Übergriffe auf Demonstrantinnen: Knall ohne Warnung
Seit die Polizei Gummigeschosse einsetzt, hat es immer wieder schwere Verletzungen gegeben. Jetzt stehen zwei Berner Polizisten vor Gericht.
Am 16. Dezember 2003 vermeldete der Mediendienst der Stadtpolizei Bern einen ganz gewöhnlichen Einsatz gegen eine unbewilligte Kundgebung: «Die Stadtpolizei verwehrte den Kundgebungsteilnehmenden den Zutritt zur Bern Arena. Bei einem Durchbruchsversuch setzte sie Gummischrot und Reizstoff ein.»
Im Assisensaal, dem grössten Verhandlungsraum des Berner Amtshauses, hat dieser Gummischroteinsatz am Mittwoch und Donnerstag der Erscheinungswoche dieser WOZ ein gerichtliches Nachspiel. Zwei Polizisten müssen sich wegen schwerer Körperverletzung verantworten: der eine, weil er den Einsatz anordnete und die «Mittel freigab», der andere, weil er ohne Vorwarnung und «unter Nichteinhaltung der Minimaldistanz» schoss. Nebenkläger und Geschädigter ist David Böhner, der von einem dieser Geschosse am Auge getroffen wurde und bleibende Schäden davontrug.
Warten auf Armeefans
Rund 200 Personen hatten sich am frühen Abend jenes 16. Dezembers 2003 vor dem Berner Eisstadion versammelt. Drinnen wurde mit Marschmusik, Fahnen und schneidigen Reden die Armee XXI «übergeben». Draussen wollte das Antikriegsbündnis die Militärfans mit Transparenten, selbstgebauten Panzern und Militärrössern aus Sperrholz und Pappmaché empfangen. Eine fantasievolle Kundgebung gegen Krieg und gegen den inneren Einsatz des Militärs hätte es werden sollen. Als die KundgebungsteilnehmerInnen eintrafen, war der grösste Teil der Armeefans schon in der Halle verschwunden. «Wir wollten sie zumindest beim Rauskommen noch mit unserem Protest konfrontieren und entschlossen uns zum Warten», schildert David Böhner.
Bei einer kurzen Runde um den Platz begann eine Gruppe der Demonstrierenden an einem Absperrgitter zu rütteln, hinter dem eine kleine Gruppe von PolizistInnen postiert war. «Eigentlich war das keine besonders dramatische Situation», sagt Böhner. Das Organisationskomitee der Kundgebung habe die Leute aber trotzdem aufgefordert, den Zaun in Ruhe zu lassen. «Als ich sah, dass da eine Gruppe von Polizisten zur Verstärkung herangelaufen kam, ging ich auf die Demonstrierenden zu, um sie zu warnen, weil sie die herannahenden Grenadiere nicht sehen konnten. Ich war da schon recht nahe an den Polizisten dran. Plötzlich hats geknallt, und ich war getroffen.»
Ein Passant hat Böhner dann ins Inselspital gefahren, wo man ihm eine Risswunde unter dem Auge nähte. Ein paar Wochen später begann sich die Netzhaut des verletzten Auges abzulösen. Böhner musste sich einer Operation unterziehen. Weil als Folge der Verletzung der Graue Star die Linse trübte, setzte man ihm ein Jahr danach eine künstliche Linse ein. Heute hat er auf diesem Auge nur noch eine Sehkraft von vierzig Prozent. «Das hat sich jetzt stabilisiert. Ich muss alle sechs Monate zur Kontrolle. Und man hat mir gesagt, dass es ein erhöhtes Risiko für weitere Komplikationen gibt.»
Aus kurzer Distanz
Im März 2004 erstattete er Anzeige. Die Kantonspolizei musste gegen ihre Kollegen von der Stapo ermitteln. Anders als bei vielen anderen Übergriffen auf DemonstrantInnen sind die Namen des Schützen und seines Vorgesetzten in diesem Fall bekannt. Böhners Anwalt Rainer Weibel sieht gute Chancen, eine Verurteilung der beiden Polizisten zu erreichen. «Wir können genügend klar beweisen, dass da ohne Warnung und aus sehr kurzer Entfernung geschossen wurde. Eine Notsituation, die diesen Gummischroteinsatz rechtfertigen würde, gab es nicht.»
Gummischrot gilt - nicht nur bei der Berner Polizei - weiterhin als eine der wichtigsten Waffen im «unfriedlichen Ordnungsdienst». David Böhner erwartet sich von einer Verurteilung der beiden Polizisten eine präventive Wirkung. «Wenn es im Moment politisch nicht möglich ist, den Einsatz von Gummigeschossen zu verbieten, dann soll die Polizei zumindest ihre eigenen Vorschriften beachten.»