Kaffeemarkt Mexiko: Der Wettlauf um die Bohne

Nr. 16 –

Ernteausfälle infolge des Klimawandels treiben die Kaffeepreise in die Höhe. Doch die KleinbäuerInnen in Mexiko profitieren nicht davon: Weder Fairtrade-Organisationen noch Nahrungsmittelkonzerne wie Nestlé zahlen Preise, die ein Überleben ermöglichen.

Auf der Website von Nestlé findet man wunderbare Bekenntnisse zur Nachhaltigkeit. Doch die Firmenpolitik sieht in der Realität anders aus. So hat Nestlé beispielsweise im Kaffeeland Mexiko Schritte eingeleitet, die für viele KleinbäuerInnen und Kaffeekooperativen verheerende Folgen haben.

Der Nahrungsmittelgigant mit Sitz im waadtländischen Vevey hat in Mexiko eine marktbeherrschende Stellung auf dem Kaffeemarkt: Achtzig Prozent des landesweiten Konsums besteht aus löslichem Kaffee. Davon besitzt Nestlé mit seiner Marke Nescafé einen Marktanteil von achtzig Prozent. Den Rest teilen sich die US-amerikanischen Grossunternehmen Philipp Morris und Kraft mit einigen regionalen Marken. Für seinen Nescafé importiert Nestlé seit Jahren billigen Rohkaffee der Sorte Robusta aus Brasilien, Vietnam, Indonesien und Ecuador, rund 7600 Tonnen jährlich. Diese Billigimporte halten die Preise in Mexiko niedrig. So zahlt Nestlé auch für den in Mexiko angebauten Robusta sehr tiefe Preise, nämlich sechs bis sieben Pesos (75 Rappen) pro Kilo Rohkaffee. Seit Jahren protestieren die KleinbäuerInnen gegen diese Dumpingpreise, jedoch erfolglos.

Nestlé lässt sich davon nicht beirren und ist dabei, ein im Jahr 2003 begonnenes Grossanbauprojekt in der Region Tezonapa, im Bundesstaat Veracruz, umzusetzen. Auf diese Weise will der Nahrungsmittelkonzern noch preiswerter an den begehrten Robusta kommen. Dieser schmeckt zwar nicht so gut wie die edlere Sorte Arabica und erzielt deshalb niedrigere Preise. In der Region Tezonapa - sie grenzt an die Provinz Oaxaca - wurde bisher Arabicakaffee angebaut, denn dieser wächst in Höhen ab 800 Meter besonders gut. Robusta hingegen wächst in tiefer gelegenen Gegenden. Nestlé erwartet nun von den BäuerInnen dort, dass sie ihre Arabicapflanzen vernichten und neue Robustapflanzen setzen, die aber erst in vier bis fünf Jahren geerntet werden können.

So kalkuliert Nestlé

Das Unternehmen stellte den Campesinos bei der Präsentation des Projekts im Jahr 2003 hohe Absatzzahlen in Aussicht und fuhr mit vier grossen LKWs vor, um Süssigkeiten an die Kinder zu verteilen. Nestlé-Chef Peter Brabeck-Letmathe versprach zudem ein neues Schulhaus. Die Robustasetzlinge wurden in einem französischen Kaffeelabor geklont und schliesslich in Tezonapa ausgebracht. Im Jahr 2019 will Nestlé dort bis zu 69 000 Tonnen Robustakaffee jährlich ernten, mehr als die derzeitige gesamte mexikanische Arabicakaffee-Produktion. Doch viele KaffeebäuerInnen wehren sich gegen das Vorhaben, weil Nestlé weder Preis- noch Absatzgarantien anbietet. Die grosse unabhängige BäuerInnenorganisation CIOAC (Central Independiente de Obreros Agricolas y Campesinos) hat deshalb Delegierte in den Betriebsrat der Anlage entsandt, die auch die Nestlé-Bohnen verarbeitet. Sie wollen gegen das Nestlé-Projekt stimmen. Nestlé hat seinen lokalen Berater in der Kooperative inzwischen wieder abgezogen.

Warum will Nestlé den Anbau von Robusta in Mexiko durchsetzen? Der Plan der USA für eine Freihandelszone, die ganz Lateinamerika und die Karibik mit Ausnahme Kubas umfassen soll - ALCA (Area de Libre Comercio de las Américas) -, lässt Nestlé hoffen, künftig den ganzen lateinamerikanischen Markt mit billig produziertem Nescafé überschwemmen zu können. Um seinen ohnehin schon riesigen Marktanteil noch zu vergrössern, kauft Nestlé zudem in ganz Lateinamerika Kaffeefirmen auf und schliesst die Konkurrenzbetriebe.

Dies war etwa 2003 in El Salvador der Fall, als Nestlé die alteingesessene Firma Café Listo kaufte, dichtmachte und dabei rund hundert MitarbeiterInnen auf die Strasse setzte. Dafür gibt es nun die Marke «Nescafé Listo» - hergestellt in Brasilien. Selbst eigene Produktionsanlagen werden nicht verschont. So wurden bereits in Argentinien und Chile Nescafé-Fabriken geschlossen - diese Länder werden nun ebenfalls von Brasilien aus beliefert, wo Nestlé kürzlich vierzig Millionen Franken investiert hat.

Die mexikanischen KleinbäuerInnen geraten zunehmend in die Abhängigkeit grosser Nahrungsmittelkonzerne. Die Kaffeepreise sind im Keller, seit 1989, als das internationale Kaffeeabkommen durch den Druck der USA zusammenbrach, das bisher Angebot und Nachfrage mit einem einigermassen festen Preisrahmen regelte. Seither herrscht der freie Markt, das heisst, die Kaffeebörsen in New York und London bestimmen den Preis der braunen Bohne.

Im Hochland von Chiapas ist dieses Jahr aufgrund von Klimaschwankungen und der Auswirkungen der Hurrikane Wilma und Stan eine schlechtere Ernte zu erwarten. Da die Konzerne auf die guten Arabicaqualitäten angewiesen sind, versuchen sie, über lokale Aufkäufer an die nötigen Mengen zu kommen. Der Preis schoss deshalb kurzfristig nach oben. Der meiste Profit bleibt jedoch beim Zwischen- und Grosshandel hängen, die KleinbäuerInnen haben wenig davon. Die mexikanischen KaffeebäuerInnen sind zu achtzig Prozent Indigene in den Bundesstaaten Guerrero, Oaxaca, Chiapas, San Luis Potosi, Nayarit, Colima und Jalisco, die seit je zu den armen Zonen Mexikos zu rechnen sind und infolgedessen immer wieder von Aufständen und Auseinandersetzungen betroffen sind.

Ausgerechnet Konzerne wie Nestlé und Starbucks engagieren sich nun mit Kleinprojekten im Fairtrade-Bereich. Nestlé beispielsweise hat im Oktober 2005 erstmals ein Fairtrade-Label für die Marke Partner’s Blend bekommen, die auf dem englischen Markt vertrieben wird. Nestlé reagierte damit auf eine Öffentlichkeitskampagne der internationalen Hilfsorganisation Oxfam, die den Konzern wegen seiner Einkaufspolitik und Preisdrückerei anprangerte. Die Labelverleihung an Nestlé ist auch innerhalb der weltweiten Labelorganisation Fair Label Organisation (FLO), die das Nestlé-Produkt mit ihrem Gütesiegel versehen hat, umstritten. Die FLO-Partnerorganisation Comercio Justo México etwa war gegen den Fairlabel-Vertrag mit Nestlé gewesen, sagt deren Vorsitzender Jeronimo Pruijn. Man kenne den Konzern ja eher als Auftraggeber der Zwischenhändler, die die Kooperativen unter Druck setzen: «Wir nehmen einen Container Fairtrade-Kaffee und die restlichen zehn Container zu Weltmarktbedingungen, sonst gehen wir woanders hin.» So oder ähnlich erpressten die Zwischenhändler - «Coyotes» genannt - die KaffeebäuerInnen, berichtet Fernando Celis von der mexikanischen Kaffee-KleinbäuerInnenorganisation CNOC (Coordinadora Nacional de Organizaciones Cafetaleros). Mariano Santis von der Kooperative OTPC (Organizacion Tzeltal Productores de Café) in Chiapas sagt, dass selbst die derzeitigen Fairtrade-Mindestpreise nicht ausreichen, um eine Familie zu ernähren. Hinzu komme die miserable Ernte, die im Erntezyklus 2006/07 aus Klimagründen um fünfzig Prozent eingebrochen ist. 1.50 Franken pro Pfund plus 20 Rappen Aufschlag für Biokaffee kommen nicht an die derzeit relativ hohen Weltmarktpreise heran. Der Grund: Die Anpassung der Preise für Fairtrade- oder Biokaffee an die Weltmarktpreise durch die Handelspartner erfolgt immer mit einer zeitlichen Verzögerung.

Sofort Geld auf die Hand

Auch in Chiapas regt sich deshalb Widerstand, nicht gegen die Kaffeekonzerne, sondern gegen die Fair-Label-Organisation und deren internationalen Mitgliederorganisationen. Die niedrigen Abnahmepreise und die hohen Gebühren der FLO sowie der Bio-Zertifizierungsorganisation Certimex (Certificadora Mexicana de Productos y Procesos Ecológicos) machen den Kooperativen zu schaffen. Noch mehr Angst macht den KleinbäuerInnen die Idee der FLO, auch die Grossgrundbesitzer in den fairen Handel einzubeziehen. Dies und der Eindruck, dass die FLO sich zunehmend internationalen Konzernen wie Nestlé annähere, führen zu einem immer stärkeren Vertrauensverlust bei den Produzenten und KonsumentInnen. Viele KleinbäuerInnen, die bisher bei Fairtrade mitmachten, verkaufen inzwischen wieder an die «Coyotes», die Zwischenhändler der Kaffeekonzerne. Durch den Ernteeinbruch sind auch diese unter Druck geraten, denn sie brauchen die guten Arabicaqualitäten, und die Preise stiegen im Dezember und Januar kräftig an. Für die KleinbäuerInnen, die auch «normale» Kooperativen beliefern, ist es häufig einfacher, an «Coyotes» zu verkaufen, denn sie bekommen sofort Geld auf die Hand - noch dazu zum selben Preis wie beim Fairtrade-Partner.

Noch schlechter sieht es für die KaffeebäuerInnen aus, wenn sie ihren Kaffee als «nur Bio» verkaufen. Viele Bioimporteure zahlen keine fairen Preise. Doch der Bioanbau ist nicht nur sehr arbeits-, sondern auch kostenintensiv. Deshalb können viele KleinbäuerInnen in der Erntezeit keine weiteren Hilfskräfte bezahlen. Oft stehen auch gar keine WanderarbeiterInnen mehr zur Verfügung. Sie sind schon längst in die USA abgewandert, wo der Stundenlohn fünfmal höher liegt als in Mexiko.

Der alternative Handel hingegen regierte schnell auf den lokalen Preisanstieg. Er ist nicht mit dem Transfair-Siegel versehen und somit auch nicht an dessen Regeln gebunden, die er als zu marktkonform ablehnt. So zahlen zum Beispiel US-amerikanische und kanadische alternative Händler wie die Cloudforest Initiative und Cooperate Coffees den zapatistischen Kaffeekooperativen in Chiapas bis zu zwei Franken pro Pfund, ebenso die Hamburger Kaffee-Libertad-Kooperative und der Schweizer Verein Café Rebeldia. In diesem Preis inbegriffen ist ein fixer Betrag, der in lokale Sozialprojekte fliesst.

Angesichts der schlechten Ernte und der Konkurrenz durch die «Coyotes» sind auch die alternativen Händler zu Preisaufschlägen gezwungen. Inzwischen kaufen sogar grosse Kooperativen in Mexiko von kleineren Kooperativen Kaffee auf, um die eigenen Lieferverträge erfüllen zu können. Im Hochland von Chiapas hat ein Wettrennen um die wertvollen Kaffeebohnen begonnen.