Grundrechte: Anstössige Ordnungshüter

Nr. 9 –

Was darf die Polizei?

In ihrer Empörung über die deutsche Regierung und deren Bundesnachrichtendienst, welche das Recht der BürgerInnen auf geheime Bankkonti gering schätzen, ist sich die offizielle Schweiz einig. Doch geht es um politische Meinungsäusserung im öffentlichen Raum, erodiert das Rechtsempfinden hierzulande von Fall zu Fall mehr.

Entsprach beispielsweise die Festnahme des WOZ-Journalisten Dinu Gautier vor Beginn der verbotenen Berner Anti-Wef-Demo am 19. Januar 2008 den vom Polizeigesetz des Kantons gesetzten Bedingungen? Peter Studer, ehemaliger Chefredaktor des Zürcher «Tages-Anzeigers» und bis Ende letzten Jahres Präsident des Schweizer Presserates, analysiert diese Frage in der neusten Ausgabe des juristischen Onlinedienstes «Jusletter» (www.jusletter.ch).

Der Jurist hält zunächst fest, dass das Polizeigesetz Festnahmen nur zur Identitätsfeststellung oder zur Verhinderung von «erheblichen Straftaten» erlaubt. Er kritisiert die Pressepolitik der Polizei, die zunächst «etliche Aussagen» über Gautier in die Welt gesetzt habe, um sich, nachdem dieser Strafanzeige eingereicht hatte, in Schweigen zu hüllen.

Wenn es wahr sei, dass Gautier von einem Staatsschutzbeamten vor dem WOZ-Büro namentlich angesprochen und angehalten wurde, sieht Studer keine Begründung für eine Festnahme zur Identitätsfeststellung. «Auf keinen Fall zu dulden» sei es, dass die Polizei vorsorglich grosse Mengen von Leuten festnehme, um sie «während eines Halbtages rein für alle Fälle aus dem Verkehr zu ziehen». Auch für eine Festnahme zur Verhinderung von Straftaten sieht Studer keine rechtliche Grundlage: Die blosse Teilnahme an einer unbewilligten Demo sei «keine schwerwiegende Straftat» und nach dem Stadtberner Kundgebungsregelement nicht einmal eine Ordnungswidrigkeit. Einen Landfriedensbruch hätte Gautier gar nicht begehen können, «war er doch als beauftragter Reporter erst auf dem Weg zu einer unbewilligten, in ihrem Verlauf nicht prognostizierbaren Demo auf dem Waisenhausplatz».

«Unter dem Leitstern des Verhältnismässigkeitsprinzips» hält es Studer schliesslich für «anstössig», wenn die Polizei Festgenommene einfach generell mit Kabelbindern fessle und zusätzlich erniedrige.

Peter Studers Text «Journalisten vor, während und nach Demonstrationen» ist im vollen Wortlaut hier nachzulesen: