Schweden: Globale Beerenwirtschaft

Nr. 36 –

Thailändische ReisbäuerInnen reisen in die schwedischen Wälder, um Beeren zu pflücken und damit ein wenig Geld zu verdienen. Doch dieses Jahr klappte nichts wie geplant.


«Man muss schon zielbewusst sein und Geduld haben», sagt Sakkapan Pannakham, «trotz schmerzender Muskeln und Rückenweh. Vergessen, dass man Hunger hat, und vergessen, dass es da Bären gibt. Sondern so schnell wie möglich so viel Geld wie möglich zusammenpflücken.»

Sakkapan Pannakham ist Reisbauer aus Thailand. Zweieinhalb Monate im Jahr arbeitet er in Schweden. «Ich komme nun das fünfte Jahr hierher», erzählt er dem Reporter der Lokalzeitung «Värmlands Folkblad». Früh um vier Uhr stehe er auf. Ein schnelles Frühstück im Bus, der ihn und die anderen ThailänderInnen, die in der ehemaligen Schule auf Matratzen übernachtet haben, in den Wald bringt. Vierzehn Stunden lang pflücken sie dann Beeren. Nach siebzig Tagen, wenn erst die Heidel- und Moltebeeren, dann die Preiselbeeren abgepflückt sind, hat Pannakham 10 000 bis 15 000 Kronen verdient – netto, also nach Abzug der Ausgaben für Flug, Aufenthalt und Essen. Das sind höchstens 2200 Franken und entspricht einem Stundenlohn von etwa 1.80 Franken.

Staffelübergabe

Doch dieses Mal ist alles anders. 2009 ist kein normales Beerenjahr. Eine Frostperiode im Juni erwischte die Beerenblüten kalt. Deshalb wuchsen in Nordschweden nur wenig Beeren. Trotz der langen Arbeitstage schaffen die PflückerInnen manchmal nicht mehr als zwanzig Kilo am Tag. Die schwedischen Firmen, die die Beeren aufkaufen, zahlen ungefähr 1.30 Franken pro Kilo. Und kassieren pro Tag von den ThailänderInnen 22 Franken für Essen und Unterkunft. Viele bekommen dieses Jahr nicht einmal die 2250 Franken zusammen, die sie die Flugreise gekostet hat. Sie kehren ärmer nach Hause zurück, als sie vor einigen Wochen nach Schweden gekommen waren.

Früher war das Beerenpflücken ein wichtiges Zusatzeinkommen für die EinwohnerInnen in Nordschweden. Doch das professionelle Sammeln für die Beerenwirtschaft hat sich seit langem internationalisiert. Erst hatte man dazu finnische Arbeitskräfte über die Grenze gelockt. Mit der Öffnung Osteuropas kamen die GastarbeiterInnen aus Polen, Lettland und Litauen. Doch mit der Zeit wurde für sie das Beerenpflücken in Schweden mit dem steigenden Lohnniveau im eigenen Land uninteressant. Russinnen und Ukrainer lösten sie ab. Diese haben den Staffelstab an die Thailänderinnen abgegeben, und bereits sind erste Chinesen in Schweden an der Arbeit.

Jahrelang kamen die ArbeiterInnen auf eigene Faust ins Land, wurden von den Beerenfirmen angeheuert und bekamen befristete Aufenthaltsgenehmigungen oder arbeiteten schwarz. Das wollte nicht so recht funktionieren: Mal waren es zu wenig PflückerInnen, und die Ernte verrottete in den Wäldern. Mal waren es zu viele, und es gab Streit um die «Claims», der schon mal mit Schlägereien und dem Zerstechen von Autoreifen ausgetragen wurde. Zudem nutzten die Firmen die Situation skrupellos aus und drückten die Löhne.

2007 regulierte Stockholm das Beerenpflücken und wies jegliche Verantwortung von sich. Jetzt rekrutieren thailändische Zeitarbeitsfirmen die SaisonarbeiterInnen für die lappländischen Wälder. Rund 6000 ThailänderInnen sind in diesem Sommer nach Schweden gereist.

Erschütterte Bürgermeisterin

Vom Fiasko der diesjährigen Beerensaison merkte eine breitere schwedische Öffentlichkeit erst, als sich plötzlich 200 ThailänderInnen im Stadtpark der nordschwedischen Stadt Lulea niederliessen und gegen die schlechten Arbeitsbedingungen protestierten. Die Stadtverwaltung zeigte sich hilfsbereit und stellte Turnhallen als Bleibe zur Verfügung. Die Medien sprachen von «Sklaverei», und die schwedische Bevölkerung spendete Kleidung und Essen.

Yvonne Stalnacke, sozialdemokratische Bürgermeisterin von Lulea, zeigte sich erschüttert: «Für mich war das unerhört tragisch, als ich alle diese Menschen traf, deren grosse Träume hier geplatzt sind.» Doch mehr Beeren konnten sie alle auch nicht herbeizaubern. Und ihren Rückflug hatten die meisten ThailänderInnen erst für Ende September gebucht.

Niemand ist verantwortlich

Die Firmen, die die Beeren aufkaufen, machen es sich einfach: Man habe keine Verträge mit den ArbeiterInnen, die thailändischen Zeitarbeitsfirmen seien zuständig. Die Regierung in Stockholm schiebt die Verantwortung für die Gestrandeten ebenfalls ab. Arbeitsmarktminister Sven-Otto Littorin: «Wir sind weder für die Ernte noch für die Preise verantwortlich. Wo sind denn die Gewerkschaften?» Die mussten eingestehen, dass sie bislang keine Veranlassung gesehen hatten, sich um die Beerenpflückerinnen zu kümmern. Denn es sind eben keine Schweden.

Sozialdemokratinnen und Gewerkschaften fordern nun, dass die speziellen Regeln für eingereiste Beerenpflücker wieder aufgehoben und durch ordentliche Tarifverträge ersetzt werden. Chinaphan Khaewkentong hilft das nicht mehr. Sie und ihr Mann gehören zu den Ersten, die endgültig aufgegeben haben. Sie warten am Stockholmer Flughafen Arlanda auf den Rückflug nach Bangkok. Auch sie pflanzen zu Hause Reis an. Ihre Hoffnung, in Schweden so viel Geld zu verdienen, um zwischen den Reisernten noch Wassermelonen anbauen zu können, ist zerstört. Das Geld für die Reise hatten sie sich geliehen, indem sie ein Pfand auf ihren Acker aufnahmen. Für die Umbuchung ihrer Flugtickets mussten sie sich noch mehr verschulden. «Ich weiss nicht, wie es weitergehen soll», sagt die Bäuerin.