Lebensmittelpreise: Hunger nach Rendite

Nr. 19 –

Weil der Aktienmarkt zum Verlustgeschäft geworden ist, investieren die Pensionskassen jetzt immer mehr in Rohwarenfonds. Damit sind sie Mitverursacher der steigenden Preise für Grundnahrungsmittel.

Diese Woche war Somalia an der Reihe. Zehntausende von Menschen, darunter auch viele Kinder, zogen am Montag durch die Hauptstadt Mogadischu, um gegen die hohen Lebensmittelpreise zu protestieren. In Mogadischu ist seit Anfang Jahr der Preis für ein Kilo Mais von 12 Rappen auf 25 Rappen gestiegen. Ein Fünfzigkilosack Reis kostet jetzt rund 48 Franken, während man vier Monate zuvor noch 26 Franken dafür bezahlte.

Als einige DemonstrantInnen Steine warfen, schossen Truppen der Regierung auf die Menge. Sie töteten dabei zwei Menschen und verwundeten mehrere. Am Dienstag gingen die Demonstrationen weiter, allerdings beteiligten sich deutlich weniger Leute daran.

Was sich derzeit in Somalia abspielt, ist rund um den Globus auch in anderen Ländern zu beobachten, ob in Haiti, Bangladesch, Senegal oder in Usbekistan. Die Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel sind aus den Fugen geraten. Nun muss auch jene Schicht von Leuten hungern, die zumeist in den Städten lebt und sich bislang noch knapp über Wasser halten konnte. Diese Menschen wehren sich teilweise und machen Schlagzeilen in der Weltpresse, während über diejenigen Millionen, die vielfach auf dem Lande leben und schon lange hungern, kaum gesprochen wird.

Boomende Fonds

Inzwischen wird die negative Rolle, welche die internationalen Rohwarenbörsen bei den dramatischen Preisanstiegen spielen, weltweit eifrig diskutiert. Indien erwägt, den Terminwarenhandel mit landwirtschaftlichen Gütern zu verbieten. Der preistreibende Effekt sei offensichtlich. Wer auf steigende Preise bei Rohwahren wie Weizen und Mais spekuliert, hat in letzter Zeit massiv Gewinne eingefahren. Die Preisdifferenz, die die SpekulantInnen kassieren, zahlen letztlich die EndkonsumentInnen. In der Rubrik «Anlagefonds» bei den grossen Tageszeitungen lässt sich das Gewinnpotenzial der Rohwaren täglich mitverfolgen. So hat der Wert von Aktienfonds seit Anfang Jahr um bis zu zehn Prozent und mehr eingebüsst, während im gleichen Zeitraum sogenannte Commodity-Fonds um die fünfzehn Prozent zugelegt haben.

Bei Commodity-Fonds handelt es sich um ein neues Anlagevehikel der Banken. So hat etwa die Bank Sarasin ihre Commodity-Fonds erst vor zwei Jahren gegründet und verwaltet bereits 1,2 Milliarden Franken. «Waren es anfänglich vor allem private Anleger, so sind es jetzt zu sechzig Prozent institutionelle Kunden, mehrheitlich Pensionskassen, deren Geld wir verwalten», sagt der zuständige Fondsmanager Martin Baumgartner. Dieser Trend sei auf dem ganzen Markt festzustellen. Weil es derzeit schwierig ist, mit Aktien und Obligationen Geld zu machen, dabei sogar mit Verlusten gerechnet werden muss, setzt man auf das Geschäft mit Rohwaren, deren Preise stark angestiegen sind. Damit trägt man aber selber zu einem weiteren Preisschub bei.

Völlig neuartige Situation

Neben den Investmentfonds haben auch grosse Hedgefonds mit ihren verschachtelten Spekulationskonstrukten die Rohwarenbörsen entdeckt. Zudem tummeln sich auch KleinanlegerInnen, sogenannte Daytrader, per Internet im Geschäft. Jede Woche fliessen neue ein bis zwei Milliarden Franken an die entsprechenden Börsen, schätzen ÖkonomInnen. All diese neuen AkteurInnen haben «eine völlig neuartige Situation geschaffen», sagte am Dienstagabend Josef Ackermann, Leiter der Swissmill, des grössten Schweizer Verarbeitungsbetriebs für Getreide, im «Club» des Schweizer Fernsehens. Die Preise würden dadurch verfälscht und extremen Schwankungen unterliegen. Dreissig Prozent des Preisanstieges gingen auf das Konto der Börsenspekulationen, sagte in der gleichen Sendung der Uno-Sonderberichterstatter Jean Ziegler. Der Sinn der Warenterminbörsen war es, im Handel mit landwirtschaftlichen Gütern für ProduzentInnen wie VerarbeiterInnen eine gewisse Berechenbarkeit zu ermöglichen - das Getreide konnte schon vor der Ernte gehandelt werden. Inzwischen ist der Effekt eine völlige Unberechenbarkeit.

Neben den Fonds profitieren derzeit auch die angestammten Rohwarenhändlerlnnen im grossen Stil von der Situation. So hat der weltweit grösste Weizenhändler, die US-amerikanische Cargill-Gruppe, seinen Reingewinn im ersten Quartal dieses Jahres auf über eine Milliarde Franken fast verdoppelt. Mit der Firma Glencore in Zug gibt es auch in der Schweiz einen grossen Rohstoffhändler. Über dessen aktuelle Gewinne ist allerdings nichts bekannt, da die Firma kaum Zahlen zu ihrem Geschäftsgang bekannt gibt.

Abwarten in den USA

Am Jahrestreffen des Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) sagte der indische Finanzminister Palaniappan Chidambaram am Montag, viele asiatische Staaten teilten seine Besorgnis über die Spekulationen an den Rohwarenbörsen. Indien hat bereits Termingeschäfte auf Reis und Getreide verboten. Das Land stehe einer «ernsten Krise an der Nahrungsmittelfront» gegenüber, sagte der Minister.

Schon in den vergangenen Wochen wurde unter ExpertInnen über mögliche Regulierungen der Rohwarenbörsen diskutiert. So hat etwa die entsprechende Aufsichtskommission in den USA am 22. April ein Hearing zu dem Thema veranstaltet. Allerdings sind derzeit keine Massnahmen zu erwarten. Kommissionspräsident Walt Lukken sagte, man müsse erst sicher sein, dass Änderungen nicht die ganze Situation noch weiter verschlimmern.

Indiens Ankündigung hat auch zu harschen Gegenreaktionen geführt. Der ADB-Chefökonom Ifzal Ali bezeichnete die Massnahme als politischen Trick, um die WählerInnen zu beruhigen. Auch der Präsident der Europäischen Zentralbank Claude Trichet hält nichts von Verboten. Die Lebensmittelkrise sei schlicht darauf zurückzuführen, dass die Nachfrage das Angebot übersteige. Es sei es deshalb nötig, die Märkte weiter zu öffnen.