Datenschutz: Im Datenschutzanzug

Nr. 5 –

Die Menschen ahnen nicht, was ihre Privatsphäre wert ist, bis sie die Kontrolle darüber verloren haben. Und die Schweizer DatenschützerInnen warnen: «Wir allein können für nichts garantieren!»

«Also ehrlich», meinte kürzlich ein kluger, junger Bekannter, «ich verstehe das ganze Getue um den Datenschutz nicht - wenn mir ein Chip mit all meinen Daten implantiert würde, hätte ich nichts dagegen», schliesslich tue er nichts Unrechtes. Was sagen? Tierschützerinnen schützen Tiere, Naturschützer die Natur - und DatenschützerInnen? Bedrohte Daten? Taugenichtse und Bösewichte? Oder was?

Am Montag fand der zweite Europäische Datenschutztag statt. Zuvor hat Privatim - die Vereinigung der Schweizer Datenschutzbeauftragten - die Medien zu einem Seminar eingeladen. Die DatenschützerInnen klangen verzweifelt. Immer häufiger werde der Datenschutz als «Sündenbock» dargestellt. Wenn es zum Beispiel im Bereich der Sozialhilfe zu Missbräuchen komme, sei plötzlich der Datenschutz schuld, da relevante Daten angeblich nicht ausgetauscht werden könnten, konstatierte Amédéo Wermelinger, Datenschutzbeauftragter von Luzern. Doch dies treffe gar nicht zu, vielmehr seien vorhandene Daten nicht ausgewertet worden. Seine Kritik: «Der Datenschutz wird oft benutzt, um eigene Defizite zu verstecken oder um Pflichten nicht zu erfüllen.»

Bis die Wehrmacht kommt

Eine unheilvolle Sache: Damit werden nicht nur die FürsorgebezügerInnen, sondern gleich auch noch der Datenschutz schlecht gemacht. Zurück bleibt das weit verbreitete Gefühl: Ehrliche Menschen legen ihre Daten offen - wer dagegen opponiert, muss etwas zu verbergen haben. Eine naive und fantasielose Sicht, denn die Geschichte, die Gegenwart, aber auch die Zukunft lehren das Fürchten. Hier nur einige Beispiele:

Wir leben in einem demokratischen Rechtsstaat. Doch braucht es manchmal wenig, um einen Rechtsstaat einstürzen zu lassen. Frankreich war zum Beispiel eine Demokratie, bis 1940 die deutsche Wehrmacht einmarschierte. Ein französischer Datenschützer hat einmal gesagt: Wenn damals dieselben Daten vorhanden gewesen wären, über die der Staat heute verfügt, hätte kein einziger Jude in Frankreich überlebt.

Heute werden vor einem Anstellungsgespräch die BewerberInnen oft gegoogelt. Der künftige Arbeitgeber weiss schon vor dem Gespräch, auf welcher Parteiliste jemand kandidiert hat, sah kompromittierende Bilder oder las Unwahres - das alles lässt sich kaum mehr aus dem Netz tilgen, und niemand ist dafür verantwortlich. Die eigene Geschichte entgleitet, ehe man sichs versieht.

Noch bunter wird die Zukunft. Zum Beispiel das «Internet der Dinge» oder MyLifeBits. Künftig dürften sämtliche Produkte mit sogenannten Rfid-Chips ausgerüstet sein - Chips, die Daten senden, damit man jederzeit feststellen kann, wo sich ein Ding gerade aufhält. Jede gekaufte Jacke, jede Zahnbürste, jede Flasche Wein, die mit einem solchen winzigen Chip ausgerüstet ist, lässt sich technisch über das Internet der Dinge verfolgen.

Die totale Kontrolle

MyLifeBits ist ein Projekt von Microsoft. Speicherplatz ist heute fast unendlich und günstig verfügbar, was es Microsoft erlaubt, an der «totalen digitalen Aufzeichnung eines Menschenlebens» zu arbeiten. Alles, was jemand sagt oder tut, wird mittels Computer, Kamera und Mikrofon festgehalten. In einem Beitrag von «Spektrum der Wissenschaft» schrieb einer der Microsoft-Forscher über MyLifeBits: «Das Leben eines Menschen wird der Nachwelt, insbesondere seinen Kindern und Enkeln, so genau, so lebhaft und mit allen Einzelheiten überliefert, wie es bisher den Reichen und Berühmten vorbehalten war.» Die Daten sollen auf einem MyLifeBits-Computer gespeichert und geordnet werden, damit man sich im eigenen Datenberg zurechtfindet. Microsoft hat im letzten Jahr ein Patent eingereicht, das auf ähnliche Weise sämtliche Vorgänge am Arbeitsplatz überwacht. Die MitarbeiterInnen werden verkabelt, um jede körperliche und emotionale Regung aufzuzeichnen. Angeblich will Microsoft damit Computer befähigen, die Probleme von Angestellten zu erkennen und selber Lösungsvorschläge zu machen. Das System erlaubt aber auch die totale Überwachung der Angestellten - was nur geschehe, wenn die Angestellten zustimmten, versichert Microsoft. Müssig festzustellen, dass jemand, der einen Job braucht, kaum seine Zustimmung verweigern wird.

Was machbar ist, wird eingesetzt. Bruno Baeriswyl, Präsident von Privatim und Zürcher Datenschutzbeauftragter, bezeichnet das als «technologiegetriebene Entwicklung» - eine gesellschaftspolitische Debatte darüber finde praktisch nicht statt. Die Leute merkten nicht, wie leichtfertig sie ihre Privatheit aufgeben würden. Diese Privatheit ist letztlich nichts anderes als das Recht, selber zu bestimmen, wie man wahrgenommen wird. Doch sei es damit wie mit dem Sauerstoff, sagt Baeriswyl: «Man merkt es erst, wenn nichts mehr davon vorhanden ist.»

Die DatenschützerInnen könnten die Privatheit nicht allein verteidigen, mahnt Baeriswyl: «Die Datenschützer sind keine Versicherung. Wir haben zu wenig Möglichkeiten. Der Bürger kann sich nicht auf uns verlassen!» Zwar tun sie, was in ihrer Macht liegt - aber sie können nicht mehr tun, als die Gesellschaft einfordert. Und sie warnen unmissverständlich: Falls weiterhin alles zulässig ist, was machbar ist, muss man sich vielleicht bald in einen Datenschutzanzug einpacken, um noch unüberwachte Momente zu erleben.

Mehr Datenschutz dank Schengen

Vorerst wird das einst umstrittene Schengener Abkommen, dem die Schweiz beigetreten ist, ein bisschen Bewegung in den Datenschutzbereich bringen. Das Abkommen verlangt nämlich, dass die Schweiz sich dem EU-Datenschutzrecht anpasst. Konkret fordert das EU-Recht unabhängige Datenschutzbeauftragte, die auch über ein eigenes Budget verfügen müssen. Zudem sollten sie die Möglichkeit haben, bei Verstössen intervenieren zu können. Zwei Drittel der Kantone erfüllen diese Anforderungen erst teilweise und sind dabei, nachzubessern. Im März wird eine EU-Delegation die Schweiz besuchen und in mehreren Kantonen überprüfen, ob der hiesige Datenschutz ausreicht.

Doch das Recht allein bringt wenig. Die DatenschützerInnen verlangen eine «privacy friendly technology» - Technologien und Güter, die unsere Privatsphäre respektieren. Bereits ist die Rede von Gütesiegeln, die einem garantieren, dass ein gekauftes Produkt einen nicht heimlich ausspioniert. So wie es Umweltverträglichkeitsprüfungen gebe, sollte überprüft werden, ob eine Technologie «verträglich ist mit der Privatheit», sagt Baeriswyl. Aber auch hier gilt: Die Leute müssen es wollen, sonst passiert gar nichts. Vermutlich brauche es einige böse Erfahrungen, bis sich die Einzelnen bewusst sind, was die Privatheit wert sei, meint Baeriswyl nüchtern.