Fussball: Mit Comandante Cheauf nach Südafrika

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Kubas Starkicker setzen sich in die USA ab, während die zu Hause Gebliebenen auf Baseballfeldern spielen müssen. Nun will sich die Nationalmannschaft für die WM qualifizieren - Hilfe kommt von den Genossen beim FC St. Pauli.


Etwas holprig rollt der alte Basketball von Spieler zu Spieler. Längst hat er die Luft verloren, doch das ist den Jugendlichen an der Ecke Calzada de Infanta und San Lázaro in Havanna ziemlich egal. Denn der Fussball ist ihr grösstes Hobby. Da wird jedes Spielgerät ohne Murren akzeptiert - sei es ein Bündel alter Socken, ein Knäuel aus Plastiktüten oder ein waidwunder Basketball. Der kleine Enrique streckt den Arm in die Luft, «aqui, aqui!», ruft er, um auf sich aufmerksam zu machen. Prompt kommt der Pass, der Elfjährige schiesst locker ein und dreht sich dann jubelnd mit einem «Gol, Gol, Gol!» auf den Lippen weg.

Überall in Havanna sieht man Kinder und Jugendliche gegen den Ball treten, ob auf der alten Prachtstrasse in der Altstadt, dem Prado, oder am Strand von Guanabo, ob mit Turnschuhen oder barfuss. Das war nicht immer so, und noch immer sind Baseball und Boxen die Nationalsportarten Kubas. So gibt es auch nur wenige Spielstätten, die internationalen Standards entsprechen. Etwa das Estadio Pedro Marrero in Havannas Stadtteil Miramar, auf dessen von einer Tartanbahn umgebenen grünen Spielfläche es keinen «pitcher’s point» hat, von dem sonst die Pitcher beim Baseball ihre Bälle werfen. In einer ganzen Reihe von Stadien müssen Kubas Kicker nämlich das 25 Zentimeter hohe Mal umkurven. Alles andere als ideale Verhältnisse, doch das Geld für Stadionneubauten ist knapp. So konzentriert man sich erst einmal darauf, die Ausbildung der Spieler zu verbessern - an den Schulen, aber eben auch beim Aushängeschild: der Selección, wie die Nationalmannschaft genannt wird.

Die Schmach von Antibes

«Seit auch in der Schule gebolzt wird, ist das Niveau spürbar gestiegen», sagt William Bennett. Der technische Leiter des kubanischen Fussballverbands gehört zum Establishment in Kubas Trainergilde und ist sich sicher, dass auch das gestiegene Medieninteresse dazu beigetragen hat, dass Kuba nicht mehr ein fussballerisches Niemandsland ist. «Begonnen hat alles 1998 mit der Fernsehausstrahlung der Weltmeisterschaft in Frankreich», sagt Bennett. Damals eroberte er mit der Mannschaft von Ciudad Habana kubanische Meisterehren und war zwischenzeitlich auch für die Nationalmannschaft der Insel zuständig. «Mit der WM in Frankreich begann das Rennen auf den Ball in Kuba. Seither träumen wir davon, uns auch mal für die Endrunde zu qualifizieren.»

Die Inselmannschaft wäre dann zum ersten Mal seit 1938 wieder bei einer WM-Endrunde dabei. Damals musste sie keine Qualifikationsrunde überstehen, sondern wurde direkt ans Turnier in Frankreich eingeladen. Dem 2:1-Auftaktsieg gegen Rumänien folgte im zweiten Spiel die «Schmach von Antibes»: Mit 0:8 wurden die selbst ernannten «Löwen der Karibik» von den Schweden nach Hause geschickt. Seitdem verpassen die Kubaner regelmässig die Qualifikation. Zuletzt ausgesprochen knapp: «In der Ausscheidung für die Weltmeisterschaft in Deutschland 2006 scheiterten wir nur aufgrund des Torverhältnisses an den Ticos aus Costa Rica», erklärt ein Fan im Parque Central von Havanna. Dort, an der «esquina caliente», der heissen Ecke, wird tagtäglich lautstark über Sport diskutiert - mittlerweile auch über Fussball. «Die Ticos durften dann prompt das Eröffnungsspiel gegen die Deutschen bestreiten. Was für ein Ärger», ergänzt ein anderer.

Doch nun soll alles anders werden. Kubas Verbandspräsident Luis Hernández Hérez, selbst ehemaliger Nationalspieler, hat dem deutschen Trainer Reinhold Fanz das Vertrauen geschenkt. Die Deutschen seien akribische Arbeiter, sagte der 54-Jährige in einem Interview in der kubanischen Parteizeitung «Granma».

«Raus aus der Karibik»

Unter Fanz, der früher bei Hannover 96, Eintracht Frankfurt und dem VfB Stuttgart arbeitete, wirkt die Mannschaft deutlich zielstrebiger als früher. Das zeigen die Ergebnisse der letzten Spiele im Rahmen der WM-Qualifikation. Im Juni wurde das Team aus Antigua mit seinen acht Profis aus englischen Ligen 4:3 niedergekämpft. Im Rückspiel in Havanna liess man den Gästen keine Chance: Kuba gewann 4:0, und Trainer Fanz war schon recht zufrieden damit, wie seine Mannschaft den Weg zum Tor suchte. Der Deutsche hatte beim Offensivverhalten und in der Abstimmung der Defensive angesetzt und seiner Mannschaft eine anständige Luftveränderung verordnet: «Wir müssen raus aus der Karibik, international Erfahrung sammeln und stärker gefordert werden», so Fanz.

In der Schweiz eröffnen Mannschaften ihre neuen Stadien mit Spielen gegen Ehemaligenteams. Der FC St. Pauli hingegen weiht am Erscheinungstag dieser WOZ seine neue Südtribüne am Millerntor mit einem Freundschaftsspiel gegen die Genossen aus Kuba ein. Der symbolträchtige Kick im Zeichen des Che wird für die Kubaner ein Wiedersehen mit alten Bekannten. Schliesslich war es der FC St. Pauli, der im Januar 2005 als erste deutsche Bundesligamannschaft ein Trainingslager in Kuba absolvierte und dort gegen die Selección antrat. St.-Pauli-Präsident Corny Littman, der regelmässig nach Kuba fliegt, hat die Kontakte gehalten, und als er dann noch den neuen Coach der Karibikkicker im Flieger traf, war die Idee eines weiteren Freundschaftsspiels schnell geboren. Für die Totenkopf- und Che-Flaggen schwingenden Pauli-Fans ein Bonbon. Ohnehin hat man am Hamburger Millerntor mit Mannschaften aus der Karibik schon Erfahrung. So lief die Equipe von Trinidad und Tobago im Rahmen ihrer WM-Vorbereitung 2006 beim Hamburger Kultverein auf. In den St.-Pauli-Fanforen wird gefachsimpelt, ob die unbekannten kubanischen Kicker auf dem gleichen Niveau wie die «soccer warriors» spielen oder nicht doch schlechter sind.

Nur zwei WM-Tickets

Derartige Fragen lassen Reinhold Fanz schmunzeln. Der 54-Jährige hat sich in den letzten Monaten ausgiebig mit den Fussballnationen im karibischen Raum auseinandergesetzt. «Klare Favoriten in unserer Region, die Nord- und Mittelamerika sowie die Karibik umfasst, sind die USA und Mexiko. Alle Mannschaften, die danach kommen, ob Costa Rica, Kuba, Guatemala oder Trinidad und Tobago, spielen in etwa auf dem gleichen Niveau.» Demzufolge haben auch Fidel Castros Kicker eine Chance auf die Tickets nach Südafrika, und die wollen sie ergreifen. Der klare Heimsieg gegen Antigua hat in Kuba für Aufsehen gesorgt. Das belegt die steigende Anzahl von Artikeln über den «fútbol» in den Revolutionsblättchen Kubas. Fans wie Funktionäre hoffen, dass die Selección nicht auf der Zielgeraden scheitert. Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg, und zuerst einmal stehen die Gruppenspiele an. Bereits Mitte August kommt das US-Team ins Estadio Pedro Marrero, wenig später reisen Guatemala sowie Trinidad und Tobago an. Nur die besten zwei Mannschaften aus dieser Region werden weiterkommen, und Fanz will seine Spieler zumindest auf Platz zwei sehen. «Das Potenzial ist da, und ich will die Fähigkeiten des Teams weiterentwickeln.»

Entscheidend für die Vorbereitung sind die Trainingslager und Testspiele in Europa. Fünf Wochen will Fanz mit seinen Schützlingen unter möglichst guten Bedingungen in Deutschland arbeiten, um die Feinabstimmung in der Defensive zu verbessern und das schnelle Spiel nach vorne zu üben. Die Partie gegen die Mannschaft vom FC St. Pauli ist sicherlich ein Höhepunkt, doch Fanz hat für seine 26 karibischen Löwen im Kader nicht weniger als fünfzehn Testspiele vereinbart - acht davon gegen Bundesligisten.

Für die jungen Spieler, wie den aus der U 23 in die A-Mannschaft aufgestiegenen Stürmer Roberto Linares, ist die Spielpraxis auf hohem Niveau besonders wichtig. Linares, der in den beiden Partien gegen Antigua immerhin drei Tore erzielte, wandelt auf den Spuren von Maykel Galindo. Der kubanische Stürmer spielt bei Chivas USA und zählt zu den besten Goalgettern der amerikanischen Major League. In Kuba ist Galindo ein Idol, obwohl er sich vor drei Jahren vom kubanischen Team in die USA absetzte. Zwei Jahre später folgten ihm mit Lester Moré und Osvaldo Alonso zwei weitere talentierte Spieler.

Fit für den Traum

Doch Trainer Fanz hat keine Angst vor Abwanderung: «Selbst als gleich sieben Spieler der U 23 im März in den USA blieben, bin ich ruhig geblieben. Meine Spieler spüren doch längst, dass die Unterstützung in Kuba für den Fussball da ist. Die Auslandsreisen sind der beste Beweis dafür, und obendrein ist auch in Kuba einiges in Bewegung.» Die Tatsache, dass schon beim ersten Trip in die alte Welt alles reibungslos vonstatten ging, spricht für die These des Trainers. Beim zweiten Ausflug soll nun alles noch ein bisschen besser werden, fordert Kapitän Yenier Márquez. Er und Stürmer Jaime Colomé gehören zu den herausragenden Figuren der Selección Cubana. Colomé, bester Fussballer Kubas im letzten Jahr, ist nach mehreren Verletzungen wieder auf dem Weg zur Höchstform. Gerade rechtzeitig für die Klassenfahrt nach Deutschland und die folgende dritte Etappe der WM-Qualifikation. Auf die will Fanz seine Spieler perfekt einstellen, damit der Traum von der WM-Qualifikation Wirklichkeit wird. Doch zuerst einmal müssen die Löwen der Karibik zeigen, ob sie mit den Kickern vom Millerntor mithalten können. Die werden - bei aller Liebe für Che - kaum etwas zu verschenken haben.