Bundesratswahlen: Die neue Mehrheit hat gespielt
Nach den National- und den Ständeratswahlen kassiert die SVP bei den Bundesratswahlen die dritte Niederlage in Folge. Die Mitte-links-Mehrheit ist gefestigt. Die Regierung bleibt stabil. Der Atomausstieg wird bestätigt.
«Ihr könnt schlafen gehen, es ist gelaufen», sagte SP-Präsident Christian Levrat nach der Fraktionssitzung am Vorabend der Bundesratswahl zu JournalistInnen. Levrat konnte in der Lobby des Hotels Bellevue in aller Gelassenheit sein Bier trinken. Er sollte recht behalten. Und: Die Nacht der langen Messer war nicht einmal eine Nacht der Sackmesser. SVP-Nationalrat Lukas Reimann twitterte spätnachts um halb drei Uhr: «führte bis jetzt anstrengende, überparteiliche Überzeugungsgespräche … es wird auch Stimmen ausserhalb von SVP/FDP für unsere Leute geben …» Und vor der Bellevue-Bar, wo KantischülerInnen aus Romanshorn PolitikerInnen interviewten, klaubte Hans Fehr eine Visitenkarte aus einem Bündel Hunderternoten in der Innentasche seines Vestons und sagte: «Wenn wir heute Abend noch ein wenig arbeiten, sind wir zuversichtlich.»
Schlecht organisierte Spontitruppe
Die SVP brilliert seit Monaten vor allem mit Fehleinschätzungen: Statt die Dreissigprozentmarke bei den Nationalratswahlen zu knacken, erhielt die sieggewohnte Partei eine erste Watsche, beim laut angekündigten «Sturm aufs Stöckli» gingen ihre Spitzenleute Adrian Amstutz, Christoph Blocher, Toni Brunner, Caspar Baader und Ulrich Giezendanner sang- und klanglos unter, bei der Kür ihrer Bundesratskandidaten bot sie das Bild einer schlecht organisierten Spontitruppe, und die drei grossen B (Blocher, Brunner, Baader) bewiesen im Fall Bruno Zuppiger vor allem eins: einen eklatanten Mangel an Urteilsvermögen. Und nebenbei kam ans Tageslicht, dass Blocher die Öffentlichkeit in Bezug auf seine Beteiligung bei der «Basler Zeitung» angelogen und Ex-UBS-Chef Marcel Ospel als Strohmann vorgeschoben hatte – einen Mann also, der den Schweizer Staat zur grössten Rettungsaktion in der Wirtschaftsgeschichte des Landes zwang. In der Stunde der Niederlage erscheint Christoph Blocher als das, was er schon immer war: ein Vertreter des Grosskapitals (vgl. «Die Lügen des Herrn B.», Seite 2).
Dass der Angriff der SVP-Spitze auf den Sitz von BDP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf – auch mit dem aus dem Hut gezauberten konkordanten Nationalratspräsidenten Hansjörg Walter – nicht gelingen würde, war nicht erst am Vorabend der Bundesratswahl absehbar: Mit Ausnahme der FDP-Fraktion bezeichneten alle anderen diese Personalpolitik als «unseriös».
Gabi Huber verbrennt sich
Die Dominanz des rechtsbürgerlichen Blocks ist seit den Parlamentswahlen gebrochen – die Stahlhelmfraktion in der CVP wurde marginalisiert, die FDP vermochte am Mittwoch ihre Reihen nicht zu schliessen: Fraktionschefin Gabi Huber beteuerte ständig, dass ihre Fraktion die SVP-Kampfkandidatur gegen Widmer-Schlumpf unterstützt hatte, sie lege «für jedes einzelne Mitglied meiner Fraktion die Hand ins Feuer». Dabei muss sich Gabi Huber heftig verbrannt haben: Die Aargauer Ständerätin Christine Egerszegi und der Solothurner Nationalrat Kurt Fluri gaben lange vor der Bundesratswahl bekannt, dass sie Eveline Widmer-Schlumpf wieder wählen würden.
FDP-Nationalrat Filippo Leutenegger ahnte die Wiederwahl von Eveline Widmer-Schlumpf bereits am Montag und sprach vom «Siegesrausch» der Linken, der die FDP «in die Arme der SVP» treiben könnte. «Dann ist die Konkordanz gebrochen, und dann gelten keine Regeln mehr», sagte er. Die Befürchtungen Leuteneggers, dass die Wahl chaotisch verlaufen würde, waren unbegründet. Die Mitte-links-Fraktionen stimmten wie angekündigt – auch für beide FDP-Bundesräte. Dabei hätte zumindest die SP der SVP Hand für einen zweiten Sitz geboten – wenn diese rechtzeitig erklärt hätte, dass sie den Sitz von Johann Schneider-Ammann angreifen wolle. Die SVP ignorierte die Warnung, dass es angesichts der Mehrheitsverhältnisse bei den Parlamentswahlen – FDP und SVP verloren insgesamt sechzehn Sitze – nicht vier Regierungssitze für den Rechtsblock geben konnte.
Siegesgewiss war diesmal die andere Seite: Am Mittwochmorgen verliess eine grosse Delegation aus dem Bündnerland fähnchenschwingend in Bern den Intercity und zog in aufgeräumter Stimmung durch den Regen Richtung Bundeshaus. Diese Bundesratswahlen waren so vorhersehbar wie schon lange nicht mehr. Denn auch Grüne, CVP, BDP und selbst die Grünliberalen deklarierten bereits im Vorfeld, dass sie im Bundesrat «grossmehrheitlich» oder einstimmig am Status quo festhalten und die in der SVP verhasste Eveline Widmer-Schlumpf in ihrem Amt bestätigen wollten. Der Angriff der Rechtsbürgerlichen auf Widmer-Schlumpf misslang gründlich. Die Bündnerin wurde mit einem guten Resultat (131 Stimmen) auf Anhieb gewählt. BDP-Präsident Hans Grunder und Fraktionschef Hansjörg Hassler lagen sich danach in den Armen, der Saal klatschte, bloss in den Bänken der SVP war es still.
Draussen in den Gängen, als das Schweizer Fernsehen vor dem Wahlgang auf die Ereignisse vor vier Jahren zurückblendete und die Abwahl Blochers und die jubelnde Ratslinke zeigte, sagte ein Mann im Vorbeigehen hasserfüllt: «Jetzt zeigen sie diese Schweine schon wieder.»
Nachdem das Parlament auch Ueli Maurer und Didier Burkhalter im Amt bestätigt hatte, trat SVP-Fraktionschef Caspar Baader an das Rednerpult und erklärte leidenschaftslos, die Konkordanz sei vom Parlament gebrochen worden. Daher greife die SVP in allen folgenden Wahlgängen mit Jean-François Rime an. Mit ihrer Trotzreaktion, doch noch gegen Schneider-Ammann anzutreten, vergraulten sie auch noch ihren letzten Bündnispartner. Die Attacken liefen ins Leere, auf den Bundeshauskorridoren begann das wehleidige Gejammer der SVP-PolitikerInnen. Ausgerechnet die systematisch Zwietracht säende SVP beschwört einmal mehr die Eintracht. Mit der Eintracht innerhalb der SVP-Fraktion ist es seit dem Zuppiger-Desaster nicht mehr zum Besten bestellt. Nächsten Dienstag kommt es an der Fraktionssitzung zu einer Aussprache.
Für das Land ist die Selbstdemontage der SVP ein Glücksfall. Zumal die SP in diesem Wahlherbst und mit ihrer überzeugenden Kandidatenkür für den Bundesrat an Format gewonnen hat. Mit Alain Berset hat sie einen prononciert linken und über das eigene Lager hinaus anerkannten Mann in den Bundesrat gebracht. Die Perspektiven für politisch konstruktive Lösungen sind besser als in der vergangenen Legislatur.
Mehr konstruktive Lösungen
Allerdings machen sich gerade linke PolitikerInnen nichts vor. Der Schaffhauser Nationalrat Hansjürg Fehr spricht von «graduellen» Verschiebungen: «In der Sozial- und Steuerpolitik wird sich nicht viel ändern», sagt er. Die BDP, die Grünliberalen und die CVP betrieben eine klar bürgerliche Politik. «Die Schnittmenge ist sicher etwas grösser geworden – etwa in der Aussenpolitik. Und die Zusammenarbeit dürfte angenehmer werden.»
Fehr glaubt nicht, dass es wegen der Wahlniederlagen in der SVP zum Aufstand kommen wird. Der Einfluss der Hardliner um Christoph Blocher sei dafür immer noch zu stark. In der Umwelt- und Energiepolitik sind im Parlament jedoch bereits Veränderungen erkennbar. Der frisch gewählte SP-Nationalrat Cédric Wermuth sagt: «Die Vorstösse um den Atomausstieg, die wir in der ersten Sessionswoche behandelt haben, gingen leichter durch.»
Am Mittwoch wurden die neuen Mehrheitsverhältnisse im Parlament auch in der Regierung bestätigt. Die Politik in diesem Land bleibt stabil. Gefestigt wurde damit auch ein neues Konkordanzmodell: Vier Sitze für Mitte-Links, drei Sitze für den Rechtsblock.