Medien: Was gibts Neues, Grossmutter Kall?

Nr. 29 –

Das Zürcher Verlagshaus Tamedia bleibt in Aufruhr. Auf der Agenda stehen: Beerdigung von «Tagi-Kompakt» und Expansion nach Basel - sowie ins Ausland.

Mächtige lieben es, in Orakeln zu reden. So auch Martin Kall, der starke CEO von Tamedia. «Sein Führungsprinzip ist die permanente Verunsicherung», sagte einst ein Kadermitglied von Tamedia. «Er ist charmant, lächelt dich an, aber du weisst nie, was er als Nächstes tut.» Daran ändern auch gelegentliche Interviews nichts.

Anlässlich der Schliessung von «Facts» gab Martin Kall so ein Interview. Der «NZZ am Sonntag» kündigte er an: «Wir bringen eine neue Zeitung auf den Markt, noch in diesem Jahr.» Auf weitere Nachfragen des Interviewers sagte er nichts ausser den charmanten Satz: «Sie sind wie meine liebe Grossmutter. Die versuchte es auch auf sieben Arten, wenn sie etwas wissen wollte.»

Nun, Kalls Grossmutter war nicht zu erreichen. Fragt man aber in den Tamedia-Chefetagen herum, kommt man auf ein paar interessante Entwicklungen: Tamedia lanciert keinen Kurz-«Tagi», Tamedia umgarnt Basel, Tamedia versucht, ins Ausland zu expandieren.

1. «Tagi-Kompakt» ist tot

«Tagi-Kompakt» war seit einem Jahr ein kühnes Projekt von Tamedia: ein auf etwa ein Drittel gekürzter «Tagi», der in der ganzen Deutschschweiz (ausser im «Tagi»-Heimatkanton Zürich) erscheinen sollte. Sehr billig oder sogar gratis. Das wäre ein harter Angriff auf die gesamte Zeitungslandschaft der Deutschschweiz gewesen. Sein geistiger Vater hiess Rolf Bollmann. Bollmann war erfolgreicher Verlagsleiter von «20 Minuten» gewesen und vom «Tages-Anzeiger» Ende 2005 als neuer Star angeheuert worden. (Bollmann reagiert übrigens auf Anfrage sehr erbost. Von einem «Tagi-Kompakt» habe er nie gehört.)

Das Projekt wurde heiss diskutiert, als zwei Dinge passierten. Erstens: Der Medienberater Sacha Wigdorovits kündigte seine Gratiszeitung «.ch» an, geliefert an alle Haushalte in mehreren Städten. Damit griff er die Goldmaschine von Tamedia an, das Pendlerblatt «20 Minuten», das jährlich Millionen Franken einbringt. Zweitens: Der erbenlose Zeitungsfürst von Bern, Charles von Graffenried, verkaufte sein Zeitungsimperium der Tamedia. Dadurch besitzt nun Tamedia zwei der möglichen «Tagi-Kompakt»-Opfer selbst: «Berner Zeitung» und «Bund».

Bollmanns Kind schien damit gestorben, doch er konterte. Er schlug vor, «Tagi-Kompakt» wie Wigdorovits' «.ch» ebenfalls an alle Haushalte zu verteilen. Interne Gegner liessen sich nicht überzeugen. Sie fanden den « «Tagi»-Kompakt» zu teuer - all das aufwendige Kürzen der «Tages-Anzeiger»-Artikel. Und sie fürchteten eine brutale Kannibalisierung des «Tages-Anzeigers» - denn Zürich darf nicht Wigdorovits überlassen werden, « «Tagi»-Kompakt» müsste also auch im Heimmarkt erscheinen. Doch wer würde den «Tages-Anzeiger» noch kaufen, wenn man gratis eine Best-of-Version bekäme?

Nun, sagen Insider, ist «Tagi-Kompakt» weg vom Tisch. Die Planungen seien eingestellt. Bollmanns Kind ist tot.

2. Das Umschwänzeln von Basel

Zur Verblüffung der Medienszene lobte Martin Kall in der «NZZ am Sonntag» vor allem einen Mann: Matthias Hagemann, den Verleger der «Basler Zeitung». «Die Basler Mediengruppe ist unterschätzt; sie ist gut geführt», sagte Kall. Der Kommentar in der Szene war: So lobt der Metzger das Kalb. Denn der Verlegererbe Hagemann gilt als blasse Figur und seit den Millionenverlusten vor dem Verkauf der Jean Frey AG an die Investoren um Tito Tettamanti als unbegabter Verleger. Und die Basler Mediengruppe gilt für Tamedia als Verkaufsobjekt.

Warum Kalls Lob? Es ergibt Sinn, weil Monate zuvor eine enge Mantelkooperation zwischen «Tages-Anzeiger» und «Basler Zeitung» knapp gescheitert ist. Knapp genug, um bald wieder aus der Schublade gezogen zu werden.

Vorstufe dieser Kooperation könnte die Zusammenarbeit im Internet sein. Der «Tages-Anzeiger» plant für den Herbst einen massiven Ausbau seiner Onlineredaktion auf rund dreissig Stellen: Ein Chef wird derzeit mit Hochdruck unter deutschen Cracks gesucht - als Wunschkandidat gilt der «Spiegel online»-Boss Mathias Müller von Blumencron. «Tagi online» soll dabei nicht nur die Plattform des «Tagis» werden, sondern die Plattform der traditionellen Tageszeitungen der Deutschschweiz - also auch der beiden Berner Blätter. Und, es laufen Verhandlungen, auch der «Basler Zeitung».

3. Die Expansion ins Ausland

Aber am meisten überrascht, dass Tamedia - ein bis anhin nur in der Schweiz operierendes Unternehmen - nun ins Ausland expandieren will. Bescheidenerweise zunächst nach Luxemburg. Dort bestanden schon Kontakte: Das Wochenmagazin «Revue» der luxemburgischen Editpress arbeitete fallweise mit dem eingestellten Tamedia-Magazin «Facts» zusammen - und der langjährige Tamedia-Verleger Hans Heinrich Coninx kennt seine luxemburgischen Kollegen schon seit Jahren.

Nun soll sich, heisst es im Tamedia-Kader, das Zürcher Unternehmen massgeblich an Editpress beteiligen und gemeinsam mit den Luxemburgern ein Tageszeitungsprojekt planen. Tamedia-Sprecher Christoph Zimmer bestätigt zwar nur die laufenden Gespräche über eine weitere redaktionelle Zusammenarbeit. Der Generalsekretär von Editpress, Nic Nickels, war allerdings bei einem WOZ-Anruf nicht überrascht. «Nun, Editpress pflegt viele internationale Partnerschaften. Manchmal wird aus einer freundschaftlichen Beziehung auch mehr», sagte Nickels. Für alles Weitere solle man sich «bei der Tamedia» informieren. Auf die Frage, ob es für Auskünfte über eine Beteiligung oder ein Tageszeitungsprojekt noch zu früh sei, sagte Nickels trocken: «Jemand ist immer der Erste.»

Was also plant Tamedia in Luxemburg? Was wird die neue Gratiszeitung der Tamedia sein? Sicher ist nur eins: Würde man ihren CEO Martin Kall fragen, wäre die Antwort ein weiteres Orakel.