die Auseinandersetzungen der Börsenunternehmen um die Vorherrschaft auf den internationalen Finanzmärkten gehen weiter. Nach Europa wird Asien der nächste Schauplatz sein. Kürzlich haben die NYSE und die Tokioter Börse TSE erklärt, ab 2007 enger zusammenarbeiten zu wollen, geplant ist eine gegenseitige Beteiligung von zehn Prozent. Der Börsengang der TSE steht damit in absehbarer Zeit bevor. Die TSE plant gleichzeitig, mit der Börse in Seoul zusammenzugehen. Nasdaq hat den Schritt nach Asien ebenfalls getan und angekündigt, sich mit der japanischen Börse Jasdaq zusammenzutun, um den internationalen Handel mit asiatischen Wertpapieren durch doppelte Börsennotierung in New York und in Tokio voranzutreiben.

Klappt die geplante Übernahme der Euronext durch die NYSE - nach dem Rückzug der Deutschen Börse sieht es ganz danach aus - und gelingt der Nasdaq die Übernahme der LSE, dann wäre dies ein wichtiger Schritt in Richtung der von IdeologInnen der Globalisierung seit langem geforderten transnationalen Finanzmärkte.



*Der Sarbanes-Oxley Act ist ein US-Gesetz, das die korrekte Buchung von Finanzdaten eines Unternehmens regelt. Es wurde nach den Bilanzskandalen von Unternehmen wie Enron und Worldcom im Jahr 2002 verabschiedet.

Folgt die SWX der Swiss?

Auch die Schweizer Börse SWX sucht sich in der veränderten Börsenlandschaft einen neuen Platz. Sie muss sich dazu wohl in einen Verbund einbringen. Aber die Auswahl ist begrenzt. Die meisten grossen Börsen sind direkt an Fusionsprozessen beteiligt (siehe Haupttext). Nur die Deutsche Börse findet bislang keine Partnerin. Dass sich die SWX an die Deutsche Börse anlehnen könnte, ist ein denkbares Szenario. Angesichts des Grössenverhältnisses - es ist dem von Swiss zur Lufthansa ähnlich - käme dies aber mittelfristig einer Übernahme der SWX gleich. An diese Perspektive müssen sich die SWX-ManagerInnen zuerst gewöhnen. Vorderhand beschränkt sich deshalb die Zusammen-arbeit auf die gemeinsame Tochterfirma Alex, über die die beiden Börsen den Handel mit ausgewählten Finanzinstrumenten betreiben wollen.

Druck auf die SWX kommt auch von den Grossbanken. Sie wollen bis November 2007 eine eigene paneuropäische Börse zum Handel mit Aktien von Grossunternehmen auf die Beine stellen und so die hohen Transaktionskosten der Börse umgehen. Die Chancen des Projekts werden aber sehr unterschiedlich beurteilt. Sollten die Börsen diese Gebühren deutlich reduzieren, könnten die Banken auch darauf verzichten, ihr Vorhaben umzusetzen. jw