FC St. Pauli: Wo der Präsident baggert

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Drei Runden vor Schluss steht der FC St. Pauli kurz vor dem Aufstieg in die Zweite Bundesliga. Dabei herrschte in den letzten Monaten beim Kultklub Chaos.

Nur noch drei Runden. Und der FC St. Pauli steht noch immer an der Spitze und also auf einem Aufstiegsplatz der Regionalliga. Noch ist nichts entschieden. Den Tabellenersten trennen immerhin sechs Punkte vom vierten Platz, dem ersten Nichtaufstiegsplatz. Es wäre eine Heilung, ja fast überlebenswichtig, nach Jahren der sportlichen und je länger, je mehr auch finanziellen Krise zurückzukehren in die Bundesliga, wenn es auch nur die Zweite ist. Doch selbst diese verspricht finanziellen Segen. Die letzten Monate hatten dem Klub eher den Ruin versprochen.

«Bye-bye, Littmann» stand auf den Plakaten, die Ultrafans beim DFB-Pokal-Halbfinale gegen Bayern München 2006 vor die Scheibe des Fernsehhäuschens hielten. Gemeint war Corny Littman, Präsident des FC St. Pauli. Waldemar Hartmann von der ARD befragte in der Halbzeitpause Holger Stanislawski zu der Aktion. Dieser, seinerzeit Sportdirektor des FC St. Pauli, wiegelte ab: Das seien Sticheleien der Fans, das gehöre dazu am Millerntor. Der FC St. Pauli definiert sich wie kein anderer deutscher Profiklub über seine Fans, die auch nach dem Niedergang ihren Kickern die Stange halten. Allerdings hatten die St. Pauli Ultras vom autoritären Führungsstil des Präsidenten mit Hang zur Selbstdarstellung schon vor einem Jahr genug.

Mittlerweile sind es nicht mehr nur die Ultras, bei denen der 54-jährige Littmann in Ungnade gefallen ist. Der Zoff um den exzentrischen Theaterchef, der seit vier Jahren ehrenamtlich das Amt des Präsidenten ausübt, ist eskaliert. Für Wochen versank der Drittligist im Chaos, weil es zum Streit zwischen Präsidium und Aufsichtsrat kam. Zwar konnte eine Mitgliederversammlung schlichten, aber es gibt nicht wenige, die bezweifeln, dass der Frieden hält.

Das Stadion als Hufeisen

Entfacht hat sich der Führungsstreit am geplanten Stadionneubau. Im Herbst 2006 präsentierte Präsident Corny Littmann das Vorhaben eines Neubaus des Millerntor-Stadions. Seine Pläne sehen vor, in den kommenden acht Jahren das Stadion in vier Bauabschnitten neu zu errichten. Erster Schritt sollte der Bau einer neuen Südtribüne sein. Die Rechnung ist folgende: Neben etwa 5000 Steh- und Sitzplätzen sollen rund tausend Lehnstühle installiert und unter dem Dach zehn Séparées errichtet werden - die plüschig-puffige Variante von VIP-Logen. Ein gutbetuchtes Publikum soll angelockt werden und für Mehreinnahmen von etwa 2,4 Millionen Euro pro Jahr sorgen. Die dienen als Eigenkapital für die Finanzierung der weiteren Bauabschnitte. Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust lobte das Vorhaben: «Es sieht auf den ersten Blick aus wie eine Wundertüte, ist aber sehr konservativ gerechnet.»

Im Dezember begann Littmann persönlich, mit einem Bagger die Südtribüne einzureissen, und machte daraus eine Show mit Feuerwerk und Lasereffekten. Seitdem ist das Millerntor ein Hufeisen, und wenn der Wind den Staub von der Baustelle aufwirbelt, ist es denkbar ungemütlich. Die Baustelle liegt seitdem brach. Denn der Abriss der Tribüne erfolgte, ohne dass die Finanzierung für den Neubau in trockenen Tüchern war. Die Vertragsverhandlungen mit Geldgebern zogen sich hin, und erst in der vergangenen Woche konnten die letzten Kontrakte unterzeichnet werden.

Auf Karibikkreuzfahrt

Mit dem Abriss der Südkurve wollte Corny Littmann offensichtlich Tatsachen schaffen und den Neubau forcieren, um sich als Macher zu präsentieren. Seine Amtszeit als Präsident endete eigentlich im März. Der Aufsichtsrat hatte sich geweigert, Littmann für eine erneute Kandidatur vorzuschlagen. Seit längerem schon gab es Spannungen zwischen dem Präsidenten und seinem Kontrollgremium: Dem Vereinsboss wurde mangelhafte Kommunikation vorgeworfen. So sollen zustimmungspflichtige Verträge dem Aufsichtsrat vorenthalten worden sein. Ausserdem wurden Littmann Verstösse gegen die Satzung und Unregelmässigkeiten in der Geschäftsführung nachgesagt.

Die Baggerparty brachte das Fass schliesslich zum Überlaufen. Anfang Februar entzog der Aufsichtsrat dem Präsidenten das Vertrauen und leitete eine Amtsenthebung ein. Um einem Rausschmiss zuvorzukommen, verkündeten Littmann und seine beiden Vizepräsidenten ihren Rücktritt zum Ende ihrer Amtszeit im März. Die Kontrolleure witterten eine Finte und wollten das Trio sofort entlassen - doch Littmann verschwand erst einmal für zehn Tage auf Kreuzfahrt in die Karibik und entging somit der Anhörung. Nach seiner Rückkehr lancierte Littmann einen Aufruf an den Ehrenrat. Der Aufsichtsrat scherte sich aber nicht darum und feuerte seinen Präsidenten. Der wiederum klagte dagegen und wurde vom Landgericht im Amt bestätigt.

Alles lief auf den Showdown am 25. März 2007 hin. Die Mitglieder sollten darüber entscheiden, wer den Verein künftig führen solle. Beinahe täglich ging eine der beiden Parteien an die Öffentlichkeit. Kurz vor der Versammlung zog der Präsident noch einen Trumpf aus der Tasche: Littmann gab die Verhandlungen über ein Darlehen der Marketingfirma GDM mit Sitz in Zug bekannt, um das Finanzloch von vier Millionen Euro für den Tribünenbau zu stopfen.

Weil nach dem verfrühten Abriss der Südkurve irgendetwas geschehen musste, gelang es dem Präsidenten, die Mitglieder auf seine Seite bringen. Die Versammlung bestätigte Littmann wieder und trotz allem im Amt. Tay Eich aus dem Kontrollrat verschweigt seinen Groll über diesen Entscheid nicht: «Ich darf leider nicht zurücktreten», sagte er. Theatermann Littmann meinte, dass sich in einem Verein nicht alle mögen müssten: «Der FC St. Pauli ist schliesslich kein Swingerklub.»

Der skurrile Machtkampf um die Klubführung machte denn auch das Geschehen auf dem Rasen zum Nebenschauplatz. Das war in der Hinrunde nicht weiter schlimm: Sie verlief trostlos. Im November wurde Trainer Andreas Bergmann entlassen, schweren Herzens - daraus machte Sportchef Holger Stanislawski keinen Hehl -, aber Platz zwölf nach siebzehn Spieltagen war zu wenig. Die Suche nach einem Nachfolger erwies sich jedoch als schwierig; für einen neuen Trainer war kein Budget da. Also machte sich der 37-jährige Stanislawski selbst zum Trainer. Den Fans war das recht, denn ihr «Stani» ist eine Legende, war Kapitän und Abwehrchef zu Bundesligazeiten und blieb nach dem Karriereende vor drei Jahren beim Verein.

Auch die Mannschaft akzeptierte die Interimslösung und nahm den Kampf für eine höhere Liga wieder auf. Allerdings blieben die Ergebnisse lange Zeit durchwachsen, und die Kicker zeigten zwei Gesichter: Zu Hause verlor St. Pauli lediglich im Pokal gegen Bayern München, während es auf fremden Plätzen Niederlagen hagelte. Die Saison war lange Zeit ein beständiges Straucheln und erneutes Hoffen. Weil die Konkurrenz auch nicht besser spielte, war die Lage jedoch nie hoffnungslos. Indessen begannen die Fans zu Tausenden, ihren Braun-Weissen hinterherzupilgern, als wollten sie die mysteriöse Auswärtsschwäche selbst bekämpfen. Und plötzlich ging es unter dem neuen Trainer aufwärts. St. Pauli gewinnt zurzeit fast alle Spiele und steht drei Runden vor Schluss kurz vor dem Aufstieg. Trainer Stanislawski zeigt sich überzeugt, dass Anfang Juni die Rückkehr in die Bundesliga gefeiert werden kann.

Chaostage im Stadion

Mit den Erfolgen der letzten Wochen ist am Millerntor eine Euphorie ausgebrochen, die es zuletzt nur bei Pokalspielen gab. Spürbar launisch ist der St.-Pauli-Anhang nach nunmehr vier Jahren Drittklassigkeit geworden, und auf ein unansehnliches Spiel reagiert das Publikum am Millerntor längst nicht mehr so lässig wie in der Vergangenheit. Und die Regionalliga mit den zahlreichen Kleinstadtklubs und den Reserveteams der Bundesligisten ist sowieso kein Traumort. Für einen ehemaligen Bundesligisten ist sie der Inbegriff des Scheiterns schlechthin und obendrein wirtschaftlich ein Verlustgeschäft. Gerade einmal 350 000 Euro gibt es für die Vereine an Fernsehgeldern. Dennoch kostet der Spielbetrieb. Der Deutsche Fussball-Bund (DFB) hat mittlerweile darauf reagiert und will die beiden Regionalligen zugunsten einer Dritten Bundesliga abschaffen.

Bis dies geschieht, will St. Pauli natürlich längst mit dieser Liga nichts mehr zu tun haben. Doch der sportliche Erfolg allein reicht nicht: Das Stadion ist im derzeitigen Zustand nicht einmal drittligatauglich. Ausserdem fehlen durch das «Loch im Süden» Einnahmen in der Vereinskasse: «Wir haben für die kommende Saison mit einem Schnitt von 19 000 Fans kalkuliert. Ohne die neue Tribüne hätten nur 15 000 Platz», erklärte Corny Littmann. Als Littmann Ende März im Amt bestätigt wurde, versprach er, mit dem Stadionbau gehe es jetzt «rattarattazong». Doch die Verhandlungen mit dem Schweizer Investor zogen sich hin, und es vergingen wieder Wochen. Bei einem der letzten Heimspiele gegen Kickers Emden brachte das dem Präsidenten erneut Häme ein: «Niemand baut am Millerntor», hallte es von der Gegengeraden, dort wo die Ultras stehen. Bei St. Pauli will man Taten sehen. Luftschlösser wurden genug gebaut. Wohl nicht nur die Ultras glauben am Millerntor nur noch an das, was sie sehen, und das ist noch immer eine staubige Brache hinterm Tor.