Asylgesetz: Edle Worte, üble Taten

Nr. 4 –

EU-Aussenposten, Boatpeople, Beugehaft, die Sprache als Waffe und die Anständigen: Die permanente Verschärfung des Asylgesetzes stoppt die Migration nicht.


Ich war noch nie da. In keinem Ausschaffungsgefängnis, in keinem Durchgangszentrum, in keiner der vier Empfangsstellen, aufgeteilt nach den Himmelsrichtungen. Ich kann nicht sagen, was da passiert, wie es da aussieht. Ich versuchte, den kurdischen Politiker Mehmet Esiyok in Ausschaffungshaft zu interviewen, aber das Gesuch wurde abgelehnt. Nicht von ihm, er hätte mich sehen wollen, aber von den Behörden. Dann wurde er nach drei Jahren Haft doch nicht ausgeschafft, man liess ihn frei, weil die Anklage konstruiert war und ihm in der Heimat Türkei Folter drohte.

Klar ist: Die Schweiz ist nicht lasch im Umgang mit jenen, die reinwollen. Die Tradition in diesem Land, sie geht auf die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zurück, ist eine Tradition der Abwehrpolitik gegenüber AusländerInnen, die nicht wohlhabend sind. Sondern die - aus welchen Gründen auch immer - kommen, um vom Recht Gebrauch zu machen. Vom Recht auf Asyl für politisch Verfolgte und für Kriegsopfer zum Beispiel. Oder vom Recht, dass auch jenen irgendwie geholfen wird, die ganz unten sind - sogar jenen, die aus wirtschaftlichen Gründen fliehen, was hier kein Asylgrund ist. Und die alle hoffen, dass sie zumindest vorübergehend bleiben können.

Dieses Tor zur Schweiz lässt sich mit dem 1981 in Kraft getretenen Asylgesetz öffnen. Doch das Tor geht immer schwerer auf, denn das Gesetz hat nicht weniger als acht Teilrevisionen hinter sich, genauer: acht Verschärfungen. Die zweite Tür in die Schweiz wären das Ausländergesetz und die erweiterte Personenfreizügigkeit - doch die steht vor allem EuropäerInnen offen.

Wegreden und wegverschärfen

2005, in der letzten Teilrevision des Asylgesetzes, stimmte der Ständerat Verschärfungen des Asylgesetzes zu, die der damalige Justizminister Christoph Blocher gefordert hatte. Sie sollten unter anderem verhindern, dass Asylbewerber mit Nichteintretensentscheid, sogenannte Illegale also, Rechte haben: Der Ständerat beschloss, die Nothilfe zu streichen. Es war ein radikaler Beschluss. Und er war illegal. Das Bundesgericht entschied einen Tag später, dass der Staat Menschen nicht verhungern, erfrieren und an Krankheit sterben lassen darf, selbst wenn es sich dabei um Menschen handelt, die sich nach Schweizer Recht illegal in diesem Land aufhalten.

Draussen sind über achtzehn Millionen Menschen aus Afrika auf der Flucht, in Bewegung. Rund um Europa werden die Grenzen dichtgemacht. Die Sprache dient dabei als Waffe.

1938 hatte Fremdenpolizeichef Heinrich Rothmund noch gesagt: «Wir haben nicht seit zwanzig Jahren gegen die Zunahme der Überfremdung und ganz besonders gegen die Verjudung der Schweiz gekämpft, um uns heute Emigranten aufzwingen zu lassen.» Das war zwei Monate nach den Judenpogromen. So etwas würde heute nicht einmal Christoph Blocher derart direkt fordern, auch wenn er bereits von Sonderstempeln für Fahrende spricht.

Der ehemalige deutsche Innenminister Otto Schily nannte 2005 die von ihm propagierten Flüchtlingslager in Afrika «Aufnahmeeinrichtungen». Das Projekt der Europäischen Union in Libyen heisst «Praktizierte Humanität». Die Lager sollen Afrikanerinnen und Afrikaner davon abhalten, per Boot oder Floss die Überquerung des Mittelmeers zu riskieren - ein Fluchtweg, auf dem bis heute über 10 000 Flüchtlinge ertranken. In Italien, wo diese «Boatpeople» automatisch - Fluchtgrund hin oder her - als Illegale betrachtet werden, heissen die Lager, in denen sie umgehend für den Rückflug bereitgehalten werden, «Zentren des vorübergehenden Aufenthalts».

Die alte Platte wird permanent neu aufgelegt, sie dreht heute bloss etwas schneller, weil die Menschen auf der Welt ja nicht weniger werden. Als liesse sich dadurch eines der grössten, immer grösser werdenden Themen dieses Jahrhunderts, die Migration, einfach wegreden und wegverschärfen.

Beugehaft kostet Millionen

Schweiz 2009: Weitere Verschärfungen sind angekündigt. Auch wenn die jüngsten Erfahrungen zeigen, dass der Staat an die Grenze der Symptombekämpfung kommt, dass zunehmend nur noch Mittel in völkerrechtlichen Graubereichen übrig bleiben. Trotzdem wollen die Behörden weiterhin suggerieren, dass noch schärfere Massnahmen, noch verworrenere Gesetzesartikel die steigenden Asylgesuchszahlen verringern können.

Im Juni 2006 nahm die St. Galler FDP-Regierungsrätin Karin Keller-Sutter an einer Pressekonferenz des Bundes teil. Keller-Sutter ist eine Vorreiterin in Sachen Asylgesetzverschärfungen. An der Pressekonferenz sagte sie, dass eine Beugehaft - weil die Sprache eine Waffe ist, nannte sie es «Durchsetzungshaft» - als Ergänzung zur Ausschaffungshaft nötig sei, um Illegale zur Mithilfe beim Auftreiben von fehlenden Papieren zu zwingen. Die Haft sollte achtzehn Monate dauern. Achtzehn Monate unbedingt. Der Vorschlag kam durch.

Jetzt, im Januar 2009, zog Keller-Sutter eine Bilanz. Sie sagte, die Bilanz falle «durchzogen» aus. Die Presse schrieb: «Durchzogene Bilanz bei Durchsetzungshaft».

Mit «durchzogen» meinte Keller-Sutter folgendes: Seit dem 1. Januar 2007 waren im Kanton St. Gallen 23 Papierlose mit negativem Asylentscheid in Beugehaft gesetzt worden. Von den 23, angesichts der Emotionalität der Debatte eine auffallend niedrige Zahl, konnten oder wollten jedoch nur drei sich dem Kooperationszwang beugen. Zwanzig hingegen mussten nach Ablauf der achtzehn Monate Haft auf freien Fuss gesetzt werden. Sie tauchten unter. Kosten: Rund drei Millionen Franken. Effekt: 20 von 23 abgetaucht. Durchzogene Bilanz? Die Zürcher Sozialvorsteherin Monika Stocker wurde für weniger miese Bilanzen in einer beispiellosen politisch orchestrierten Medienkampagne fertiggemacht. Wer von oben nach unten tritt, scheint solche Kampagnen nicht fürchten zu müssen. Selbst wenn das propagierte, dringend benötigte Mittel erstens eine umstrittene Beugehaft und zudem ein kostenintensives Debakel ist.

Die absolute Lösung

Am selben Mittwoch im Januar 2009, an dem Karin Keller-Sutter in St. Gallen vor den Medien Bilanz zog, präsentierte die Schweizerin des Jahres, Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf, im Medienzentrum des Bundeshauses und zum Jahresauftakt neue Verschärfungen des Asyl- und Ausländergesetzes. Unter anderem sagte sie: Weil die Anzahl Asylgesuche derart zugenommen hat, namentlich jene von Dienstverweigerern aus Eritrea, soll Dienstverweigerung kein Asylgrund mehr sein. Dass aber diese Leute flüchten, weil Dienstverweigerung in Eritrea extrem hart bestraft wird, unter anderem mit Folter, sagte die stets korrekte, stets freundlich zurückhaltende, aber sehr bestimmte Juristin nicht. Folter aber bleibt weiterhin ein Fluchtgrund, und darum wird kaum ein Eritreer durch die neue Verschärfung, die erstmals am Mittwoch nach den Nationalratswahlen 2007 vom Rechtspopulisten und Milliardär Christoph Blocher gefordert worden war, zurückgeschickt werden können. Beim permanenten Kochen des fremdenfeindlichen Süppchens sind die Verschärfer offenbar am Punkt angekommen, wo sie ihre Symptombekämpfung selber aushebeln.

Es ist ein gefährliches Spiel. Der Staat suggeriert mit dem permanenten Drehen an einer Schraube, die bereits überdreht ist, dass es für Probleme im Asylbereich eine absolute Lösung gebe, eine totale Abschottung, einen Staat ohne Illegale, ein Land ausserhalb der Welt, ein Paradies Schweiz. Dabei gerät die Symptombekämpfung immer näher an die Grenze dessen, was mit dem Recht vereinbar ist. Wenn der Staat sein Volk permanent glauben lässt, Missbrauch lasse sich komplett unterbinden, wird dieses, angestachelt in diesem Fall von der SVP, weitere und härtere Lösungen fordern.

Was folgt auf achtzehn Monate Beugehaft?