Maisanbau in den USA: Ein Korn für viele Geschäfte

Nr. 42 –

In den USA ist der Anbau von Mais derzeit lukrativ. Immer mehr Mais wird zur Treibstoffproduktion verwendet und an Schweine verfüttert. Mit Mais wird aber auch an der Börse spekuliert. Gleichzeitig ist Mais das wichtigste Grundnahrungsmittel für rund 900 Millionen Menschen. Ein Besuch bei einigen Schauplätzen des Maisbooms.

Bob Bowman besitzt grosse Maschinen. Stolz führt der 58-jährige Maisfarmer aus DeWitt im Osten Iowas durch seinen Betrieb. Zuerst zeigt er die Garage: die schweren Lastwagen, mit denen er seinen Mais ausliefert; die Traktoren, so hoch wie Einfamilienhäuser, die er auf seinen Feldern einsetzt; die Anhänger mit Armen, die sie bis zu zwanzig Meter auf beiden Seiten ausfahren lassen, um Gift gegen Pilzbefall, Unkraut und Insekten zu spritzen. «Ich mag all diese Maschinen, ich mag die Technik», sagt er.

Farmer Bowman bewirtschaftet zusammen mit seinem Sohn und einem einzigen Angestellten 2300 Acres Boden. Das sind rund neun Quadratkilometer – fünfzigmal mehr als ein durchschnittlicher Schweizer Bauernbetrieb. Damit gehört Bowman zu den Grossbauern Iowas. Bevor Mais ausgesät wird, düngen seine Traktoren den Boden computergesteuert, ohne dass ein Mensch mitfährt. Der teure Dünger wird nicht über den ganzen Boden verteilt, sondern nur auf schmale Linien. Die Traktoren fahren angeleitet von GPS-Satelliten – «wie die Raketen der US-Airforce», sagt Bowman. Das Computerprogramm merkt sich die Position der gedüngten Flächen, später werden dort die Samen platziert. Ein Jahr darauf lässt das Computerprogramm die neuen Düngerlinien etwas verschoben anlegen, damit sich der Boden dort, wo die Pflanzen wuchsen, etwas erholen kann.

Bob Bowman sagt, Fruchtfolge sei mit dieser Technik nicht mehr nötig. Er pflanzt auf seinen Parzellen jedes Jahr Mais. Er hat sich selbst mehrere Silos gebaut, in denen er die Körner ein ganzes Jahr lang lagern kann. «Ich mach das, was am meisten Geld bringt», sagt er. Bob Bowman, der Farmer und Ingenieur, muss auch Geschäftsmann sein. Die Millioneninvestitionen in seinem Betrieb sind mit Bankkrediten bezahlt. Er braucht einen hohen Umsatz.

Der Bundesstaat Iowa, wo ein Viertel des US-Maises geerntet wird, erlebt derzeit einen Maisboom. Nachdem der Maispreis Anfang 2008 in Folge der Finanzkrise zusammenbrach, hat er sich Ende 2010 innert weniger Monate fast verdoppelt. Seit diesem Sommer ist er nun allerdings wieder etwas abgesackt. Die FarmerInnen von Iowa spüren diese Preisschwankungen hautnah.

Bob Bowmans Mais ist ein Gentechprodukt. Wie er pflanzen viele MaisbäuerInnen in den USA gentechnisch veränderte Sorten an. Er ist überzeugt, so den höchsten Profit zu erzielen. Die Wissenschaft stehe erst am Anfang, sagt Bowman. Bisher sind in Gentechmais vor allem Resistenzen gegen bestimmte Krankheiten eingebaut worden. «Doch jetzt geht es auch um die Veränderung der Pflanzenleistung.» Die Gentechfirmen bringen etwa Produkte mit mehr Proteinen auf den Markt. Von den US-Behörden ist vor kurzem auch der Gentechmais Enogen des Schweizer Agromultis Syngenta zugelassen worden. Dieser Mais soll bei der Verarbeitung mehr Ethanol liefern.

Die USA exportieren ihren Mais in die ganze Welt – nur wenig jedoch geht nach Europa, weil hier Gentechmais verboten ist. «Es ist schon etwas komisch, dass neue gentechnische Maisprodukte ausgerechnet von europäischen Firmen auf den Markt gebracht werden», sagt der Grossbauer und lacht. Schon zweimal war Bowman in Europa. Dort hat er sich für den Gentechmais eingesetzt. Denn Bowman ist nicht nur Farmer, Ingenieur und Geschäftsmann, er ist auch ein Lobbyist, der seit dem Sommer etwa auch im nationalen Vorstand des Maisfarmerverbandes sitzt. «Die Politiker in Europa wollen den Gentechmais nicht, doch die Bauern schon», sagt er. «Die wissen, was sie verpassen.»

Monsanto als Welternährerin

Des Moines ist die Hauptstadt von Iowa und liegt drei Autostunden westlich von Bowmans Farm. Jeden Sommer findet am Rand der Stadt die State Fair, die grosse Landwirtschaftsmesse statt. Über eine Million Menschen strömen während der zehn Tage hierher, um sich in brütender Hitze an den Schaubuden zu vergnügen, mit Sesselliften über das Gelände zu schweben, Schweine, Rinder und Hühner zu begutachten, zwischen Heuballen den Reden von PolitikerInnen zu lauschen sowie Steaks und Hamburger zu essen. Zu den kulinarischen Spezialitäten an der State Fair zählt frittierte Butter am Stil.

Beim Haupteingang der State Fair hat dieses Jahr die Gentechfirma Monsanto einen Pavillon platziert, in dem sie für ihren Gentechmais wirbt. Wer in den gekühlten Raum tritt, wähnt sich zuerst an einer Ausstellung einer Hilfsorganisation. «Neun Milliarden Menschen müssen schon bald ernährt werden», ist da in grossen Lettern zu lesen. Und dafür brauche es einen gentechnisch verbesserten Mais. Monsanto inszeniert sich als die Speerspitze im Kampf gegen den Hunger.

Auch Craig und Sharon Early besuchen an diesem Nachmittag den Monsanto-Pavillon. Die beiden Siebzigjährigen bewirtschaften noch immer ihren Hof mit 3,2 Quadratkilometer, hoffen jedoch, dass schon bald ihre Enkel übernehmen werden. «Im Prinzip wird man als Maisbauer gezwungen, die ertragreichsten Sorten anzubauen», begründet Craig Early den Umstand, dass auch sie Gentechmais anpflanzen. Die beiden haben bewusst nie expandiert, weil sie sich nicht zu stark verschulden wollten. Doch sei man in der Landwirtschaft auch so vielen Zwängen ausgesetzt. «Die Preise für die Bodenpacht und den Dünger steigen ständig», sagt Craig. Und Sharon ergänzt, dass sie jahrelang bis zu tausend US-Dollar für ihre Krankenkasse bezahlen mussten. Seit sie 65 Jahre alt geworden sind, ist das jetzt vorbei. Sie sind kostenlos durch die staatliche Krankenversicherung Medicare abgedeckt.

Zurück zur Farm von Bob Bowman: Wir sitzen am Küchentisch in Bowmans relativ einfach eingerichtetem Wohnhaus. Bowman spricht über die Subventionen vom Staat, die die Farmer bekommen. Allerdings mag er das Wort Subventionen nicht. Er redet lieber von «Support» – von Unterstützung.

Die Regierung zahlt den US-FarmerInnen für jeden Acre, auf denen Massengüter wie Mais oder Weizen angebaut werden, einen bestimmten Betrag. Je mehr Land jemand bewirtschaftet, desto mehr bekommt er. Aber Bowman sagt, letztlich bringe das den FarmerInnen wenig. Denn mit den Subventionen werde nur der Wert des Landes erhöht. Allerdings haben die meisten sehr viel ihres Landes nur gepachtet, auch Bowman. Je höher die Subventionen, desto höher seien die Pachtzinsen, sagt er. Die Profiteure seien die Landbesitzer. Der Kauf von landwirtschaftlich genutztem Land ist in den USA zu einer lukrativen Investitionsanlage geworden.

Doch es sind noch andere Faktoren, die den Preis des Bodens bestimmen: «Letzthin rief mich einer der Landbesitzer an und sagte, hey, ich habe gehört, die Maispreise sind gestiegen», sagt Bowman. Ihm ist so angekündigt worden, dass die Pacht für nächstes Jahr erhöht wird. Bowman hat keine Wahl: «Es stehen zehn Nachbarn bereit, die dieses Land noch so gerne übernehmen würden.» Er selbst würde auch gerne noch mehr Land bebauen. Bowman muss seine vielen Maschinen auslasten, denn schliesslich hat er sie auf Kredit gekauft. Stehen sie einfach nur herum, so ist das totes Kapital. Der Maisanbau in Iowa ist ein Schulbeispiel dafür, wie der Kapitalismus funktioniert.

Maishandel an der Börse

Rund drei Stunden Autofahrt nach Osten sind es von Bob Bowmans Farm zum Board of Trade in Chicago. In diesem imposanten, 184 Meter hohen Art-déco-Bau aus dem Jahr 1930 wird der Weltmarktpreis für Mais bestimmt.

Pünktlich um halb zehn Uhr morgens beginnt im Board of Trade der Börsenhandel. Sofort ertönt aus Hunderten von Kehlen ein Rufen und Schreien. Die Händler und wenigen Händlerinnen stehen um sogenannte Pits, kleine Amphitheater, in denen jeweils ein Produkt gehandelt wird. Man ruft sich gegenseitig Kauf- und Verkaufsabsichten zu und gibt per Handzeichen die Grössenordnung der Aufträge bekannt.

Besonders grossen Andrang herrscht bei den Maisoptionen. Dabei erwerben die KäuferInnen nicht eine bestimmte Menge Mais, sondern nur das Recht, eine bestimmte Menge Mais innerhalb einer bestimmten Frist zu einem bestimmten Preis zu kaufen. Ursprünglich war diese Form von Handel als Absicherung für die Farmer und Käuferinnen gedacht, die so im Voraus mit klaren Preisen kalkulieren konnten. Aus demselben Grund entwickelten sich auch sogenannte Futures-Verkäufe, also Termingeschäfte, bei denen Verkaufsverträge auf ein bestimmtes Datum in der Zukunft abgeschlossen werden. Inzwischen wird das Geschäft jedoch mehrheitlich von SpekulantInnen beherrscht – Hedgefonds, Pensionskassen, Banken – denen es nur darum geht, das eingesetzte Geld zu vermehren; an der eigentlichen Ware sind sie nicht interessiert. Für diese Kundschaft kreieren die BörsenbetreiberInnen auch ständig neue «Produkte», mit denen etwa auf Preisdifferenzen bei den Rohwaren gewettet werden kann.

Die Zahl der Handelsabschlüsse ist in den letzten Jahren denn auch dramatisch gestiegen. Internationale Institutionen wie die Uno-Organisation für Handel und Entwicklung machen diese vermehrte Spekulation für die gestiegenen Rohwarenpreise mitverantwortlich. Als Beleg dafür wird etwa angeführt, dass sich die Preise 2006 bis 2008 parallel zu den Aktienkursen entwickelten, also stark anstiegen, um dann massiv abzustürzen. Das zeige, dass die Rohwaren durch die Spekulation nur künstlich verteuert wurden. Sobald sich die FinanzinvestorInnen wegen der unsicheren Lage aus dem Handel zurückgezogen hätten, seien die Preise abgesackt. Bezahlt haben das Spiel weltweit die KonsumentInnen, die mit starken Preisschüben konfrontiert wurden. Inzwischen fordern auch führende Politiker wie etwa der französische Präsident Nicolas Sarkozy eine stärkere Regulierung des Rohwarenhandels.

Tres Knippa ist seit 1993 Börsenhändler in Chicago. Er hat die Zulassung, an allen Pits zu handeln. Von einem Treppenabsatz am Rande des mehrere Turnhallen grossen Handelsraums überblickt er die verschiedenen Pits und auf dem Computerbildschirmen vor ihm die elektronisch nachgeführten Kurse. «Es stimmt, es sind tatsächlich immer mehr Leute im Geschäft», sagt er. «Aber das ist für alle gut. Die Hedgefonds und Banken stehen doch auf beiden Seiten. Sie kaufen und verkaufen, sie setzen sowohl auf steigende wie auch auf fallende Preise.» Dass an den Börsen starke Preisschwankungen nicht als Problem wahrgenommen werden, ist klar. Hier lebt man davon.

Knippa macht «von allem ein bisschen», wie er sagt. Er handelt für sich selbst, aber auch für KundInnen. Knippa verkauft auch schon mal Waren auf einen späteren Termin, die er gar noch nicht besitzt. Er spekuliert dabei auf fallende Preise. Solche sogenannten Leerverkäufe an den Börsen erhöhen die Preisschwankungen, weshalb deren Verbot gefordert wird.

Knippas Spezialität ist das Geschäft mit Rindern. Dabei spielt der Maispreis eine entscheidende Rolle, wie er sagt. «Wenn der Maispreis steigt, so steigen auch die Rinderpreise», denn Rinder werden mit Mais gefüttert.

Während Knippa spricht, schreit es aus den Pits, die Bildschirme vor dem Händler blenden immer wieder neue Kurse ein. Knippa hat mit einem Auge alles unter Kontrolle. Zwischendurch unterbricht er das Gespräch, um sich kurz dem Maispreis zu widmen. «Er ist gestern gefallen, doch jetzt zieht er wieder an», sagt er und klickt mit der Maus seines Computers. «All right, wir können weiterreden.»

Wieso macht man hier nicht alles am Computer, wie an der Zürcher Aktienbörse, wieso drängeln sich hier täglich Hunderte von HändlerInnen an die Pits und schreien sich ihre Kehlen heiser, wenn sie doch auch bequem vor dem Computer sitzen könnten? Knippa überlegt nicht lange. Er zeigt auf ein paar Männer, die an einem Pit stehen. «Sehen Sie die dort. Das sind ein paar der weltweit grössten Optionenhändler. Die tauchen hier täglich auf. Solange die hier sind, wird man weiterhin hier handeln. Denn da, wo diese Leute sind, da ist die Liquidität.» Wer also zum Beispiel eine grosse Menge Optionen auf Mais oder Rindern loswerden will, der weiss, hier, an der Chicago Board of Trade, findet er am ehesten genügend Käufer. Knippa weiss noch einen weiteren Grund für den direkten Handel in den Pits: Viele Händler wüssten bis ins Detail, welche Auswirkungen eine Preisveränderung bei einem bestimmten Produkt auf andere Produkte habe. Wenn sie sehen, wie sich der Handel in einem bestimmten Markt entwickelt, wer wie laut schreit und was er kauft oder verkauft, so könnten sie sofort antizipieren, welche Auswirkungen das auf andere Märkte hat. «Die Computer sind da schlicht langsamer.»

Auch Bob Bowman kontrolliert täglich mehrmals, was an der Börse von Chicago passiert. Er kauft und verkauft Optionen und Futures auf Mais, entsprechend seiner Vorräte, seinem Wissen über die nächste Ernte und seiner Einschätzung über die weitere Nachfrage. «Letztes Jahr habe ich einen grossen Teil der Ernte, die ich jetzt einbringe, bereits im Voraus verkauft – für vier Dollar den Bushel.» 28 Bushel sind rund ein Kubikmeter. Bowman hatte Angst, der Preis könnte auf drei Doller fallen, dann hätte er seine Kosten nicht decken können. Doch der Farmer hat sich verspekuliert – im Juli 2011 hätte er mehr als sieben Dollar dafür bekommen. «Ich dachte, die Preise werden wegen guter Ernten sinken. Doch dann kam die Dürre in Russland.»

Grundsätzlich findet es Bowman gut, dass es SpekulantInnen gibt. «Je mehr, desto besser. So finde ich immer jemanden, der meinen Mais genau dann abnimmt, wenn ich ihn verkaufen will.» Er glaubt auch nicht, dass die Spekulation zu Preisschüben führt. Letztlich sei es das Angebot der Farmer auf der einen und die Nachfrage der KonsumentInnen auf der anderen Seite, die den Preis bestimmen.

Bob Bowman liefert seinen Mais selbst aus: Nicht nur an die nahe gelegene Hundefutterfabrik, sondern auch an den Hafenterminal des Mississippi, von wo der Mais an den Golf von Mexiko gelangt und von dort in die ganze Welt exportiert wird. Er fährt seine gelben Körner manchmal auch zu einer der unzähligen Ethanolfabriken, die in Iowa in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen sind.

Autorennen mit Ethanol

«Dank der Ethanolproduktion haben wir den Preiszerfall beim Mais gestoppt», sagt Paul Emerick. Ich treffe ihn an einer grossen Politveranstaltung der Republikanischen Partei in der Nähe von Des Moines. Zusammen mit zwei Kollegen tourt Emerick in einem umgebauten Bus durch die USA, um für die Produktion von Ethanol zu werben. Finanziert wird die Werbetour von der Lobbyorganisation Iowa Corn, bei der auch Bob Bowman aktiv ist. Emerick war bis in die achtziger Jahre selbst Maisbauer. Doch er musste seinen Betrieb wegen der tiefen Maispreise aufgeben. Danach arbeitete er bis zu seiner Pensionierung als Lehrer für naturwissenschaftliche Fächer. «Jetzt können die Farmer hier wieder vom Mais leben», freut er sich.

Inzwischen wird gegen vierzig Prozent des US-Maises in Ethanol, das ist reiner Alkohol, verwandelt. Das Ethanol wird dem Benzin beigemischt, dient also als Treibstoff. Die US-Regierung gewährt den Ethanolfabriken sowie denjenigen Raffinerien, die Benzin mit Ethanol mischen, Steuererleichterungen. Iowa Corn sponsert auch Autorennen. Die Autos fahren mit einem Ethanolanteil von fünfzehn Prozent. «Unsere Gegner sind die grossen Ölkonzerne», sagt Emerick. Die würden lieber einfach nur ihr Öl verkaufen, als zuzuschauen, wie ihr Benzin mit Ethanol versetzt wird. Mit ihrer Ethanolwerbetour versucht Iowa Corn, dem Lobbying der Ölkonzerne entgegenzusteuern. Iowa Corn will, dass künftig viel mehr sogenannte Flex-Fuel-Fahrzeuge auf den US-Strassen verkehren. Diesen kann bis zu 85 Prozent Ethanol in den Tank gefüllt werden. Die Regierung habe zu fördern, was in Brasilien längst Realität ist, meint Emerick. Tatsächlich kommt dort die Ethanolproduktion (zumeist aus Zuckerrohr) dem Verbrauch nicht mehr hinterher. So muss Brasilien inzwischen Ethanol aus den USA importieren.

Dreckige Kohle für «sauberes» Ethanol

Die Ethanolfabrik der Lincolnway Energy liegt rund vierzig Kilometer nördlich von Des Moines in der Gemeinde Nevada. Die Chemikerin Francis Bauer führt durch den Betrieb. Seit 2006 werden hier rund 190 Millionen Liter Ethanol pro Jahr produziert. Kopien der Lincolnway-Fabrik stehen auch noch an anderen Orten der USA. Ethanolfabriken werden von spezialisierten Firmen in Serie gebaut. Der Standort wurde wegen der Nähe zu Bahngeleisen und einer Autobahn gewählt. Der Mais wird vornehmlich von Farmern aus der Umgebung geliefert.

Die Ethanolfabrik in Nevada ist rund um die Uhr in Betrieb, weil der Destillierofen mit Kohle betrieben wird – ständiges Wiederanfeuern wäre zu aufwendig. 285 Tonnen Kohle pro Tag verbrennt die Anlage, Kohle aus dem fernen Wyoming, die per Zug hierhertransportiert wird. Bauer weiss nicht, wie die Umweltbilanz ihrer Fabrik aussieht und wie viel klimaschädigendes CO2 etwa der Kohleofen täglich ausstösst. Sie hält jedoch fest, dass das bei der Produktion verbrauchte Wasser wieder aufbereitet wird und dass eine ganze Reihe von Nebenprodukten anfallen, die ebenfalls verwertet werden.

Wichtigstes Nebenprodukt bei der Ethanolproduktion ist das sogenannte Distillers Dried Grain (DDG), das äusserlich von gemahlenem Mais kaum zu unterscheiden ist. Das proteinhaltige Mehl wird als Tierfutter eingesetzt und bis nach China exportiert. An der Chicago Board of Trade lässt sich damit auch schon handeln, Futures und Options darauf kaufen. Eine Tonne DDG kostet derzeit rund 190 US-Dollar. Die Ethanolfabrik in Nevada füllt täglich sechs Eisenbahnwagen damit.

Eines ist sicher: Der Ethanolboom hat den Maisfarmern im Mittleren Westen der USA einen neuen, grossen Absatzmarkt beschert. Stehen die Ethanolfabriken demzufolge in Konkurrenz zu den 900 Millionen Menschen, für die Mais ihr wichtigstes Grundnahrungsmittel ist? Emerick insistiert, dass es sich hier im Weltmassstab um kleine Mengen Nahrungsmittel geht und schliesslich ein Teil des verarbeiteten Mais wieder in die Fleischproduktion gelangt. Dem ist anzufügen, dass die Armut und die internationale Abhängigkeit etwa Ostafrikas nur zementiert würde, wenn die USA deren Maisversorgung übernähme. Bei der derzeitigen Hungerkrise in Ostafrika decken sich die Hilfsorganisationen denn auch vielfach bei BäuerInnen in den Nachbarstaaten, etwa Uganda ein.

Was Abhängigkeit von US-Mais bedeutet, zeigt das Beispiel Mexiko. In den Jahren nach dem Inkrafttreten des nordamerikanische Freihandelsabkommen von 1994 mussten Tausende mexikanische MaisbäuerInnen aufgeben, weil sie gegen die zollfreien Billigimporte aus den USA nicht mehr bestehen konnten. Als dann die Maispreise 2007 massiv stiegen, führte das in Mexiko zur sogenannten Tortillakrise. Der Preis für das wichtigste Nahrungsmittel für die arme Bevölkerung verdoppelte sich, was zu Hunger, aber auch zu grossen Protestdemonstrationen führte. Die Preisschwankungen waren also weitherum spürbar.

Die USA sind weltweit mit Abstand die grössten Maisexporteure. Ausserdem mästen sie mit ihrem Mais Rinder und Schweine und führen deren Fleisch aus (siehe «Schweine in Iowa» im Anschluss an diesen Text). Mais wird überdies als Tierfutter exportiert. Die US-Regierung fördert den Absatz gezielt, auch in sogenannte Schwellenländer. «Wenn die Menschen in einem bisher armen Land beginnen, Fleisch zu essen, so ist das gut für uns», sagt Bowman. Dann kann die USA das Tierfutter liefern. Mehr als zwei US-Dollar pro Tag müsse jemand verdienen, damit sie zur Fleischesserin werde, schätzt Bowman.

Zum Thema Gentechnologie siehe auch das WOZ-Dossier.

Viel Mais aus den USA

Von den 2009 weltweit geernteten rund 817 Millionen Tonnen Mais stammten vierzig Prozent aus den USA. Hier wird nicht nur sehr viel Land für den Maisanbau genützt, auch die Erträge pro Quadratmeter sind wegen hohen Düngemittel- und Pestizideinsatzes sowie der Gentechnologie oft um ein Vielfaches höher als in anderen Ländern.

Der Bundesstaat Iowa ist in den USA der grösste Maisproduzent mit einem Anteil von 25 Prozent. Iowa ist für den Maisanbau besonders geeignet, weil es genügend regnet und so auf künstliche Bewässerung weitgehend verzichtet werden kann. Iowa ist zudem ausgesprochen flach, was einen hochrationellen Anbau möglich macht.

Mais kann weltweit angebaut werden. Es gibt rund 3000 verschiedene Sorten. Für 900 Millionen Menschen vor allem in Afrika und Lateinamerika ist Mais das wichtigste Grundnahrungsmittel. Über sechzig Prozent der weltweiten Maisernte dient allerdings zur Fütterung von Tieren.

Bürgerinitiative : Schweine in Iowa

Am Rande von Iowas Hauptstadt Des Moines hat sich in einem ehemaligen Gewerbehaus die Bürgerinitiative Iowa Citizens for Community Improvement (ICCI) eingerichtet. Diese nichtstaatliche Organisation setzt sich etwa für die soziale Sicherheit der Bevölkerung Iowas und die Rechte von ImmigrantInnen ein.

Ein zentrales Thema von ICCI ist aber auch der Kampf gegen die riesigen Schweinemästereien, die sich in Iowa mehr und mehr ansiedeln. Diese verbreiten einen unangenehmen Geruch, und die Schweinefäkalien gefährden das Grundwasser. Gab es in den 1980er-Jahren noch Zehntausende von kleinen Höfen, die sich einige Dutzend Schweine hielten, so hat in den letzten Jahren ein starker Konzentrationsprozess stattgefunden. Grosskonzerne, darunter auch der Welthandelskonzern Cargill, kaufen im grossen Stil Land in Iowa zusammen und bauen dort Betriebe mit Tausenden von Tieren. «Die meisten Anwohner wehren sich gegen solche Fabriken», sagt Natalie Snyders von ICCI. Die Bürgerinitiative lobbyiert in der Politik, schreibt Rekurse, strengt Klagen an und organisiert Demonstrationen.

Der Grund, weshalb Iowa so interessant für die Schweinemäster ist: Die verantwortlichen PolitikerInnen in Des Moines geben sich ihnen gegenüber offen, während andere Staaten inzwischen längst scharfe Umweltgesetze erlassen haben. Ausserdem liegt ein zentraler Rohstoff bei der Schweinefütterung vor der Haustür: Mais.

Die vielen neuen Schweinemästereien haben die USA in den letzten Jahren zum weltweit grössten Schweinefleischexporteur gemacht. Iowa ist dabei führend. Das meiste Fleisch geht nach Asien, rund fünfzehn Prozent nach Mexiko. Die Schweinepreise sind derzeit auf einem Rekordhoch. Neben den drei Millionen EinwohnerInnen Iowas leben mittlerweile neunzehn Millionen Schweine. Auch sie haben zu Iowas Maisboom beigetragen. Wer durch die weiten Ebenen Iowas fährt, riecht es gelegentlich.

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