Fairer Handel: Max und die Verheissungen des Weltmarkts

Nr. 42 –

Der faire Handel ist im Umbruch: Um weiter wachsen zu können, arbeitet das Fairtrade-System immer mehr mit Multis zusammen. Nicht nur entwicklungspolitische Organisationen sind alarmiert, sondern auch Coop.

Grund zum Feiern: Max Havelaar wird 20. Foto: Pressebild Max Havelaar

Werden Schokoriegel von Nestlé oder Mars mit dem blau-grünen Fairtrade-Label bald zum Schweizer Konsumalltag gehören? Besonders PionierInnen des fairen Handels ist diese Vision ein Graus. Und so stellen denn etwa der Verein für fairen Handel Terrafair und die Weltläden die aktuellen Entwicklungen innerhalb des Fairtrade-Systems infrage: Die schweizerische Max-Havelaar-Stiftung und die Dachorganisation Fairtrade International würden mit ihrer Wachstumsstrategie und der Zusammenarbeit mit Lebensmittelmultis einen Grundgedanken des fairen Handels über Bord werfen – nämlich den, einen Beitrag zur Herausbildung eines neuen Weltwirtschaftssystems zu leisten, in dem nicht zuletzt KleinbäuerInnen bessergestellt würden (vgl. «Mindestpreis und Prämien» im Anschluss an diesen Text).

Befreiung aus der Nische

Selbst der schweizerische Grossverteiler Coop begibt sich in Stellung: «Coop setzt auf Fairtrade Max Havelaar, weil das Label die strengsten Standards in Bezug auf faire Handelsbeziehungen hat», sagt Denise Stadler, Leiterin der Coop-Medienstelle. «Für den Fall, dass dies eines Tages nicht mehr so sein sollte, müssten wir uns überlegen, ob Coop seine Vision für fairen Handel noch ausschliesslich mit Max Havelaar umsetzen wird.» Anders gesagt: Das Detailhandelsunternehmen Coop – massgeblich an der Gründung der Max-Havelaar-Stiftung beteiligt –, das mittlerweile fast 300 Fairtrade-Produkte im Angebot hat und mit 158 Millionen Franken für fast die Hälfte des Fairtrade-Umsatzes in der Schweiz verantwortlich ist, kann sich eine Zukunft ohne Max Havelaar vorstellen.

Was ist los? Eigentlich gar nicht so viel, findet Bernhard Herold, der stellvertretende Geschäftsleiter der Max-Havelaar-Stiftung: «Derzeit wird zwar auf internationaler Ebene eine erweiterte Wachstumsstrategie diskutiert; im Fairtrade-System gibt es aber schon länger einen klaren Konsens, dass wir wachsen wollen, damit mehr Kleinbauern und Arbeiter vom fairen Handel profitieren können.» In der Tat ist die Zusammenarbeit von Fairtrade International mit transnationalen Unternehmen nichts Neues: Bereits 2009 lancierten der weltweit zweitgrösste Süsswarenhersteller Cadbury und der weltgrösste Nahrungsmittelkonzern Nestlé im anglofonen Raum je einen Schokoriegel mit dem Fairtrade-Label. Auch die weltgrösste Kaffeehauskette Starbucks bezieht seit 2010 ihren Espressokaffee für den europäischen Markt aus dem fairen Handel. Und seit letztem Jahr gibt es einen Vertrag mit dem Süsswarenmulti Mars. Kein Wunder, ist auch dadurch der Verkauf von Fairtrade-Produkten in den letzten Jahren deutlich gewachsen – 2011 weltweit (wie auch in der Schweiz) um zwölf Prozent.

Andrea Hüsser von der entwicklungspolitischen Organisation Erklärung von Bern (EvB) begrüsst dieses Wachstum im Prinzip. Doch die Zusammenarbeit mit global operierenden Unternehmen berge einige Risiken, nicht zuletzt das sogenannte Greenwashing: «Transnationale Unternehmen lassen oft nur einen kleinen Teil ihrer Produkte zertifizieren, können damit den Konsumenten aber suggerieren, dass das gesamte Unternehmen dem Fairtrade-Gedanken verpflichtet sei.» Darunter würde auch die Glaubwürdigkeit des Fairtrade-Labels leiden. Zudem haben Grossabnehmer naturgemäss eine riesige Marktmacht: «Sie können den Produzenten ihre Bedingungen aufzwingen», sagt Hüsser, «zum Beispiel, indem sie ihnen nur ein Viertel der Ernte mit Fairtrade-Prämie abkaufen und den Rest lediglich zum Marktpreis.»

«Glaubwürdige Umstellungsstrategie»

«Unsere Standards müssen auf jeden Fall eingehalten werden, unabhängig davon, wer der Abnehmer der Produkte ist», entgegnet Bernhard Herold von Max Havelaar. So sei es gemäss Standard etwa verboten, dass ein Händler den Kauf von Rohstoffen zu Fairtrade-Konditionen davon abhängig macht, dass der Produzent gleichzeitig auch konventionelle Ware zu für ihn unvorteilhaften Bedingungen, also zu Dumpingpreisen, verkauft. Dies werde auch kontrolliert. «Und dass ihnen Greenwashing vorgeworfen werden könnte, wissen die Multis sehr genau», sagt Herold. Fairtrade International verlange von den Multis sowieso eine verbindliche, glaubwürdige Umstellungsstrategie.

Anderseits sei es gar nicht möglich, dass Grossunternehmen von einem Tag auf den andern ihre gesamten Rohstoffe aus dem Fairtrade-System beziehen – dazu fehle schlichtweg das Angebot, sagt Herold: «Wenn aber Nestlé einen Plan vorlegt, zu welchem Zeitpunkt und in welchen Märkten es beispielsweise den Kit-Kat-Riegel in Fairtrade-Qualität einführen wird, können wir aktiv auf Kakaoproduzenten zugehen und ihnen die Sicherheit geben, dass sich eine Fairtrade-Zertifizierung für sie lohnt.» Die Zertifizierung ist für Kleinbauernkooperativen oder Plantagen aufwendig und nicht billig.

Und Coop? Der Grosshändler dürfte nicht zuletzt die Konkurrenz anderer Grossverteiler fürchten: Die Migros holt im Nachhaltigkeitsbereich auf, und selbst Discounter wie Aldi liebäugeln mit einem Fairtrade-Angebot. Doch es geht auch um Glaubwürdigkeit: «Unsere Kundinnen und Kunden schenken dem Gütesiegel ‹Fairtrade Max Havelaar› zu Recht praktisch uneingeschränktes Vertrauen», sagt Coop-Medienchefin Denise Stadler. «Das ist nicht selbstverständlich.»

Wenn die Standards des Fairtrade-Labels nicht gelockert werden, hat Coop keine Bedenken gegenüber einer Ausweitung der Zusammenarbeit mit Multis: «Unsere Vision des fairen Handels bezieht sich zwar primär auf unsere Eigenmarken», sagt Stadler. «Es ist uns aber auch wichtig, dass grosse Marktplayer respektvollen Handel betreiben. Wir haben deshalb schon heute Markenartikel mit dem Max-Havelaar-Gütesiegel im Sortiment.»

Ob Max Havelaar und Fairtrade International ihren hohen Standard langfristig halten können, ist jedoch fraglich. Dem Fairtrade-System machen globale konkurrierende Labels zu schaffen, die tiefere Standards haben, zum Beispiel die Rainforest Alliance oder UTZ Certified. Diese Konkurrenz ist möglicherweise ebenfalls ein Antrieb für Fairtrade International, die Zusammenarbeit mit globalen Unternehmen zu forcieren.

Doch je mehr sich die Fairtrade-Bewegung vom Nischen- in den Weltmarkt begibt, desto mehr ist sie der Marktmacht der Multis ausgesetzt: «Konzerne haben immer bessere Marktkenntnisse als Produzenten», sagt Andrea Hüsser von der EvB. «Zum Beispiel beziehen sie ihre Rohstoffe über spezialisierte Zwischenhändler.» Diese müssten zwar die Mindeststandards des fairen Handels erfüllen, würden sich sonst aber oft nicht weiter für die Produzenten engagieren.

Hier Kooperativen, da Plantagen

Bei Tee, Bananen, Blumen und Ananas können sich nicht nur Kleinbauernkooperativen zertifizieren lassen, sondern seit über zehn Jahren auch Plantagen mit lohnabhängigen ArbeiterInnen. Schon der Einschluss von Plantagen sei eine Abkehr vom ursprünglichen Fairtrade-Gedanken gewesen, kritisieren PionierInnen des fairen Handels. Herold von Max Havelaar verteidigt auch diesen Schritt: «Bei bestimmten Produkten gibt es keine anderen Strukturen als Plantagen; vor allem im Blumensektor bestehen zum Teil sehr schlechte Arbeitsbedingungen. Es wäre unfair, vorbildliche Produzenten nicht zum Fairtrade-System zuzulassen.» Nur im Bananensektor räumt Herold ein Spannungsverhältnis zwischen Kooperativen und Plantagen ein. «Aber die Kleinproduzenten konnten sich gut halten, was auch damit zusammenhängt, dass unsere Anforderungen an Plantagen klar höher sind», sagt Herold. «Die zertifizierten Kooperativen können die grosse weltweite Nachfrage nach Fairtrade-Bananen auch gar nicht allein befriedigen.»

Die Produzenten seien stark in die strategischen Prozesse involviert. «Letztes Jahr konnten die Vertreter lateinamerikanischer Kaffeekooperativen die Forderung von Fairtrade USA abblocken, auch im Kaffeesektor privatwirtschaftliche Plantagen zuzulassen», sagt Herold. In der Folge hat die US-amerikanische Schwesterorganisation das Fairtrade-System verlassen – und ist nun ein neuer Konkurrent auf dem Labelmarkt.

Wie stark die Stimme von KleinbäuerInnen in der aktuellen Strategiediskussion ist und wie das Fairtrade-System auf die zunehmende Konkurrenz und die Verheissungen des Weltmarkts reagiert, wird sich im nächsten Frühling zeigen. Etwa dann dürfte der Vorstand von Fairtrade International die neue Wachstumsstrategie verkünden.

Das Fairtrade-System: Mindestpreis und Prämien

Nein, Max Havelaar hat den fairen Handel nicht erfunden. Die Person Havelaar gibt es nur in einem Roman, den der niederländische Schriftsteller Eduard Douwes Dekker 1860 veröffentlichte. Die Karriere des fiktiven Kolonialbeamten Max Havelaar auf Java in Niederländisch-Indien endet, als er schwere Verfehlungen seiner Vorgesetzten aufdeckt und das gesamte Kolonialsystem infrage stellt.

Die Romanfigur hat die reale Fairtrade-Bewegung inspiriert. Nach holländischem Vorbild entstand 1992 auch in der Schweiz eine Max-Havelaar-Stiftung – gegründet von sechs grossen Schweizer Hilfswerken. Wurde die Organisation anfänglich vom heutigen Staatssekretariat für Wirtschaft unterstützt, kann sie sich seit zehn Jahren durch die Lizenzeinnahmen selbst finanzieren.

Heute gibt es im Fairtrade-System neunzehn Landesorganisationen wie Max Havelaar. Sie vergeben das Label für zertifizierte Fairtrade-Produkte, betreiben aber selbst keinen Handel. Zusammen mit drei Produzentennetzwerken sind sie Mitglied der Dachorganisation Fairtrade International, die insbesondere die Fairtrade-Standards für Produzenten (KleinbäuerInnen und Plantagen) und Händler festsetzt.

Zentrale Aspekte des Handelsstandards sind erstens ein Mindestpreis, der zum Tragen kommt, wenn der Weltmarktpreis des Produkts unter eine festgelegte Marke fällt, und zweitens eine fixe Fairtrade-Prämie, die ebenfalls der Importeur bezahlt. 2011 wurden weltweit 65 Millionen Euro Prämien ausbezahlt. Neben den 1,2 Millionen Kleinbauern und Arbeiterinnen sollen davon auch die Gemeinden im Umfeld der Produzenten durch soziale Entwicklung profitieren, insbesondere im Bildungs- und Gesundheitsbereich.