SBB Cargo: Strasse ins Verderben
Die Schweizer Camionneure wollen sich am serbelnden Güterverkehr der Bahn beteiligen. Aus patriotischen Gründen. Wirklich?
Strassentransporteure und Güterbahn sind Feinde und Partner: zwei, die um dieselbe Beute ringen. Die eine, die SBB Cargo, darbt und hat allein im letzten Jahr Verluste von fast neunzig Millionen Franken eingefahren. Die anderen geschäften erfolgreich: Die Hupac AG zum Beispiel, die Güter durch ganz Europa befördert, beim alpenquerenden kombinierten Verkehr einen Marktanteil von fast fünfzig Prozent hat und von Hans-Jörg Bertschi präsidiert wird. Die Hupac hat eben ihre Zahlen präsentiert: Sie steigerte den Umsatz im Jahr 2007 um 21 Prozent und wies einen Bruttogewinn von über hundert Millionen Franken aus. Allerdings erhielt das Unternehmen - nach Berechnungen der WOZ - im selben Jahr vom Bund Subventionen von rund achtzig Millionen Franken, weil es Transitgüter auf der Schiene durch die Schweizer Alpen fährt.
Das Cargo-Domizil-Desaster
Hupac-Präsident Bertschi wiederholte bei der Bilanzpressekonferenz, die Transporteure würden sich gerne an der SBB Cargo beteiligen, man würde auch Geld in die Hand nehmen, denn man wolle nicht, dass dieses Unternehmen - wie die Swiss - in ausländische Hände gelange.
Die drei grossen Schweizer Transporteure Hupac, Planzer, Giezendanner wollen das wirklich - und warum sollen sie nicht? Vor zehn Jahren gab es schon einmal ein Güterbahn-Desaster. Damals ging es um Cargo Domizil, die den SBB gehörte und den Stückgutverkehr abwickelte. 1995 wurde das Unternehmen teilprivatisiert, machte einen Umsatz von 160 Millionen und ein Defizit von 40 Millionen Franken. Ein Jahr später wurde Cargo Domizil für ein bescheidenes Entgelt an die drei Transportunternehmen Planzer, Galliker und Camion Transport verkauft. Heute floriert das Unternehmen, macht einen Umsatz von einer Viertelmilliarde Franken und verschickt täglich per Bahn 10 000 Stückgutsendungen. Vermutlich wäre Cargo Domizil Ende der neunziger Jahre auch unter den SBB aufgeblüht, hatte das Unternehmen doch schon die grössten Turbulenzen hinter sich, als es abgestossen wurde.
Der Zürcher Transportunternehmer Bruno Planzer sagt heute, Cargo Domizil laufe auch gut, weil «die SBB einen tollen Job machen». Was er bei SBB Cargo ändern würde, wenn er daran beteiligt wäre, will er nicht verraten. Im Verwaltungsrat der SBB sitze aber kein einziger Fachmann, der vom Transportgeschäft eine Ahnung habe, das könne nicht gut kommen.
Giezendanners Ideen
Und wie steht es mit dem «wesensgerechten Verkehr»? Der Lobbyverband Strasseschweiz behauptet, nur ab Distanzen von 500 Kilometern lohne sich der Gütertransport auf der Schiene - alles andere sei nicht «wesensgerecht».
Planzer lacht und sagt: Er wolle nicht behaupten, dies sei falsch, aber «diese Zahl hat Hans-Jörg Bertschi vor dreissig Jahren in seiner Dissertation genannt. In diesen dreissig Jahren ist viel passiert.» Die SBB hätten ihre Leistungen ausgebaut, die Schwerverkehrsabgabe sei eingeführt worden; wenn man genau hinschaue, sei es komplizierter: «Cargo Domizil transportiert schliesslich auch Güter über Distanzen von siebzig bis achtzig Kilometern auf der Schiene.»
Und wie ist es mit dem Einzelwagenverkehr, der nach Meinung des Aargauer Transportunternehmers Ulrich Giezendanner eingestellt werden soll, weil das Rangieren eines Waggons angeblich 300 Franken kostet? In keinem anderen Land der Welt transportiert die Bahn über so kleine Distanzen noch Güter auf der Schiene und holt wie die SBB Cargo auch noch einzelne Waggons bei den KundInnen ab.
Planzer widerspricht Giezendanner. Der Wagenladungsverkehr könne sehr wohl sinnvoll sein, Giezendanner sei halt Politiker.
Das ist er tatsächlich, und zwar einer, der früher bei der Autopartei war, heute für die SVP im Nationalrat sitzt und am liebsten möglichst viele Güter auf der Strasse hätte. «Verkehrspolitisch wäre das eine Katastrophe», sagt Ernst Leuenberger, Solothurner SP-Nationalrat und ehemaliger Präsident des Schweizerischen Eisenbahn- und Verkehrspersonal-Verbandes (SEV): «Wenn wir kein Verkehrschaos wollen, müssen wir die Güter auf der Schiene behalten, auch wenn der Einzelwagenladungsverkehr relativ teuer ist.» Leuenberger ist - wie die SBB auch - strikte dagegen, dass die Camionneure sich an der SBB Cargo beteiligen, da sie naturgemäss völlig gegenläufige Interessen vertreten.
Ungemütlich würde es wohl auch für die Angestellten. Dürften sich die Camionneure beteiligen, wäre SBB Cargo nachher ein separates Unternehmen mit einem neuen Gesamtarbeitsvertrag (GAV). Heute haben die SBB-Angestellten einen vernünftigen GAV. Im Lastwagengewerbe hingegen herrschen gnadenlose Arbeitsbedingungen. Es existiert kein landesweiter Kollektivvertrag, die Löhne sind kaum kontrollierbar, die Arbeitszeiten lang.
Und die Alternativen? Wenn SBB Cargo mit der französischen SNCF kooperiere, sagt Planzer, sei das Interesse der Camionneure dahin. Er bezweifle aber, dass sich diese beiden Mentalitäten - SBB und SNCF - vertragen würden. Die polternde giezendannersche Lastwägelermentalität würden die Eisenbahner aber kaum besser ertragen.