Staatsschutz: Landquarter Fichereiwesen

Nach dem Polizeikessel in Landquart steht fest: Wer bei einer Demonstration kontrolliert wird, muss davon ausgehen, dass die Daten in Bern landen.

082 Personen hatte die Polizei am vergangenen 24. Januar auf dem Bahnhof Landquart zusammengetrieben, eingekesselt und in einer mehrstündigen Prozedur fichiert. Sie waren auf dem Rückweg von der friedlich verlaufenen Anti-Wef-Demo in Chur. Seit letzter Woche wissen sie, was mit den damals erhobenen Daten – Name, Vorname, Geburtsdatum, Heimatort, genaue Adresse und Telefonnummer – passiert ist: Die Bündner Polizei hat sie – bis auf zehn Ausnahmen – zwar aus ihren eigenen Akten und Computern gelöscht, aber «zwischenzeitlich auf Ersuchen hin» an die eidgenössische Staatsschutzzentrale, den Dienst für Analyse und Prävention (DAP) des Bundesamtes für Polizei, geliefert. Das geht aus einem Brief hervor, den das Polizeikommando des Kantons all jenen geschickt hat, die Einsicht in ihre Daten gefordert hatten.

Anfang Februar hatte das noch ganz anders geklungen: Die in Landquart erfassten Informationen, so hiess es damals, würden spätestens am 30. Juni gelöscht, sofern man sie nicht für ein Strafverfahren brauche. «Zehn Verfahren wurden eröffnet», behauptet Walter Schlegel, Sekretär des Wef-Ausschusses der Kantonsregierung, «unter anderem wegen Verstössen gegen das Betäubungsmittel- und das Waffengesetz.» Davon ist aber nur ein Teil bei der Bündner Staatsanwaltschaft hängig. Den Rest bearbeiten vermutlich die Kreisämter, die für Bagatelldelikte wie den Besitz von kleinen Cannabismengen zuständig sind. Für die Strafverfolgung waren die Daten also so gut wie wertlos.

Im März meldeten sich aber die Staatsschützer vom DAP bei der Kantonspolizei in Chur und verlangten, dass sämtliche erhobenen Personendaten nach Bern zu übermitteln seien. «Die Bündner hätten die Daten eigentlich von sich aus liefern müssen», sagt die Sprecherin des Bundesamtes für Polizei, Danièle Bersier. Das Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit, kurz: Staatsschutzgesetz, verpflichte die Kantone zur unaufgeforderten Meldung und zwar «immer dann, wenn es um Verbindungen zu gewalttätigem Extremismus gehen könnte». Das gelte auch für Personalien, die die Polizei bei Kontrollen am Rande von Demonstrationen erhebe, und sei keine Wef-Extraregelung. «Der DAP hat solche Daten auch nach dem G8-Gipfel im Juni 2003 erhalten.» Damals wurden in Lausanne und Genf hunderte von Demonstrierenden kontrolliert. Dasselbe Verfahren wandte man auch anlässlich des Papstbesuchs vor zwei Wochen in Bern an, wo die Stadtregierung rund fünfzig Personen einkesseln und fichieren liess.

Gemäss Staatsschutzgesetz legt der Bundesrat per Verordnung fest, wie die Kantonspolizeien «allgemeine Informationsaufträge» des DAP zu beantworten haben. Unaufgefordert müssen sie zum einen Informationen über die Personen und Gruppen liefern, die auf einer geheimen Beobachtungsliste stehen und die der DAP dem «gewalttätigen Extremismus» zurechnet. Lieferpflicht besteht ferner bei «Situationen und Ereignissen, in denen einzelne kantonale Polizeibehörden nicht mehr in der Lage sind, die Sicherheit ohne die Hilfe anderer Kantone zu gewährleisten». Konkret heisst das: bei allen Demonstrationen, bei denen Polizeikräfte mehrerer Kantone eingesetzt werden.

Diese Regelung, so der Berner Rechtsanwalt Daniele Jenni, zeige die ganze Absurdität des Staatsschutzes. «Natürlich waren beim Wef ausserkantonale Polizeieinheiten im Einsatz, aber was hat das mit den Leuten zu tun, die in Landquart rechtswidrig festgehalten und kontrolliert wurden? Die waren auf dem Heimweg von einer friedlichen Demonstration.» Jenni, der im April zusammen mit 37 anderen Betroffenen Strafanzeige gegen das polizeiliche Vorgehen erstattet hat, sieht sich «an übelste Zeiten vor dem Fichenskandal» erinnert.

Müssen nun alle in Landquart Kontrollierten damit rechnen, im Staatsschutzcomputer ISIS gespeichert zu werden? «Nein, nur jene Personen, bei denen sich ein gewalt-extremistischer Zusammenhang zeigt. Der Rest wird gelöscht», sagt die Sprecherin des Bundesamtes für Polizei. Wie der DAP an den Namen, Vornamen, Geburtsdaten, Heimatorten, Adressen und Telefonnummern den Extremismus erkennen will, «das werden sie Ihnen wohl nicht sagen». Bersier zweifelt aber nicht daran, dass es dafür Möglichkeiten gibt.

Im Übrigen könne jedeR ein Einsichtsgesuch beim Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten einreichen. Das haben Daniele Jenni und seine MitklägerInnen vor. Die Antwort darauf können sie schon jetzt in Artikel 18 des Staatsschutzgesetzes nachlesen: «Der Datenschutzbeauftragte teilt der gesuchstellenden Person in einer stets gleich lautenden Antwort mit, dass in Bezug auf sie entweder keine Daten unrechtmässig bearbeitet würden oder dass er bei Vorhandensein allfälliger Fehler in der Datenbearbeitung eine Empfehlung zu deren Behebung an das Bundesamt gerichtet habe.»