Agrarfreihandel: Eine Banane ist eine Banane – Details unerwünscht

Nr. 39 –

Mit dem Ja zur Ernährungssicherheit werden nachhaltige Handelsbeziehungen in die Verfassung geschrieben. Was wären die Konsequenzen dieses Artikels, wenn man ihn ernst nähme?

Zitrusfrüchte aus Griechenland: Ein Fairtrade-Label ändert wenig an den ungerechten Strukturen im globalen Lebensmittelmarkt. Foto: Alamy

Wenigstens über ein Abstimmungsresultat dieses Sonntags kann sich Maya Graf freuen: Der «Bundesbeschluss über die Ernährungssicherheit» ist klar angenommen worden. «Damit steht der nachhaltige Handel erstmals in der Verfassung», sagt die grüne Baselbieter Nationalrätin. Sie meint den Satz, der im Vorfeld in bäuerlichen Kreisen für kontroverse Diskussionen sorgte: Der Bund schaffe Voraussetzungen für «grenzüberschreitende Handelsbeziehungen, die zur nachhaltigen Entwicklung der Land- und Ernährungswirtschaft beitragen» (siehe WOZ Nr. 35/2017 ).

Fairer Handel sei «der dritte Weg zwischen Abschottung und unreguliertem Freihandel», sagt Graf. «Wir brauchen ökologische und soziale Standards für die fünfzig Prozent Lebensmittel, die wir importieren. Und wir brauchen einen Handel, der die Uno-Nachhaltigkeitsziele und das Pariser Klimaabkommen berücksichtigt.» Der Ernährungssicherheits-Bundesbeschluss wird zwar keine direkten Folgen auf Gesetzesebene haben, das haben Bundesrat und Parlament bereits im Vorfeld beschlossen. Trotzdem: Was würde es bedeuten, den neuen Verfassungsartikel ernst zu nehmen?

Das heutige Agrarhandelsregime führt offensichtlich nicht zu einer nachhaltigen «Land- und Ernährungswirtschaft». Grosse Konzerne dominieren, es herrscht ein gnadenloser Preisdruck, fast überall auf der Welt kämpfen kleine und mittlere Bauernbetriebe ums Überleben, und LandarbeiterInnen schuften zu Hungerlöhnen, auch in Europa. Die Jagd nach immer billigeren Lebensmitteln zerstört Böden, führt zu Tierquälerei und absurden Transporten. Wie könnten vor diesem Hintergrund positive Handelsbeziehungen aussehen? Und wie liessen sie sich umsetzen?

Die faire Nische

Eine, die sich schon lange mit diesen Fragen beschäftigt, ist Elisabeth Bürgi Bonanomi. Die Völkerrechtsexpertin arbeitet am Zentrum für Umwelt und Entwicklung (CDE) der Universität Bern. Auch sie begrüsst das Ja an der Urne: «Bisher steht nirgends, nach welchen Zielsetzungen der Bund Handelsabkommen aushandeln soll. Der Bundesrat stellt die wirtschaftlichen Interessen der Schweiz in den Vordergrund und lässt sich stark von Lobbys leiten.»

Klar ist für Bürgi: «Die verletzlichsten Marktteilnehmer brauchen Schutz, auch durch Zölle und Subventionen.» ProduzentInnen aus dem globalen Süden bräuchten aber auch Marktzugang zu den reichen Ländern: «Ich habe in Bolivien geforscht. Kleine, ökologisch und sozial orientierte Produzenten kommen dort nicht voran; sie haben weder im Inland noch im Ausland einen genügenden Markt.» Um solche ProduzentInnen zu fördern, sei ein stärkeres Engagement der Staaten nötig: «Der faire Handel ist heute ein privat organisierter Nischenmarkt. Die Staaten halten sich raus. Sie sollten sich aber einmischen und Anreize für nachhaltig produzierte Lebensmittel schaffen. Damit würde auch den internationalen Umwelt- und Menschenrechtsverträgen Rechnung getragen.»

Hier droht allerdings ein Konflikt mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO). Für die WTO gilt: Eine Banane ist eine Banane, egal ob sie biologisch, mit Fairtrade-Label oder konventionell angebaut wurde. Darum wird eine Billigbanane am Zoll grundsätzlich gleich behandelt wie eine nachhaltige. «Trotzdem lässt das WTO-Recht Spielraum für tarifarische Unterscheidungen, wenn dies geschickt gemacht wird. Die Länder müssen einfach konsistent und nichtdiskriminierend vorgehen. Das heisst, sie müssen sicherstellen, dass sie auch im Inland die Nachhaltigkeitsstandards einhalten, die sie von den Partnerländern verlangen.»

Die WTO-Mitgliedstaaten verpflichteten sich 1995, ihre Agrarsubventionen und -zölle nicht mehr zu erhöhen. Damit wurde eine sehr unfaire Ausgangslage in Stein gemeisselt. Denn viele arme Länder waren in den Jahren zuvor von der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds gezwungen worden, ihre Märkte zu öffnen. Die meisten reichen Länder haben ihre Zölle hingegen auf hohem Niveau fixiert.

Chancen für die Länder des Südens sieht Elisabeth Bürgi beim Handel mit verarbeiteten Produkten. «Heute exportieren sie vor allem Rohwaren. Das liegt auch daran, dass Zölle für verarbeitete Lebensmittel in vielen Industrieländern hoch sind, in der Schweiz zum Beispiel bei geröstetem Kaffee und Schokolade. Auch die Lebensmittelstandards sind zu streng und schliessen viele aus. Für Entwicklungsländer wäre es jedoch zentral, genau solche verarbeiteten Produkte mit hoher Wertschöpfung in unsere Länder exportieren zu können.»

Der Händler macht den Preis

Solidaritätsbewegungen begannen in den Jahren nach 1968, die ungleichen Handelsbeziehungen zwischen Nord und Süd anzuprangern – etwa die Bananenfrauen in Frauenfeld. Viele Gruppen importierten bald selbst Lebensmittel aus dem Süden und versuchten, einen fairen Austausch zu entwickeln; aus den Bananenfrauen wurde die Gebana AG. Heute gibt es international anerkannte Fairtrade-Labels, und die Gebana ist eine international tätige Firma mit mehreren Tochterfirmen, insgesamt 620 Mitarbeitenden (davon 30 in der Schweiz) und 26,5 Millionen Euro Umsatz.

Gebana-Marketingleiterin Sandra Dütschler sieht die Entwicklung hin zu Fairtrade-Labels kritisch: «Labels sind zweifellos wichtig für die Sensibilisierung der Leute. Aber sie sind kein Allheilmittel – sie sind teuer und schwierig umzusetzen. Dadurch eignen sie sich vor allem für grosse Produzenten. Die kleinen können sich Zertifizierung und Kontrolle nicht leisten.» Und an den ungleichen Strukturen ändere ein Fairtrade-Label wenig: «Solange der Handel über so viele Zwischenstufen läuft, geht es jedem nur darum, Risiko und Verantwortung nach unten abzuschieben.» Direkte Kontakte und langfristige Zusammenarbeit mit den ProduzentInnen seien hilfreicher als Labels.

Dazu kommt: Achtzig Prozent der Schweizer Lebensmittelimporte stammen aus der EU. Und für Industrieländer gibt es bis heute keine Fairtrade-Labels, obwohl die Arbeitsbedingungen von ErntehelferInnen etwa in Spanien und Süditalien genauso prekär sind wie in Entwicklungsländern – und die ProduzentInnen den Handelsfirmen genauso ausgeliefert.

Davon kann auch Sandra Dütschler berichten. Gebana bezieht seit 2013 Zitrusfrüchte von griechischen BiobäuerInnen. «Da geht es um Grundlegendes: dass sich die Abnehmer an Preisabmachungen halten – und dass sie überhaupt bezahlen.» Für die griechischen ProduzentInnen sei das nicht selbstverständlich: «Vorher verkauften sie ihre Früchte an Zwischenhändler. Die Händler machten den Preis, wenn die Früchte reif waren – wer ihn nicht akzeptierte, konnte zusehen, wie sie verfaulten.»

«Das ist Sklavenarbeit»

Noch viel Schlimmeres hat Tina Goethe zu erzählen. Die Mitarbeiterin des Hilfswerks Brot für alle hat kürzlich Ölpalmenplantagen in Westafrika besucht – meist liegen sie auf Land, das sich Firmen unter den Nagel gerissen haben, ohne die lokale Bevölkerung zu fragen. Es gebe Klagen über die Arbeitsbedingungen auf den Plantagen, fehlende Kompensationen für das Land und sexuelle Übergriffe, sagt Goethe. «Die Firmen können machen, was sie wollen. Wer sich wehrt, wird verhaftet. «‹Für uns sind das keine Jobs, das ist Sklavenarbeit›, hat ein ehemaliger Plantagenarbeiter in Sierra Leone zu mir gesagt.»

Das Verrückte daran: Die beteiligten Firmen Socfin und Golden Veroleum sind Mitglieder des Runden Tisches für nachhaltiges Palmöl (RSPO), einer Non-Profit-Initiative, die die Palmölproduktion ökologischer und sozialer machen soll. «Aber die Betroffenen sagen: Wir wollen keine Nachhaltigkeitsstandards, wir wollen unser Land zurück», sagt Goethe. «Und bei uns fragen die Grossverteiler: Wo ist das Problem, wir haben ja nachhaltig zertifiziertes Palmöl.» Sie ist inzwischen überzeugt: lieber gar kein Label als ein derart schlechtes.

Darum ist Goethe auch sehr skeptisch, was die geforderten Nachhaltigkeitsstandards für den Handel angeht. «Ich kenne einfach sehr wenige Beispiele dafür, dass internationaler Handel arme Kleinbauern in Entwicklungsländern wirklich gefördert hat, denn er findet nie auf Augenhöhe statt. Er wird von Konzernen wie Nestlé und Unilever dominiert. Es ist viel sinnvoller, Zugang zu regionalen Märkten zu schaffen, über die die Produzenten eine gewisse Kontrolle haben.»

Tina Goethe betont: «Klar – kein Handel ist keine Option. Aber Handel ist kein Selbstzweck, nicht jeder Marktzugang ist gut.» Die Produktion von «cash crops» – Agrarrohstoffen für den Export – gehe oft auf Kosten der Lebensmittel für die eigene Ernährung. «Es ist wichtig, Fragen zu stellen: Wie viel Handel ist sinnvoll? Wer arbeitet für wen? Und welche Ressourcen werden für wen verbraucht?»

Fairfood-Initiative : Verbindliche Regeln für Importlebensmittel

Für die Biobäuerin und grüne Nationalrätin Maya Graf ist klar: «Das ganze Lebensmittelangebot muss nachhaltig werden, das hier produzierte und das importierte. Es darf nicht bei schönen Worten bleiben.» Doch genau diese Gefahr besteht bei der soeben angenommenen Ernährungssicherheitsvorlage. Mit der Fairfood-Initiative, die sie im Oktober 2016 eingereicht haben, wollen die Grünen konkrete Massnahmen und verbindliche Standards festlegen.

Im Initiativtext heisst es: «Der Bund stärkt das Angebot an Lebensmitteln, die von guter Qualität und sicher sind und die umwelt- und ressourcenschonend, tierfreundlich und unter fairen Arbeitsbedingungen hergestellt werden.» Der Bund soll Anforderungen an Produktion und Verarbeitung festlegen und bei Importen «Erzeugnisse aus fairem Handel und bodenbewirtschaftenden bäuerlichen Betrieben» begünstigen – zum Beispiel mit abgestuften Zöllen und bei der Vergabe von Zollkontingenten. Weitere Punkte sind die Deklaration der Produktionsweise, Zielvereinbarungen mit der Lebensmittelbranche und die Förderung von Verarbeitung und Vermarktung regionaler und saisonaler Lebensmittel.

Der letzte Punkt liegt Maya Graf besonders am Herzen: «Bei uns im Baselbiet möchten viele Hochstammproduzenten ihre Früchte in kleinen Mengen verarbeiten, zum Beispiel Kirschen entsteinen und trocknen. Dafür gibt es aber keine Verarbeiter mehr. Solche Projekte soll der Bund unterstützen, damit die Wertschöpfung in den Regionen bleibt.»

Am Dienstag hat der Nationalrat über die Initiative beraten. Die Grünen hatten einen schweren Stand. «Eine von der Schweiz geführte globale Lebensmittelkontrolle kann sich kaum jemand vorstellen – die Schweiz als Weltpolizist in Lebensmittelqualitätsfragen», kritisierte etwa Heinz Siegenthaler (BDP Bern). «Diesen Initiativtext kann man protektionistisch auslegen», bemängelte Beat Jans (SP Basel-Stadt). Die Initiative sei nicht umsetzbar und nicht mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) vereinbar, so der Tenor. Allerdings hat die Berner Völkerrechtsexpertin Elisabeth Bürgi Bonanomi (vgl. Haupttext «Eine Banane ist eine Banane – Details unerwünscht») in einer Studie gezeigt, dass es im WTO-Recht durchaus Spielraum gibt für solche Anliegen. Die Parlamentsdebatte geht am Erscheinungstag dieser WOZ weiter.

Bettina Dyttrich