Tobin-Steuer: Eine kleine Steuer gegen das grosse Zocken
Ziemlich plötzlich haben einige Finanzminister in der Europäischen Union erkannt, dass der Finanzsektor «unterbesteuert» ist. Die EU-Kommission will nun endlich Finanztransaktionen belasten – zwölf Länder machen mit.
Nun also doch, oder wenigstens ein bisschen: Mit und in 12 ihrer 27 Länder will die Europäische Union eine Finanztransaktionssteuer einführen, eine geringe Abgabe, die bei fast allen Geschäften mit Wertpapieren und darauf fussenden Forderungen fällig würde. Im Oktober hatte die EU-Kommission elf förmliche Zusagen von Mitgliedsregierungen bekommen, an einer «verstärkten Zusammenarbeit» für eine solche «Tobin-Steuer» teilzunehmen. Nach der Bildung einer neuen sozialliberalen Regierungskoalition gesellten sich auch die Niederlande dazu, deren Premierminister vorher noch strikt dagegen war.
Kluge ÖkonomInnen hatten sich schon längst vor der grossen Finanz- und Eurokrise für eine Tobin-Steuer ausgesprochen, da sie darin eine Bremse gegen die wilde Spekulation sahen. Die hat dann auch prompt die Krise mitverursacht. Gefordert wurde die Steuer auch von zahlreichen Entwicklungsorganisationen und Ländern des Südens, überhaupt von allen kritischen Geistern, die die globale Wirtschaft in den Strudel der seit den Zeiten Ronald Reagans immer stärker deregulierten Finanzwelt hineingezogen sehen. Nicht zuletzt hat sich ein Finanzkapitalist wie George Soros, der seine ersten Milliarden im Devisencasino eingesammelt hatte und inzwischen mit seiner Open-Society-Stiftung einige Nichtregierungsorganisationen unterstützt, für die Tobin-Steuer eingesetzt.
Im Frühstadium abgewürgt
1973 wurden mit Devisengeschäften 4 Billionen US-Dollar umgesetzt, 2007 waren es bereits 800 Billionen, also 800 000 Milliarden; das Volumen der Finanzgeschäfte hat sich im Jahr 2010 auf das 75-Fache der realen, weltweiten Wirtschaftsleistung aufgebläht.
Es dauerte, bis man einsah, dass da etwas schiefläuft. Noch vor einem Jahrzehnt wurde ein Versuch von Linken und Grünen, die EU-Kommission wenigstens zu einer Studie zur Besteuerung der Finanzgeschäfte aufzufordern, von einer grossen Mehrheit des EU-Parlaments abgeschmettert. Heute sind selbst die EU-Liberalen, deren Parteien zu Hause in Stockholm, Berlin und Den Haag gegen die Tobin-Steuer wettern, sehr wohl dafür.
Im Frühjahr 2010 sorgten gleichartige Ergebnisse von Analysen der EU-Kommission, der Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) für Schrecken in den Knochen der Finanzminister – auch beim deutschen Wolfgang Schäuble, der sich zuvor noch sehr skeptisch zur Tobin-Steuer geäussert hatte. Denn die staatliche Rettung der krisengeschüttelten Banken liess die Neuverschuldung aller EU-Staaten mit 7,5 Prozent des Bruttosozialprodukts auf mehr als das Doppelte des laut EU-Vertrag zulässigen Stabilitätslimits von 3 Prozent anwachsen. Die Staatsschulden aller EU-Länder werden bis 2020 auf 120 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung der EU ansteigen.
Allein mit Sparen bei öffentlichen Ausgaben war dem nicht beizukommen, neue Einnahmen mussten her. Im Januar 2011 lancierte die EU-Kommission das Zauberwort vom «unterbesteuerten Finanzsektor», doch ein erster Anlauf zur Diskussion einer Steuer auf Bankgeschäfte wurde von den EU-MinisterInnen schon im Frühstadium abgewürgt. Noch weniger Erfolg hatte Frankreichs damaliger Präsident Nicolas Sarkozy mit einer Bankenabgabe auf Börsengeschäfte, die nicht einmal als populistisches Schlagwort im französischen Wahlkampf zog.
Damit blieb die zweite Schiene der strategischen Überlegungen der EU-Kommission zur «innovativen Finanzierung» von 2010: die Finanztransaktionssteuer. Die Zockerlobby schrie zetermordio. Bei einer Anhörung im Deutschen Bundestag wollte ein Investmentbanker weismachen, von einer solchen Steuer würden die «kleinen Sparer voll getroffen». Als ob sie es wären, die im computerisierten Handel Käufe und Verkäufe in Millionenhöhe in Auftrag geben, bis zu 20 000 in der Sekunde – pro Tag werden zwei Billionen US-Dollar im Derivatehandel der Londoner City umgesetzt.
Für jede dieser Transaktionen wäre mit der Tobin-Steuer nur eine winzige Abgabe fällig. Aber das summierte sich.
Im September 2011 präsentierte die EU-Kommission den Vorschlag, der nun nach grünem Licht im Ministerrat im Oktober und leicht verbessert als Vorlage für eine EU-Regelung dienen soll: eine Steuer von 0,1 Prozent auf Börsengeschäfte im gewöhnlichen Handel mit Aktien und Anleihen und von 0,01 Prozent für Derivate, also auf die von echten Wertpapieren abgeleiteten Titel.
Mit dem Kapital anderer Leute
Allerdings werden Derivate nur zum kleinen Teil über die Börsen gehandelt, meistens geschieht dies im Direktgeschäft zwischen den HändlerInnen – «over the counter» (OTC). Von diesen HändlerInnen arbeitet nur ein kleiner Teil für die Banken selbst, die meisten sind Broker, also AgentInnen, die mit dem Kapital anderer Leute spielen – beispielsweise Hedgefonds, die mitunter an einem Tag ihren gesamten Bestand auswechseln, der darüber hinaus oft nicht aus tatsächlichem Besitz von Wertpapieren besteht, sondern lediglich aus Forderungen darauf und auf davon wiederum abgeleiteten Forderungen aus Preisdifferenzen beim Handel mit solchen Forderungen.
Theoretisch will der Plan der EU-Kommission diesen OTC-Handel erfassen und damit den irrwitzigen Spekulationsstrudel bremsen. Ob das gelingt, ist völlig offen. Immerhin gelang ein wesentlicher Schritt mit den parallel laufenden EU-Regeln zur Bankenstabilisierung: Alle Geschäfte mit Finanztiteln, also auch die Billionen im täglichen OTC-Handel, müssen bei nationalen Clearingstellen registriert werden. Das ist schon mal etwas, um in den total undurchsichtigen Markt Einblick zu bekommen. Ohne Clearing ist kein Geschäft rechtswirksam – bisher gab es dafür nur zwei privatwirtschaftliche Instanzen, beide in London – und damit ausser Reichweite jedweder Einsicht und öffentlichen Kontrolle. Die britische Regierung verteidigt dieses Monopol der Londoner City mit Zähnen und Klauen, denn auch das Londoner Clearing muss von den HändlerInnen bezahlt werden, vermutlich macht es so viel aus wie ein ordentlicher Teil einer Tobin-Steuer auf OTC-Geschäfte – nur blieb diese Einnahme eben bisher in der Londoner City hängen. Allerdings ist das nur einer der Gründe, weshalb die britische Regierung wütend jede Besteuerung des Finanzmarkts bekämpft, obwohl sie mit ihrer Stempelgebühr für Ausgaben von Aktien britischer Firmen die einzige innerhalb der EU ist, die bisher spezifische Finanzmarktsteuern erhebt.
Ausgenommen vom Plan für die EU-Tobin-Steuer sind Geschäfte mit Anleihen der öffentlichen Hand (schliesslich will der Staat sich nicht selbst besteuern) und natürlich die alltäglichen Bankgeschäfte mit Kundenkonten, Spareinlagen und Krediten – nicht aber Derivate, die auf Kursdifferenzen im Handel mit Schatzbriefen basieren. Vorgesehen ist auch eine Ausnahme für Devisengeschäfte. Begründet wird dies damit, dass in diesem Bereich zwischen real notwendigem Bedarf an fremder Währung – von Umtausch für TouristInnen bis zum Begleichen von Importrechnungen – und rein spekulativen Vorgängen nicht zu unterscheiden sei.
Ein offenes Tor für die Spekulation
Gerade dies lässt jedoch, neben der sehr unbestimmten Handhabung der OTC-Geschäfte, ein weiteres Tor für Spekulation weit offen. Deshalb heisst es seitens des Bündnisses «Steuer gegen Armut», in dem sich eine Vielzahl zivilgesellschaftlicher Organisationen zusammengefunden hat: «Wir werden die konkrete politische Umsetzung kritisch beobachten.» Das gilt auch für die möglichen Einnahmen aus der EU-Tobin-Steuer. Diese finanzmarktkritischen Gruppen haben sich jahrelang für zusätzliche Mittel für Entwicklung und soziale Gerechtigkeit eingesetzt. Wenn das Ergebnis einer Tobin-Steuer nur dazu dient, die nationalen Haushaltslöcher nach der Bankenkrise zu füllen, wäre das verlorene Mühe gewesen.