«Der Mann, der starb wie ein Lachs»: Menschenmord und Sprachentod

Nr. 37 –

Eine Kriminalpolizistin aus Stockholm reist in eine einsame Region im hohen Norden, wo noch Meänkieli gesprochen wird. Der schwedische Autor Mikael Niemi erzählt ihre Geschichte.


Als Russland 1809 dem schwedischen Königreich Finnland entriss, verblieb im hohen Norden eine finnischsprachige Region bei Schweden: das Tornedal. 30 000 EinwohnerInnen - so der Sprachwissenschaftler Harald Haarmann («Die Sprachenwelt Europas», 1993) - sprechen heute noch Meänkieli, einen finnischen Dialekt. Diese Sprache steht im Zentrum von Mikael Niemis neuem Roman, «Der Mann, der starb wie ein Lachs».

Niemi, der selbst aus jener Region am Polarkreis stammt, ist damit ein würdiger Nachfolger für seinen Roman «Populärmusik aus Vittula» (2000) gelungen, der von der Jugend in Schwedens Norden zur Zeit der Ankunft der Popkultur handelt. Die Geschichte wurde vor vier Jahren von Reza Bagher verfilmt.

Mord am Polarkreis

Niemis neues Werk ist vordergründig ein Krimi: Ein pensionierter Zöllner, ein Junggeselle, der früher als Lehrer gearbeitet hatte, wird ermordet in seinem Bett aufgefunden, durchbohrt von einem Lachsspeer. Auf der noch eingeschalteten Herdplatte köchelt menschliches Gewebe vor sich hin. Es gehört zum Opfer. Man wird erfahren, dass es seine Zunge ist. Aus Stockholm reist eine attraktive Kriminalpolizistin an, um den Mord aufzuklären.

Der Süden und der Norden, die Hauptstadt und die kleinen Siedlungen am anderen Ende des Landes, das Schwedische und das Finnische bilden die Eckpunkte der Grundkonflikte dieses Romans. Der Schlüssel des Kriminalfalls liegt in der Sprache, im Tornedal-Finnischen, im Meänkieli.

Für den bald fünfzigjährigen Niemi sind seine nordschwedische Heimat und ihre Sprache eine Herzensangelegenheit. Das spürt man bei der Lektüre deutlich, nicht nur weil auch dieser zweite Roman in jener Gegend spielt, sondern auch in drei längeren Passagen, die ausschliesslich dieser Sprache gewidmet sind: Erst macht sich die Ermittlerin anhand von Leserbriefen und einer Universitätsvorlesung ein Bild von der Geschichte dieses Dialekts. Dann entwirft der Autor die Utopie, wie es gekommen wäre, hätte der russische Zar an der schwedisch-russischen Friedenskonferenz von 1809 den Fluss Kalix - und nicht den Torneälv - als Reichsgrenze gefordert, womit Tornedal wie Finnland zu Russland gekommen wäre. Und schliesslich schildert Niemi, wie Oscar II., der König von Schweden und Norwegen, 1888 über die Sprachen in seinem Reich nachdenkt und Massnahmen beschliesst: «Der Einfluss der Anhänger der finnischen Sprache musste bekämpft werden, beschloss er. Die Kinder. Wir müssen mit den Kindern anfangen. Wir werden den finnischen Dörfern staatlich bezahlte Schulen geben. Dafür müssen sie Schwedisch als Unterrichtssprache benutzen.»

Sprache als Unterdrückung

Die Geschichte des Tornedal-Finnischen ist typisch für Minderheitensprachen in Europa: Die Staatsgrenze entspricht nicht Sprach- und Kulturgrenzen, der Zentralstaat baut eine Sprache als Element der nationalstaatlichen Identität auf oder wittert bei der Minderheit separatistische Tendenzen. Daher soll die Minderheitensprache durch Assimilation ihrer SprecherInnen ausgelöscht werden. Sie wird nicht unterrichtet, ihre Verwendung wird geächtet oder verboten und bestraft. So erging es den Regionalsprachen im franquistischen Spanien und im Frankreich der Revolution, so verhielt es sich in Grossbritannien.

Im Tornedal, dem Schauplatz von Niemis Roman, schwedisierte der Staat 1888 die Schulen; noch in den vierziger Jahren jedoch sprachen viele EinwohnerInnen privat Finnisch, ausser mit ihren Kindern, denen Eltern nicht durch «Fremdsprachigkeit» den Weg zum schulischen und beruflichen Erfolg verbauen wollten. Wer in den fünfziger und sechziger Jahren aufwuchs, verlor Kultur und Sprache seiner VorfahrInnen. Zehntausende wanderten aus dem strukturschwachen ländlichen Norden in den verstädterten Süden - und sehr oft übersetzten sie sogar ihren finnischen Familiennamen ins Schwedische, damit nichts an die tornedal-finnische Identität erinnerte, die als ländlich, ja primitiv und hinterwäldlerisch galt.

Im Jahr 2000 anerkannte der schwedische Reichstag Meänkieli als Minderheitensprache. Sprachlich ist also die Lösung gefunden. Und natürlich findet die angereiste Stockholmer Kriminalpolizistin nach mancherlei Wendungen auch die Lösung des Falls - und ihre eigenen tornedal-finnischen Wurzeln, von denen sie selbst nichts ahnte. Auch den LeserInnen dürfte nichts geschwant haben, weil Niemi seinen Krimi überraschend und raffiniert konstruiert hat. Sein spannender Sprachkrimi ist - neben der eigentlichen Krimihandlung und den linguistischen Exkursen - erfüllt von sinnlichen Bildern, Farben, Geräuschen und Gerüchen aus dem Tornedal.

Mikael Niemi: Der Mann, der starb wie ein Lachs. Aus dem Schwedischen von Christel Hildebrandt. Btb Verlag. München 2008. 352 Seiten. Fr. 34.90