Nano-Ökotoxikologie: Ein unbekömmlicher Cocktail

Nr. 45 –

Das neue Ökotoxzentrum in Dübendorf.


«Es ist wichtig, Umweltrisiken früh zu erkennen und Schutzmassnahmen zu erarbeiten - auf fünf, zehn, zwanzig Jahre hinaus», sagte Georg Karlaganis vom Bundesamt für Umwelt an der Eröffnung des Ökotoxzentrums an der Eawag, dem Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereichs. Das neue Zentrum will praktische Risikobewertungen von neuen Chemikalien, zum Beispiel hormonaktive Stoffe oder synthetische Nanopartikel, in Angriff nehmen (vgl. Kasten). Im letzteren Fall gehen mögliche Risiken vor allem von der Tatsache aus, dass die Partikel in Zellen eindringen und diese verändern können.

Konkret lassen sich drei Phänomene beobachten, sagt Kristin Schirmer, Leiterin der Abteilung Umwelttoxikologie der Eawag: «Nanopartikel interagieren mit biologischen Molekülen - etwa mit Proteinen -, sie überwinden biologische Barrieren wie etwa die Zellmembran, und sie können dabei toxischer sein, als man von ihren Einzelkomponenten erwarten würde.» Silbernanopartikel etwa wirken bereits in kleinsten Konzentrationen toxischer auf Algen als gelöste Silberionen, wie eine Studie aus Schirmers Abteilung zeigt (siehe WOZ Nr. 35/08).

Schwierige Forschung

Bereis 2007 hat der Bund grünes Licht gegeben für ein nationales Forschungsprogramm zu Chancen und Risiken der Nanotechnologie. Vor 2010 allerdings werden die ersten Projekte kaum starten. In diese Lücke springt das neue Ökotoxzentrum. Die Leiterin Almut Gerhardt bezweifelt die von industrieller Seite geäusserte Überzeugung, dass die vorhandenen Methoden zur Risikobewertung genügen, um synthetische Nanomaterialien zu beurteilen: «Testverfahren, die für chemische Substanzen entwickelt worden sind, greifen bei Nanopartikeln nicht unbedingt. Deshalb können wir auch nicht einfach die Toxizitätsgrenzwerte von Silber nehmen und auf Nanosilber übertragen.» Der Weg zu einer Risikobewertung ist im Fall von Nanomaterialien komplex.

Zum einen handelt es sich nicht einfach um einen chemischen Stoff, sondern um verschiedene Gruppen von Nanopartikeln. «Und die verhalten sich in der Umwelt auch ganz unterschiedlich», sagt Gerhardt. Aus rund 250 Forschungsarbeiten zur Toxizität von Nanopartikeln lässt sich bislang nur ableiten, dass sie meist nur in sehr hohen Konzentrationen toxisch sind. Und dass ihre Toxizität unter anderem von ihrer Grösse, Form und Stabilität abhängt sowie von ihrer Beschichtung und dem Herstellungsverfahren.

Neue Testmethoden

Zum andern ist in der realen Welt die Ausgangslage oft eine andere als in der Grundlagenforschung. Am Ökotoxzentrum sind deshalb Projekte aus dem Bereich der angewandten Forschung geplant. Bereits angelaufen ist eine Untersuchung zu nanosilberhaltigen Fassadenfarben. «Wir wollen nachweisen, dass das Nanosilber ausgewaschen und in die Gewässer transportiert wird. In der Praxis findet man dann im Auswaschungsprodukt auch noch andere Substanzen, etwa Biozide - ein Cocktail entsteht.» Die Frage ist, wie dieser Cocktail, wenn er in die Gewässer gelangt, auf die Organismen dort wirkt und welchen Schaden er anrichten kann. Denn im Gewässer trifft er auf eine Reihe an Schadstoffen und Schadstoffgemischen. «Insgesamt kann sich die angewandte Forschung dem besser annehmen als die Grundlagenforschung, die versucht, alle Parameter zu isolieren und einzeln zu untersuchen.»

Im Moment können solche Untersuchungen nur exemplarisch durchgeführt werden - etwa mit den meistbenutzten Fassadenfarben. Um zu einer Risikobeurteilung zu gelangen, müssen also neue Testmethoden entwickelt werden. Genau dies will Almut Gerhardt - selbst Expertin für Umwelttests- in den kommenden vier Jahren in Angriff nehmen. «Es geht darum, Testverfahren zu erarbeiten, die wirtschaftlich und einfach handhabbar sind - und die international standardisiert werden können.» Mit diesen Biotests will sich das Ökotoxzentrum vor allem an die städtischen und kantonalen Umweltfachstellen wenden. «Wir planen Informationstage, Videos und praktische Demonstrationen, um diese neuen Tests vorzustellen und bei der Implementierung zu helfen.»


Ökotoxzentrum

Sieben Jahre nach der Schliessung des Toxikologischen Instituts in Schwerzenbach hat die Schweiz wieder ein unabhängiges Ökotoxzentrum. Angesiedelt ist es an der Eawag, dem Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereichs in Dübendorf, sowie an der ETH in Lausanne. Als unabhängige Stelle wird das Ökotoxzentrum die Umwelteffekte neuer Stoffe und Chemikalien erforschen sowie kantonale Fachstellen und die Industrie im Bereich der Ökotoxikologie beraten und weiterbilden. Innerhalb der nächsten vier Jahre will sich das Zentrum zur international vernetzten Wissensplattform entwickeln. Unter anderem sollen eine ExpertInnendatenbank sowie eine Stoffbibliothek aufgebaut werden. Der Bund finanziert den Aufbau des Ökotoxzentrums bis 2011 mit insgesamt acht Millionen Franken. Davon sollen dreissig Prozent für die Forschung eingesetzt werden.