G8-Prozesse: 2,5 Millionen für Imageschäden

Nr. 44 –

Sechs Jahre nach dem G8-Gipfel in Genua fordert die italienische Staatsanwaltschaft drakonische Strafen für 25 GlobalisierungskritikerInnen.

«Ihr werdet für alles bezahlen, und ihr werdet teuer bezahlen!» Die einstige Losung der radikalen Linken in Italien hat sich jetzt die Genueser Staatsanwaltschaft im Prozess gegen 25 KritikerInnen der Globalisierung zu eigen gemacht. Diese hatten im Juli 2001 an den Protesten gegen den G8-Gipfel in Genua teilgenommen. Nun fordern die StaatsanwältInnen Anna Canepa und Andrea Canciani in dem seit März 2004 laufenden Prozess zwischen sechs und sechzehn Jahren Haft für die DemonstrantInnen, insgesamt 225 Jahre. Darüber hinaus sollen die Angeklagten nach dem Willen von Ernesto De Napoli, der die italienische Regierung im Prozess als Nebenkläger vertritt, je 100 000 Euro Schadenersatz bezahlen - unter anderem zur Wiedergutmachung der «Imageschäden», die die Republik Italien durch die Demonstrationen erlitten habe.

Dabei gehört es zu den Skurrilitäten dieses Verfahrens, dass sich die Staatsanwälte trotz der geforderten 225 Jahre Haft und 2,5 Millionen Schadenersatzforderungen selbst noch für gnädig halten. «Das sind harte, aber keine exemplarischen Strafen», sagt Staatsanwältin Anna Canepa. Vielen Angeklagten seien durchaus «mildernde Umstände» zugestanden worden.

Plünderung und Verwüstung

Die Staatsanwaltschaft legitimiert die Höhe der Strafen mit dem Paragraf 419 des Strafgesetzbuchs: Plünderung und Verwüstung. Der Paragraf fand in der Nachkriegsgeschichte nur sehr selten Anwendung, doch Canepa und Canciani argumentieren, bei den Protesten im Sommer 2001 habe dieser Tatbestand vorgelegen, weil aufgrund der Massen gewalttätiger DemonstrantInnen die öffentliche Ordnung zusammengebrochen sei. Doch selbst der Nebenkläger De Napoli gab in seinem Plädoyer zu, dass dies nicht nur den DemonstrantInnen anzulasten sei: «Angesichts von Tausenden Demonstranten, die, auch wenn sie sich kriegerisch gebärdeten, jedoch nicht bewaffnet schienen, wäre es vielleicht besser gewesen, den Einsatz von Tränengas oder von Aktionen zu vermeiden, die möglicherweise gewaltsame Reaktionen auslösen konnten.»

Ein 36-Jähriger soll für neun Jahre hinter Gitter, weil er bei den Protesten einen Carabinieri-Jeep mit einem Holzbrett angegriffen habe. Der jetzt Angeklagte fragte in Anspielung auf den Tod des Demonstranten Carlo Giuliani in einem Interview: «Wenn sie mir neun Jahre Haft geben, was sollten sie dann mit Leuten tun, die einen umbringen?»

Doch darüber wollen die StaatsanwältInnen Canepa und Canciani nicht sprechen. Auch nicht darüber, dass die Polizei auf eigene Faust die genehmigte Demonstration in der Via Tolemaide angriff, dass sie sich mit Eisenstangen und Pflastersteinen bewaffnete oder dass sie friedliche DemonstrantInnen verprügelte. Zwar bestreiten sie dies ebenso wenig wie die Stürmung der Diaz-Schule oder die Folterungen in der Bolzaneto-Kaserne, doch das seien Themen anderer Prozesse. Diese drohen allerdings wegen der Verjährung im Sande zu verlaufen (siehe WOZ Nr. 29/07).

Nüchterne Terrorstrategie

Die geforderten 100 000 Euro Schadenersatz pro Person sind nicht nur für eine Wiedergutmachung des «Imageschadens» sowie für die Sachschäden in Genua, sondern auch für die Carabinieri bestimmt. Die Mutter des erschossenen Demonstranten, Haidi Giuliani, sagte daraufhin: «Ich warte schon darauf, dass irgendjemand zu mir und zu Giuliano [Carlos Vater] kommt und von uns Schadenersatz verlangt, weil das Blut unseres Sohnes den Strassenbelag verunreinigt hat.»

Luca Casarini, ein ehemaliger Sprecher der Protestbewegung von Genua, sieht in dem Prozess politische Absichten: «Von 300 000 Leuten haben sie 25 als Sündenböcke herausgegriffen. Dies ist ein politischer Prozess gegen die Bewegungen, gegen die heutigen und gegen die zukünftigen. Dies ist kein Strafprozess, sondern ein Machttribunal, das denjenigen, die auf die Strasse gehen, mitteilt, dass sie solche Strafen riskieren. Es ist eine ganz nüchterne Terrorstrategie.»

Die italienischen GlobalisierungskritikerInnen rufen für den 17. November zu einer Grossdemonstration in Genua auf - aus Solidarität mit den Angeklagten und um Druck auf das Gericht auszuüben, dessen Urteil im Dezember oder Januar erwartet wird.