Nanopartikel am Arbeitsplatz: Leise rieseln die Partikel

Nr. 37 –

Synthetische Nanopartikel, etwa aus Titandioxid, werden längst im grossen Massstab industriell hergestellt. Der Chemiker Thomas Kuhlbusch hat untersucht, wo es dabei zu einer erhöhten Belastung für ArbeiterInnen kommen könnte.


WOZ: Wie werden synthetische Nanopartikel eigentlich hergestellt - zum Beispiel das nanoskalige Titandioxid in der Sonnencreme, das vor UV-Strahlen schützt?

Thomas Kuhlbusch: Grundsätzlich können zwei Produktionsprozesse unterschieden werden: Der eine geht vom Groben zum Kleinen - zum Beispiel durch Zermahlen. Das wird im Fall von Titandioxid allerdings nicht angewandt. Will man Nanopartikel bewusst kontrollieren und manipulieren im Hinblick auf ein bestimmtes Endprodukt, dann verläuft der Prozess vom Kleinen zum Grossen. Das heisst, die Partikel werden aus einzelnen Atomen oder Molekülen über Gasphasenprozesse aufgebaut.

Was geschieht in diesem Gasphasenprozess?

Wenn man gasförmiges Titanchlorid verbrennt, wird einerseits Salzsäure frei, andrerseits entsteht Titandioxid. Dabei lässt sich auch die Partikelgrösse einstellen. Eine andere Möglichkeit ist, Titan einer Flüssigkeit als löslicher Bestandteil zuzuführen und anschliessend zu oxidieren. Als Resultat dieses Prozesses fällt dann Titandioxid aus. Mit Blick auf die Belastung am Arbeitsplatz ist es wichtig, die beiden Produktionsprozesse voneinander zu unterscheiden, weil auch die Exposition dabei unterschiedlich sein kann: In der Gasphase sind die Partikel viel mobiler als in der Flüssigkeit.

Wie werden die Nanopartikel weiterbearbeitet?

Bevor man das Titandioxid in reiner Form als Pulver vorliegen hat, wird es über Filter abgeschieden und in verschiedenen Waschgängen gereinigt und danach getrocknet. Im Verlauf dieses Prozesses kann man durch Beimengen anderer Stoffe auch die Oberfläche der Partikel nochmals verändern: Man kann dünne Beschichtungen auftragen, sodass die Partikel am Schluss zum Beispiel wasserabstossend oder wasseranziehend sind. Je nach Produkt, in dem die Partikel anschliessend verwendet werden sollen: Farbmittel, Dispergierhilfen oder eben in Sonnencremes.

Was geschieht dann mit dem Pulver?

Es wird in Säcke oder Flüssigkeiten abgefüllt und zur Weiterverarbeitung abtransportiert - das kann auf demselben Gelände sein, aber natürlich auch irgendwo sonst auf der Welt. Titandioxidpartikel werden in grossen Mengen hergestellt. Sie gehören zu den Stoffen, die schon seit über fünfzig Jahren produziert werden - auch in Nanogrösse. Deshalb liegt eine langjährige Erfahrung vor, was ihre Toxizität angeht oder ihre längerfristigen Auswirkungen. Bei neuen Produkten ist das natürlich anders.

An welchen Stellen im Produktionsprozess kann es denn zu einer erhöhten Belastung mit Nanopartikeln kommen?

Das Produkt - also zum Beispiel Titandioxid-Nanopartikel - wird bis zum Zeitpunkt, wo es für die Weiterverwendung in Säcke abgefüllt wird, in geschlossenen Systemen gehalten. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit für ArbeiterInnen, während des Produktionsverfahrens exponiert - also Nanopartikeln ausgesetzt - zu werden, sehr gering. Grundsätzlich muss man aber unterscheiden zwischen regelmässiger Exposition und einer höheren Belastung aufgrund eines Unfalls - zum Beispiel eines Lecks im Reaktor, wo die Partikel produziert werden - oder bei einer Störung, etwa, wenn beim Abpacken ein Sack platzt.

Gehen wir mal vom regulären Betrieb aus ...

Im regulären Betrieb kann es bei Wartungs- und Reinigungsarbeiten in den geschlossenen Anlagen zu einer erhöhten Belastung kommen, und dann nochmals beim Umfüllen und Abpacken der Nanopartikel in Säcke oder Container. Und natürlich beim Öffnen der Verpackung und beim Weiterverarbeiten der Partikel. Grundsätzlich ist eine Exposition immer dort möglich, wo die Handhabung nicht automatisiert werden kann.

Kann man feststellen, wie hoch diese Exposition ist?

Es gibt noch keine einsatzfähigen mobilen Messgeräte, die es erlauben würden, auch personenbezogene Messwerte zu erhalten. Deshalb werden vorderhand vor allem raumbezogene Messungen gemacht, welche die Belastung mit Partikeln in der Luft vor Ort messen. Wir vom IUTA, dem Forschungsinstitut für Energie und Umwelttechnik, haben bislang Messungen in neun Betrieben an sechzehn Standorten durchgeführt. Mittlerweile wissen wir relativ genau, wie reproduzierbar und wie genau unsere Messverfahren sind. Von anderer Seite sind mir nur fünf oder sechs publizierte Studien bekannt, die konkrete Expositionsmessungen vorgenommen haben.

Wo genau haben Sie gemessen?

Wir haben im Reaktorbereich gemessen - zumeist in geschlossenen Systemen. Dann haben wir im Verpackungsbereich gemessen, und teilweise auch in der Weiterverarbeitung zum Endprodukt. Dabei haben wir sowohl Anzahl als auch Grössenverteilung der Partikel gemessen. Zuerst während des Verarbeitungsprozesses und dann, wenn der Prozess ruhte, um die Werte vergleichen zu können.

Und wie sahen die Messresultate aus?

Sowohl die Massen- als auch die Anzahlkonzentrationen waren im Routinebetrieb erhöht - allerdings nur dort, wo die Nanopartikel abgepackt und weiterverarbeitet werden. Demgegenüber haben wir weder im Reaktorbereich noch dort, wo im geschlossenen System gearbeitet wird, signifikant erhöhte Konzentrationen gefunden. Ausserdem haben wir festgestellt, dass hauptsächlich Agglomerate von Nanopartikeln freigesetzt werden, das heisst, nicht die hochmobilen einzelnen Partikel, die klein genug sind, um in menschliche Zellen hineinzuwandern, sondern grössere Partikel im Bereich von über 400 Nanometern. Einzelpartikel traten in Quantitäten auf, die weit unterhalb der Grenze liegen, die man als Dosis in toxikologischen Studien nimmt, um überhaupt einen Effekt im Körper feststellen zu können.

Wie hängen denn Exposition und Dosis zusammen?

Genau das ist ein Schwerpunkt der aktuellen Nanotox-Konferenz. Es geht darum, abschätzen zu können, was überhaupt am Körper ankommt an Nanopartikeln, um dann auch eine Dosis abschätzen zu können, die im Körper drin sein könnte. Erst die Dosis - in Verbindung mit der Toxikologie, also mit der schädlichen Wirkung, die vom Stoff ausgeht - macht die potenzielle Gefährdung aus. Wir betrachten dabei das Einatmen der Partikel als die hauptsächliche Expositionsroute, die im Körper negative Effekte auslösen könnte.

Und die potenziell gefährlichen Einzelpartikel treten im Routinebetrieb selbst beim Umfüllen und Abpacken nicht stark gehäuft auf?

Das Institut für Gefahrstoffforschung der Uni Bochum hat die Handhabung nanoskaliger Pulver von über zwanzig verschiedenen Industrieprodukten im Labor simuliert: Die Kollegen liessen das Pulver in einer Fliesskammer runterrieseln - ähnlich wie beim Abfüllen in der Fabrik. Dabei haben sie ebenfalls die Grössenverteilung der Partikel in der Umgebung gemessen. Das Resultat hat unsere Messungen vor Ort bestätigt: Im Bereich unter hundert Nanometern sind praktisch keine Partikel freigesetzt worden. Allerdings: Bei Nanopartikeln, die bewusst so hergestellt werden, dass sie nicht aneinanderhaften, kann das anders aussehen.

Wie können sich die ArbeiterInnen schützen?

Schutzmaske, Helm und Handschuhe gehören beim Abpacken und Umfüllen dazu. Bei Wartungsarbeiten wird mit der vollen Schutzbekleidung gearbeitet. Ob es grundsätzlich notwendig ist, Schutzbekleidung zu tragen, ist eine Frage, die sicher im Raum steht. Bei Titandioxid zum Beispiel ist in Tierversuchen zumindest eine gewisse krebserregende Wirkung nachgewiesen worden. Weil man schon so lange Erfahrung mit Nanopartikeln aus Titandioxid hat, sehe ich das aber relativ gelassen. Anders sieht es bei neuen nanoskaligen Produkten aus, das möchte ich ganz klar sagen. Denn die produziert man ja bewusst, weil sie andere chemische und physikalische Eigenschaften haben. Und was damit dann im Körper passieren kann ... da sollte man schon sehr vorsichtig sein.

Muss man diese neuen Nanopartikel jetzt alle separat untersuchen?

Was man für eine erste Einschätzung der Belastung machen kann, ist, solche Rieselversuche im Labor durchzuführen, um herauszufinden, wie mobil die Partikel eigentlich sind. Daran sind wir zurzeit. Parallel dazu müssen unbedingt auch Toxizitätsabklärungen durchgeführt werden. Gerade wenn es sich um Massenprodukte handelt, muss man kritisch damit umgehen.

Welche weiteren Sicherheitsvorkehrungen kann man treffen?

Wir bauen zurzeit im IUTA - einem Betrieb mit rund 150 Leuten - eine Anlage auf, in der wir Nanopartikel im grösseren Massstab und sehr flexibel produzieren können, um der Industrie nanoskalige Produkte für die Weiterverarbeitung zu liefern. Hier sind die Auflagen sehr hoch. Zurzeit wird die Halle mit dem Reaktor gebaut - mit einer zweiten Halle drumherum, die auch noch extra belüftet wird.

Was erhoffen Sie sich von der Tagung für neue Erkenntnisse für Ihr Arbeitsgebiet?

Für mich, der ich von der Messtechnik her komme, ist es wichtig, dosisrelevante oder wirkungsrelevante Messgrössen erfassen zu können. An der Tagung erfahre ich mehr über spezifische, diesbezüglich wichtige Eigenschaften von Nanopartikeln, über ihre Wirkungsmechanismen und so weiter. Meine Herausforderung ist es dann, dies in Messtechniken zu fassen, um dosisrelevante Messungen am Arbeitsplatz durchführen zu können.


Thomas Kuhlbusch ist Bereichsleiter für Luftreinhaltung und nachhaltige Nanotechnologie am Forschungsinstitut für Energie und Umwelttechnik (IUTA), das zur Universität Duisburg-Essen gehört.

Nanomaterialien: Risiken und Nebenwirkungen

Immer mehr Studien zeigen, dass künstlich hergestellte Nanopartikel und -objekte toxisch wirken können. Die Frage, ob Kohlenstoff-Nanoröhren tatsächlich so gefährlich sind wie Asbestfasern, hängt wie ein Damoklesschwert über der noch jungen Nanotechnik, die bereits als Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts gefeiert wird. «Wir müssen mögliche negative Effekte mit derselben Anstrengung untersuchen, mit der wir neue Anwendungen entwickeln», lautet die zentrale Botschaft der Nanotox-Konferenz, die vom 7. bis 10. September in Zürich stattfindet.

Tausende Unternehmen produzieren und verwenden bereits Nanomaterialien - zahlreiche Klein- und Mittelbetriebe sind dabei, ihre Produktionstechnik entsprechend umzurüsten. An diesen Stätten werden auch mögliche Gesundheitsprobleme, die durch den Umgang mit Nanopartikeln entstehen, zuerst auftauchen. Denn hier ist die Belastung am grössten: In den Fabrikhallen, wo Nanopartikel und -materialien hergestellt, verarbeitet, verpackt und schliesslich rezykliert werden.

Handlungsbedarf besteht aber nicht allein aufgrund der erhöhten Belastung am Arbeitsplatz, sondern auch, weil sie von Dauer ist. Nanopartikel gelangen dabei über die Atemwege, Mund oder Haut in den Körper und können sich dort unter Umständen sogar anreichern. Wichtigstes Einfallstor sind die Atemwege: Über sie gelangen Nanopartikel nicht allein in die Lungen, sondern auch ins Blut und damit in so sensible Bereiche wie Lymphknoten, Milz, Herz, Leber, Nieren, Knochenmark oder sogar ins Gehirn.

Ob Nanopartikel im Körper Schäden verursachen können, hängt aber auch davon ab, wie die synthetischen Partikel beschaffen sind und ob sie der Körper wieder ausscheidet oder ob er sie irgendwo ablagert und anreichert. Mit diesen Fragen beschäftigt sich ein Grossteil der Referate an der aktuellen Nanotox-Konferenz. Einen besonderen Fokus richten die Forschenden dabei auf die Lunge und auf das Gefahrenpotenzial von Kohlenstoff-Nanoröhren.