Wef-2008-Nachspiel: Hartnäckige Datenschatten

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Der in Basel wohnhafte «Le Monde diplomatique»-Redaktor Kamil Majchrzak erhält keine Einsicht in seine Staatsschutzfichen. Warum? Und wen schützt Datenschützer Hanspeter Thür?

Vor einem Jahr, am 26. Januar 2008, verhinderte die Basler Polizei mit einem Grossaufgebot eine unbewilligte Kundgebung gegen das Wef. Sie nahm 66 Personen in Gewahrsam, darunter eine Gruppe tschechischer Architekturstudenten sowie Kamil Majchrzak, den in Basel wohnenden Redaktor der polnischen Ausgabe von «Le Monde diplomatique», der sich ordnungsgemäss mit seinem Presseausweis identifiziert hatte. Die Festgenommenen wurden fotografiert und ihre Daten an den Dienst für Analyse und Prävention (DAP), den schweizerischen Inlandgeheimdienst, übermittelt. Nach fünf Stunden wurde Majchrzak wieder freigelassen.

Die «Anhaltung» des Journalisten sei «nach dem damaligen Kenntnisstand» rechtswidrig gewesen, hiess es Anfang März 2008 im Bericht von alt Strafgerichtspräsident Christoph Meier, den das Basler Sicherheitsdepartement nach heftigen Protesten gegen die Polizeiaktion mit einer Administrativuntersuchung beauftragt hatte. Allerdings sei «erst nachträglich» vom DAP bekannt geworden, dass gegen Majchrzak eine Einreisesperre vorgelegen habe. «Er wird als international agierender und gewaltbereiter Globalisierungsgegner bezeichnet. Dieser Umstand hätte eine Anhaltung grundsätzlich erlaubt», schrieb Meier. «Aufgrund einer Lücke im System war diese Tatsache den Polizeiorganen am 26. Januar nicht bekannt.»

Tatsache ist, dass die angebliche Einreisesperre nie vorgelegen hat. Dies belegt ein der WOZ vorliegender Auszug aus dem Informationssystem Zemis des Bundesamtes für Migration. Tatsache ist jedoch ebenso, dass sowohl der DAP als auch der Basler Staatsschutz Daten über Majchrzak führen, die offenkundig von ihren deutschen Partnerdiensten stammen.

Widerrechtliche Festnahme

In Deutschland ist Majchrzak bereits mehrfach in seiner journalistischen Arbeit behindert worden. «Der Verfassungsschutz des Bundeslandes Brandenburg hatte sowohl mich selbst als auch meine Mitbewohner in Frankfurt an der Oder unter Beobachtung», sagt Majchrzak. Im Oktober 2004 griff ihn die Polizei heraus, als er für die Berliner Zeitschrift «telegraph» über eine Demonstration gegen die Hartz-Gesetze berichten wollte. Im Juni 2007 verweigerte ihm das deutsche Bundespresseamt für den G8-Gipfel in Heiligendamm die Akkreditierung als «Le Monde diplomatique»-Redaktor.

Durch eine Klage vor dem Berliner Verwaltungsgericht erhielt Majchrzak einen Tag vor Beginn des Gipfels dennoch die Zulassung, was aber nicht verhinderte, dass die Polizei ihn festnahm – widerrechtlich, wie auch hier ein Gericht bestätigte. Inzwischen musste der deutsche Verfassungsschutz die Daten löschen.

Und in der Schweiz? «Der Kanton stellt sich auf den Standpunkt, dass alle Staatsschutzdaten dem Bund gehören. Und auf eidgenössischer Ebene verweigert man meinem Mandanten mit einer nichtssagenden Standardantwort die Einsicht», sagt Majchrzaks Basler Anwalt Guido Ehrler.

Erheblicher Schaden

Für das Ficheneinsichtsverfahren beim Bund ist der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte Hanspeter Thür zuständig. Gemäss dem Bundesgesetz über die innere Sicherheit muss er den Betroffenen im Regelfall eine «stets gleich lautende Antwort» erteilen, nämlich, «dass in Bezug auf sie entweder keine Daten unrechtmässig bearbeitet würden oder dass er bei Vorhandensein allfälliger Fehler in der Datenbearbeitung eine Empfehlung zu deren Behebung an den DAP gerichtet habe». Von dieser vorgeschriebenen Auskunftsverweigerung kann Thür jedoch abweichen, wenn dem Betroffenen ein «erheblicher Schaden» entstünde und aus der Information keine «Gefährdung der inneren und äusseren Sicherheit» resultierte. Vergangenes Jahr hat Thür in drei Fällen – darunter dem eines WOZ-Redaktors (siehe WOZ Nr. 32/08) – von dieser Ausnahmeregelung Gebrauch gemacht.

Warum er Majchrzak solche Informationen verweigert, will Thür nicht sagen, weil dessen Beschwerde gegen die Standardantwort derzeit hängig sei. Er erklärt nur: «Wir holen beim DAP eine Stellungnahme ein, in der dieser die Staatsschutzgründe darlegen muss. Ob dem Betroffenen ein nicht wiedergutzumachender Nachteil entsteht, interpretieren wir anhand seiner Eingabe.» Das Bundesverwaltungsgericht muss nun entscheiden, ob der Journalist mehr über seinen Datenschatten erfahren darf und damit die Gelegenheit erhält, sich zu wehren.