Olympia: Spiele unter dem Hammer

Nr. 28 –

Eine Woche lang rang das Internationale Olympische Komitee um die Zukunft der olympischen Bewegung. Man beschloss eine Jugendolympiade und vergab die Winterspiele 2014 an eine politische Krisenregion.

Das Ambiente in Guatemala-City glich einem Militärcamp, doch das Internationale Olympische Komitee (IOC) störte das nicht. Eine Woche lang rang es Anfang Juli zwischen Soldatenkolonnen und Trucks mit aufgepflanzten Maschinengewehren um die Zukunft der olympischen Bewegung. Am Ende stand ein bunter Mix aus Neuigkeiten: Mit dem russischen Bewerber Sotschi wurde ein Winterspielort erwählt, in dem bis 2014 nicht nur sämtliche Sportstätten erst einmal gebaut, sondern überhaupt sportives Leben kreiert werden muss. Zudem beschert die spannungsgeladene Kaukasusregion im Grenzland zu Tschetschenien dem IOC neben Peking 2008 eine weitere humanpolitische Grossbaustelle. Die Kür von Sotschi, das mit einem selbstherrlichen Kampagnenführer Wladimir Putin und zahlreichen Regelverletzungen operiert hatte, warf das IOC überdies in alte, schon überwunden geglaubte Zeiten zurück. «Hier ist zu viel Geld im Spiel», hatte der norwegische IOC-Marketingchef Gerhard Heiberg in Guatemala gesagt. Dem Eindruck, dass Korruption im Spiel war, trat er nicht entgegen. Die Evaluierungskommission des IOC hatte Sotschi hinter die Mitbewerber Salzburg und das südkoreanische Pyeongchang gesetzt. Das IOC ignorierte Bedenken von UmweltschützerInnen, die Raubbau an der kaukasischen Natur befürchten. Um die Spiele durchführen zu können, müssen zwölf Milliarden Dollar investiert werden.

Olympiade für die Jugend

Von IOC-Präsident Jacques Rogge als «pädagogisch-moralisches Trainingslager» gedacht, führt der Olympische Verband eine nicht näher definierte Jugendolympiade ein. Ab 2010 sollen die Nachwuchsspiele, und zwar alle olympischen Sportarten mit AthletInnen von vierzehn bis achtzehn Jahren, im Zwei-Jahres-Turnus stattfinden. Lediglich ein Mitglied aus dem Komitee hatte Einwände. Es war Richard Pound, Chef der Welt-Antidopingagentur Wada. Mit Blick auf den Schwimmsport sagte er: «Hier erreichen schon Vierzehnjährige Spitzenniveau.» Mancherorts werde sehr früh mit dem Betrug begonnen. Pound warnte das IOC deshalb, «in eine Sache reinzuspringen», die ihr Geld nicht wert sei. Er empfahl stattdessen eine Grundlagenkonferenz, an der von ErzieherInnen bis zu Werbeleuten alle Beteiligten «globale Lösungen» für die Probleme der Jugend erarbeiten sollten; denn das könne der Sport nicht lösen. Der Kanadier fragte, ob es klug sei, moderne Jugendspiele «nach Strukturen des 19. Jahrhunderts» zu organisieren, und wies die KollegInnen darauf hin, dass derlei Spiele ein Minderheitenprogramm seien, das «vielleicht zwei Prozent» Jugendliche erreiche, die ohnehin Sport trieben. Die Warnungen des Dopingbekämpfers verfingen nicht, die Session verabschiedete die Jugendolympiade mit Hurra. IOC-Präsident Rogge ging gestärkt aus dem Konvent hervor.

Die nächste Session findet 2009 in Kopenhagen statt. Dann wird die nächste Sommerspielstadt 2016 ermittelt (Kandidaten bisher: Rio de Janeiro, Chicago, Madrid, Baku, Doha, Tokio). Und es sollen zu den bisherigen 26 Sportarten drei neue hinzukommen. Vielleicht sind es bis dann aber nur noch 25 Sportarten, die als olympisch gelten. Für den Rausschmiss einer Kernsportart bedarf es laut Rogge «ausserordentlicher Gründe wie Missmanagement, Nichtübereinstimmung mit dem Wada-Code oder Korruption». Und da dies im organisierten Sport nicht allzu aussergewöhnlich ist, müssen nun zumindest hartnäckige Dopingdulder mit einem Blauen Brief rechnen. Es liege sogar schon was im Postausgang, deutete Wada-Chef Richard Pound an. «Zahlreiche internationale Fachverbände stimmen nicht mit dem Wada-Code überein», rügte der Kanadier, es betreffe Sommer- wie Wintersportverbände. «Wer sich nicht an den Code hält, muss mit dem Ausschluss rechnen.» Pound zeigte bei dieser Gelegenheit dem Radweltverband UCI schon mal die Gelbe Karte: «Die Glaubwürdigkeit der UCI ist ramponiert.» Doping sei hier «nicht nur systematisch und organisiert, es ist Teil des Systems».

Nase voll vom Samaranch-Clan

Spürbar wurde Rogges neue Stärke zum Sessionsende, als die Besetzung eines Vorstandspostens anstand. Dabei deklassierte Marketingchef Heiberg seinen Hauptrivalen mit 56 zu 22 Stimmen - der hiess Juan Antonio Samaranch junior, intern bekannt als Juanito. Den Filius hatte der alte Präsident vor seinem Abgang 2001 noch rasch ins IOC geboxt. Aber immer mehr Mitglieder haben die Nase voll von dem mittlerweile 87-jährigen Zuchtmeister, der auch in Guatemala hinter den Kulissen agierte und Sotschis Sieg mit diskreten Interventionen bei ihm ergebenen Funktionären begünstigt hatte. Nun bekam der Samaranch-Clan die Quittung: glatte Abfuhr für Juanito, starker Rückhalt für Rogges Mann Heiberg. Das zeigt die neuen Machtverhältnisse.

Rogge und Heiberg brechen bald nach Moskau auf, der Präsident, um ganz schnell den Startschuss für Sotschi zu geben, der Marketingchef, um «mal zu sehen, was wir bei Gazprom oder anderen rausschlagen können».

Aber auch die arabischen Märkte erwachen, und mit Doha steht für die Sommerspiele 2016 erstmals ein finanzstarker Golfkandidat im Ring. Da heisst es, die Bewerbungskriterien ganz schnell wieder enger zu ziehen - sonst werden die Spiele künftig nicht mehr per Bewerbung vergeben, sondern in einem Bieterverfahren. In Guatemala waren sie bereits unter dem Hammer gelandet.


Thomas Kistner, geboren 1958, ist Redaktor der «Süddeutschen Zeitung» und dort zuständig für Sportpolitik. Er ist Autor des Buchs «Der olympische Sumpf. Die Machenschaften des IOC».