Agent Orange: Langer Schatten aus Vietnam

Nr. 34 –

Erneut stehen nicht die USA, sondern die Herstellerfirmen des Entlaubungsmittels Agent Orange vor Gericht.

Am Eröffnungstag des Berufungsprozesses gegen die Herstellerfirmen des Entlaubungsmittels Agent Orange heftete David Cline, US-Vietnamveteran und Sprecher der Organisation Veteranen für den Frieden, seinen militärischen Orden an die Brust seines ehemaligen Gegners Nguyen Van Quy und sagte: «Wir sind Brüder. Ich bin bereit, Sie durch die USA zu tragen.» Der 52-jährige Nguyen, ehemaliger Soldat der nordvietnamesischen Armee, war an Magen- und Leberkrebs erkrankt und sass im Rollstuhl. Seine Erkrankung wird dem Gift Agent Orange zugeschrieben, das vom US-Militär während des Vietnamkriegs über seiner Heimat versprüht worden war.

Nguyen war – wie bereits bei der ersten Verhandlung 2005 – für den Prozess um eine Entschädigung Mitte ­Juni eigens nach New York gekommen. In der Berufungsverhandlung klagt die vietnamesische Vereinigung der Opfer von Agent Orange / Dioxin erneut gegen 37 US-Chemiefirmen, darunter Monsanto, Dow Chemical, Uniroyal, Diamond Shamrock und Hooker. Vor Gericht stritt die Opfervereinigung.

Millionen von Opfern

Agent Orange ist ein dioxinhaltiges Herbizid. Zwischen 1961 und 1971 wurde es von der US-Armee über weiten Teilen Zentralvietnams sowie über dem Ho-Chi-Minh-Pfad an der Grenze zu Laos und Kambodscha versprüht. Damit wollte die US-Armee den Regenwald entlauben, der der Nationalen Befreiungsfront (Vietcong) Schutz und Tarnung bot. Laut Angaben der Regierung in Hanoi sollen über 73 Millionen Liter toxische Chemikalien versprüht worden sein, mehr als die Hälfte davon war Agent Orange. Das darin enthaltene Dioxin ist nur schwer abbaubar. Da der vietnamesischen Regierung das Geld für eine umfassende Bodensanierung fehlt, ist das Dioxin bis heute in der Nahrungskette enthalten. Es führt unter anderem zu Krebserkrankungen und Immunschwächen. Da Agent Orange auch das Erbgut schädigt, werden in Vietnam noch immer Kinder mit schweren Missbildungen geboren. Die Opferorganisation vertritt nach eigenen Angaben 4,8 Millionen erkrankte VietnamesInnen und fordert vor Gericht Entschädigungsgelder für erlittene gesundheitliche Schäden. Da die US-Verfassung eine Klage wegen Kriegsfolgen gegen die Regierung selbst nicht zulässt, hat die Opferorganisation 2005 die Herstellerfirmen angeklagt. Die Sammelklage kam für die Konzerne überraschend, da für sie das Thema längst abgeschlossen schien. Sie hatten sich bereits 1984 auf einen aussergerichtlichen Vergleich geeinigt – allerdings nur mit den US-Soldaten, die mit Agent Orange zu tun gehabt und ebenfalls Gesundheitsschäden davongetragen hatten. Es wurde ein Fonds in Höhe von umgerechnet 217 Millionen Franken für rund 230 000 Betroffene eingerichtet. Ein Schuldzugeständnis der Chemiefirmen war damit nicht verbunden.

Die Klage der VietnamesIn­nen vor einem US-Gericht war erst möglich geworden, nachdem 1994 das US-Handelsembargo gegen den einstigen Kriegsgegner aufgehoben wurde. Doch auch danach betrachtete Vietnam es lange Zeit als diplomatisch nicht wünschenswert, dass seine BürgerInnen in den USA auf eine Entschädigung klagten. Als jedoch US-Präsident George Bush jede staatliche Wiedergutmachung vehement ablehnte, unterstützte Hanoi die Sammelklage ihrer BürgerInnen.

Für viele zu spät

Im März 2005 wurde die erste Klage der Opferorganisation vor dem New Yorker Zivilgericht in Brooklyn abgewiesen. Der Bundesrichter Jack Weinstein argumentierte damals, dass unzureichende Beweise für einen kausalen Zusammenhang zwischen Agent Orange und den Krankheiten der KlägerInnen vorgelegt worden seien. Ein Prozessbeobachter bezeichnete die Entscheidung des Richters – der bereits die Sammelklage der US-VeteranInnen verhandelt hatte – als Aufforderung an die KlägerInnen, mehr und besseres wissenschaftliches Material zu sammeln. Ausserdem war bekannt geworden, dass Weinstein während des Prozesses einen Brief aus dem Justizministerium erhalten hatte, laut dem sich mit einer Anerkennung der Ansprüche «die Türen der Gerichte des amerikanischen Rechtssystems für Bürger und Soldaten früherer Feinde, die behaupten, von den Streitkräften der Vereinigten Staaten während des Krieges geschädigt worden zu sein, öffnen würden».

Die Vereinigung der Opfer von Agent Orange / Dioxin ging in Berufung. Für Nguyen Van Quy kommt es aberzu spät: Er ist Anfang Juli, knapp zwei Wochen nach seiner Rückkehr nach Vietnam, gestorben.