Solidarische Ökonomie: Lebendige Zweifel

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Die Fakten sind hinlänglich bekannt und wohldokumentiert: 1970 gab es weltweit rund 200000 Einkommensmillionäre, heute sind es 1,5 Millionen; in den letzten zwei Jahren ist das Ver-mögen der Dollarmilliardäre um knapp sechzig Prozent gestiegen; und in Deutschland verfügen die oberen zehn Prozent über ein Vermögen von durchschnittlich 670000 Euro. Parallel dazu sind die Einkommen der breiten Massen fast überall gesunken. In 98 Staaten liegt das Durchschnittseinkommen unter dem von vor zehn Jahren; in Afrika verdienen die Bevölkerungen gerade mal achtzig Prozent von dem, was sie 1980 bekamen; und in Deutschland hat das untere Zehntel der Haushalte überhaupt kein Vermögen, sondern Schulden. Und uns allen wird ständig eingetrichtert, dass es zu dieser Entwicklung «keine Alternative» gebe.

Tatsächlich nicht? Gibt es da nicht auch zum Beispiel die International Cooperative Association, einen Zusammenschluss von 226 Genossenschaftsverbänden aus 91 Ländern, der weltweit ein solidarisches Wirtschaften voranzutreiben versucht und über 800 Millionen Menschen repräsentiert? Probieren nicht unzählige basisorientierte Initiativen in den Favelas, den Shantytowns, den Barrios neue Wirtschaftformen aus, die den Menschen dienen, statt ihnen zu schaden? Gibt es nicht auch in Europa selbstverwaltete Hightech-Betriebe? Gewiss: Viele Projekte sind aus der Not geboren und können schon aufgrund ihrer Grösse den zwei Billionen US-Dollar kaum Paroli bieten, die täglich auf den globalen Finanzmärkten verschoben werden bei der ständigen Suche nach besseren Ausbeutungsmöglichkeiten. Aber sie sind, so Elmar Altvater, der «lebendige Zweifel an der These vom Ende der Geschichte» und der Alternativlosigkeit neoliberalen Denkens.

Der Reader «Solidarische Ökonomie», herausgegeben vom Wissenschaftlichen Beirat von Attac Deutschland, untersucht die vielfältigen Formen solidarischen Handelns in Europa und in der Dritten Welt, analysiert die Haltung der Gewerkschaften zum Genossenschaftskonzept und beschreibt konkrete Gegenentwürfe in Lateinamerika und Indien. Über viele Ansätze hätte man gern mehr gewusst. Aber Stoff zum Nachdenken und Nachahmen bietet der Band mehr als genug.