Standpunkt: Trojanische Pferde im BundesratDer Publizist Kenneth Angst über die Gefährlichkeit der SVP.

Nr. 48 –

Was uns im Herbst - millionenschwer gesponsert, also aus anonymen Wirtschaftskreisen fremdfinanziert - in jeden Bahnhof, in jedes Bergtal hinein verfolgte, war die parteiegoistische Machtdemonstration einer straff geführten Kampfmaschine. War rechtsanarchischer Kultur-, Klassen- und Wahlkampf. War ausserparlamentarische Fundamentalopposition, also «APO» von rechts. War gnadenlose Zuspitzung auf den mitregierenden Leader der stärksten Minderheit in der Schweiz.

«Unsere Schweiz» gegen «1968»

«Geheimplan gegen Blocher», «Blocher stärken, SVP wählen»: Worum ging es der SVP mit ihrer von langer Hand geplanten und Anfang September lancierten Kampagne? Welche kurz- und langfristigen Parteiziele strebt sie damit an?

• Erstens: Solange politische Regel-, Geltungs- und Gesetzesmacht hierzulande noch via parlamentarische Volkswahlen errungen und legitimiert werden muss, so lange kämpft die SVP nicht bloss darum, stärkste Partei zu sein und zu bleiben. Sie will mehr sein als die wählerstärkste Minderheit auf Bundesebene. Denn damit allein kann man keine Abstimmungen gewinnen. Ausser man bietet Hand zu Kompromissen von Fall zu Fall, zu Abstrichen an den eigenen Maximalforderungen. Ausser man koaliert mit andersdenkenden Minderheiten - und wird eben so auch TeilhaberIn an mehrheitsfähigen Allianzen.

Doch genau das will die SVP nicht: Sie will alles oder nichts. Also verliert sie, um zu gewinnen. Sucht ehrenvolle Niederlagen im einsamen Alleingang, um genau daran zu wachsen. Deshalb betreibt die SVP unter Führung von Christoph Blocher eine konsequent sozialstaatsfeindliche, nationalistische, sozialdarwinistische, kultur- und gesellschaftskonservative Fundamentalopposition, eben «APO» von rechts. «Unsere Schweiz» ist die radikale Gegenutopie zum sozialstaatlich, kulturell und polit-moralisch zivilisierten Kapitalismus. Ist der rechtsanarchisch inspirierte Versuch, «1968» und dessen Folgen - Mitte-links-Mehrheiten in Politik und Gesellschaft - rückgängig zu machen.

Und genau damit vermochte die SVP ihren WählerInnenanteil bei den Nationalratswahlen seit zwanzig Jahren kontinuierlich zu steigern, nämlich von 11 Prozent 1987 auf heute gegen 30 Prozent.

Absolute Mehrheit im Parlament

Doch für eine ungeteilte Regel- und Gesetzesmacht reicht auch dies noch lange nicht. Ein erstes Endziel der SVP bleibt deshalb ein Wähleranteil von 51 Prozent. Und dieses Endziel rechtfertigt für die SVP nahezu jedes Mittel - politische Kultur, historische Traditionen, Respekt und Toleranz gegenüber Andersdenkenden und Minderheiten hin oder her. Konsequenterweise betreibt sie deshalb unentwegt auch eine Politik der permanenten Verhöhnung und Verunglimpfung, der schleichenden Penetration und Infiltration von FDP und CVP.

Zwischen den Wahlen sind diese zwar wohlfeile Bündnispartnerinnen für Abstimmungssiege. Vor Parlamentswahlen und bei gewichtigen Referendumsabstimmungen jedoch wird die kalkulierte Freundlichkeit immer wieder brutal und einseitig aufgekündigt. Dann geht es der SVP nur noch darum, die politische Mitte zu schwächen, auf ihre Kosten zuzulegen und die alleinige Definitionsmacht über Bürgerlichkeit im 21. Jahrhundert zu erlangen. Denn es sind auch die noch traditionell staatsbürgerlichen WählerInnen in der Mitte, welche die SVP für die final avisierte absolute Mehrheit in der Bundesversammlung samt und sonders will und braucht. Deshalb will sich die Partei auch prinzipiell nie festlegen auf gemeinsame Regierungs- und Legislaturziele und darauf, diese durch sachpolitische Kompromisse und Allianzen im Parlament oder an der Urne mehrheitsfähig zu machen.

Personen- und Gesinnungsdiktat

• Zweitens: Solange eidgenössische Exekutivmacht hierzulande noch im Rahmen einer Kollegial- und Konkordanzregierung errungen und geteilt werden muss, so lange wird sich die SVP schwer tun mit der in der Verfassung verankerten Zuständigkeit der vereinigten Bundesversammlung für die Zusammensetzung der Landesregierung. Also für die Wahl und auch die Abwahl von einzelnen Regierungsmitgliedern. Denn solange dies so ist, kann die SVP nicht alleine diktieren, welcher ihrer Exponenten vom Parlament, also auch von ihren politischen Gegnern, für regierungswürdig befunden wird. Voraussetzung hierfür war bisher in aller Regel ein parteiübergreifendes Vertrauen in KandidatInnen, die bereit und fähig waren, in einer Mehrparteienregierung kollegial und konsensual mitzuwirken und schliesslich die Entscheidungen engagiert auch nach aussen, vor allem auch gegenüber der eigenen Partei zu vertreten.

Die SVP aber will keine Regierungsvertreter, die sich von der eigenen Partei emanzipieren. Sie will vielmehr trojanische Pferde, die ihren absoluten Macht-, Veränderungs- und Wahrheitsanspruch auch in den Bundesrat hineintragen. Akzeptiert werden nur RegierungsvertreterInnen als mitregierende Speerspitzen ihrer rechtsbürgerlichen Fundamentalopposition. Also muss die SVP die Zuständigkeit der Bundesversammlung für die personelle Zusammensetzung des Bundesrates prinzipiell infrage stellen. Und genau dies war der Hauptzweck der Komplottkampagne, welche die Parlamentswahlen zum Plebiszit für oder gegen Blocher machte - ähnlich wie schon vier Jahre zuvor.

Konkret: Im Dezember 2003 wurde ihr oppositioneller Chefideologe auch noch oppositioneller Bundesrat. Dies nur mit erpresserischer Verhöhnung der politischen Konkordanz. «Blocher oder keiner» lautete das damalige SVP-Parteidiktat, und zwar subito - also nicht erst bei der nächsten Vakanz, sondern erstmals durch die geforderte Abwahl eines noch amtierenden Regierungsmitglieds. Blochers Wahl erfolgte nur mit einer hauchdünnen Parlamentsmehrheit. Und sie erfolgte fälschlicher- und naiverweise ganz und gar bedingungslos, also ohne dass man vorgängig seine Partei auf ein Minimum an sachpolitischen Kompromissen verpflichtet hätte.

Die Folgen sind politisch schwerwiegend: parteipolitische Zersetzung der Landesregierung. Langsame Schwächung ihrer vormaligen Führungs- und Integrationskraft. Kontinuierlich verschärfte Verlagerung von parteiegoistischen Haltungen, von Wahl- und Abstimmungskämpfen auch in den Gesamtbundesrat hinein.

Missachtung von Mehrheiten

Hauptziel der SVP-Komplottkampagne war es, Blochers mögliche Abwahl am 12. Dezember zu verhindern - oder zumindest deren Akzeptanz ausserhalb des Parlaments zu unterminieren. Eine Abwahl von Blocher - der seiner Partei und «seinem» Parteivolk nach wie vor mehr verpflichtet ist als dem Gesamtbundesrat und der ganzen Bevölkerung - wird deshalb schon im Voraus als Ergebnis eines perfiden «Geheimplans» von Drahtziehern in Parlament, Verwaltung und Bundesrat uminterpretiert. Und als Reaktion auf eine allfällige Abwahl wird wie schon vor vier Jahren eine nochmals verschärfte «Belagerung» und politische Blockierung von Bundesbern angedroht.

Das «ganze» Volk, also auch die Nicht-SVP-WählerInnen, würde dann nämlich dazu aufgerufen, gegen die vom selben Volk zuvor gewählte Parlamentsmehrheit aufzustehen. Und damit einer neuen Koalitionsregierung ohne die ausgetretene SVP das gesellschaftliche Vertrauen zu verweigern. Mehr noch: die Schweiz recht eigentlich unregierbar zu machen.

Ein staats- wie parteipolitisch ungeheuerlicher Vorgang. Eine krasse Missachtung von demokratischen Parlaments- und Volksmehrheiten durch einen amtierenden Bundesrat. So diese Mehrheiten denn anders denken und entscheiden, als er und seine Kampfmaschine es wollen.

Schlüsselrolle der CVP

Wer sich mit einer bloss noch arithmetisch begründeten Konkordanz begnügt, kann den Regierungs- und Sitzanspruch der SVP, aber auch das damit eng verknüpfte Personen- und Gesinnungsdiktat nicht grundsätzlich infrage stellen. Im Jargon von Christoph Mörgeli: «Die schweizerische Konkordanz besteht gerade darin, dass der Bundesrat mit den stärksten Parteien besetzt ist, ungeachtet ihrer Parteiinhalte. Alles andere wäre eine Koalition.» Für alle jene aber, die auf eine auch inhaltlich-politische Regierungskonkordanz sowie auf eine personell integrative, von reinem Parteidenken emanzipierte Kollegial- und Konsensbehörde setzen, haben SVP und Blocher keinen Platz mehr in der Landesregierung. Unter Absehung von vielen anderen Gründen ist deren Verbannung in die reine Parlaments- und Urnenopposition allein durch ihren diesjährigen Wahlkampf nicht nur bestens legitimiert, sondern staatspolitische Pflicht - ganz abgesehen davon, dass siebzig Prozent der WählerInnen bekanntlich gegen die SVP und damit - in der Logik der SVP-Kampagne selbst - indirekt auch gegen eine Wiederwahl von Bundesrat Blocher gestimmt haben.

Die parteipolitisch ausschlaggebende, weil mehrheitsbildende Rolle für Wieder- oder Abwahl von Blocher liegt bei der CVP. Deren Präsident, Christophe Darbellay, hat schon wiederholt für eine Abwahl votiert. Auch in der jüngsten Ausgabe des CVP-Parteiorgans spricht er Klartext - mit einem Plädoyer für eine inhaltlich-politische Konkordanzregierung der «liberal-sozialen Allianz» auf der Basis gemeinsamer Legislaturziele.

Stellt man die Erneuerung der CVP als gutbürgerliche Mitte - in deutlicher Abgrenzung zu SVP und FDP - wie auch die starke personelle Erneuerung ihrer Fraktion bei den jüngsten Wahlen in Rechnung, so liegt eine knappe Abwahl von Blocher durch eine schwarz-rot-grüne Parlamentsmehrheit am 12. Dezember durchaus im Bereich des Möglichen; zumal auch einige Freisinnige die selbstmörderische Umarmung durch die rechtsbürgerliche Anti-68er-Partei endlich wieder aufbrechen möchten. Dann würde die SVP selbst den Weg frei machen für eine politische Konkordanzregierung, wieder mit einem zweiten CVP-Sitz sowie erstmals mit einem Vertreter, einer Vertreterin der Grünen, die bekanntlich mit einer Kampfkandidatur gegen Blocher antreten werden.