Finanzkrise: Die Konstrukteure der Krise

Nr. 8 –

Heute fordert Christoph Blocher die staatliche Kontrolle der UBS. Dabei ist er mit Kompagnon Martin Ebner Hauptschuldiger am Debakel.

Ist es späte Einsicht? Oder schneller Populismus? Christoph Blocher stellt das SVP-Parteiprogramm auf den Kopf. Er will eine Begrenzung der Boni und eine Staatsvertretung im Verwaltungsrat der UBS. Dabei war Blocher, Unternehmer, Milliardär, Exbundesrat, selbst Pionier im Kampf für einen unregulierten Markt und einen schwachen Staat.

«Robin Hood der Kleinaktionäre»

Rückblende in die neunziger Jahre, eine grosse Zeit für Christoph Blocher und seinen langjährigen Freund und Geschäftspartner Martin Ebner. Beide hatten bereits einige Jahre zuvor ihre Unternehmen gegründet beziehungsweise übernommen: Ebner die BZ Bank, die Blochers Hausbank wurde. Blocher die Ems-Chemie. Und beide wollten mehr.

Ebner hatte in den USA studiert und von dort den Traum mitgenommen, sehr schnell zu sehr viel Geld zu kommen. Und er hatte bei den angelsächsischen Investmentbanken ein neues Finanzinstrument kennengelernt – die riskanten und lukrativen Derivate – sowie das System, sich mit fremdem Geld in solide, aber etwas träge Unternehmen einzukaufen, vom Management einen Umbau der Firma und höhere Renditen zu fordern und die Aktienpakete danach bei steigenden Kursen wieder zu verkaufen. Er importierte einen Schlachtruf, der die Schweiz mehr als ein Jahrzehnt prägen sollte: Shareholder-Value. Grösstmöglicher Gewinn für AktionärInnen. Eine hohe Eigenkapitalrendite, also viel Gewinn pro eingesetztes Kapital, ist die grosse Verheissung. Es gibt keine unanständigen Gewinne mehr – nur unanständig niedrige.

Martin Ebner, der blonde, blasse, kühle Aussenseiter, wollte seine Vision nicht irgendwo umsetzen, sondern bei der mächtigsten Bank des Landes, der Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG). Sie wollte er entern. Ebner kaufte mit Blochers Hilfe im grossen Stil Aktien auf, Ende 1993 besass er knapp zehn Prozent sämtlicher SBG-Aktien. Als er zum gewichtigsten Grossaktionär geworden war, startete er einen verbissenen Kampf, der drei Jahre dauern sollte. Er warf dem Management Misswirtschaft, Unfähigkeit und Betrug an den AktionärInnen vor. Er forderte einen kleineren Verwaltungsrats Eine Steigerung der Effizienz. Eine Maximierung des Gewinns. Den Umbau der traditionellen Universalbank in eine Investmentbank. Er nannte all das die «Revolution der Eigentümer», sich selbst sah er als «Robin Hood der Kleinaktionäre».

Die SBG unter dem damaligen Präsidenten Nikolaus Senn wehrte sich zäh. Sie hatte viel zu verlieren: das Kleinkundengeschäft, Eigenkapital, Stabilität, die Kontrolle und Tausende von Angestellten. Ebner erwartete eine Eigenkapitalrendite von 15 bis 20 Prozent – die Grossbank wies zu jener Zeit gerade mal 7,5 Prozent aus. Kaum ein Schweizer Unternehmen erreichte zu jener Zeit eine höhere Quote. Senn warf Ebners Freund Blocher, der mehrere Jahre im Verwaltungsrat gesessen hatte, raus und konnte sich schliesslich bei den AktionärInnen knapp durchsetzen. Doch die SBG war vom jahrelangen Kräftemessen und Rechtsstreit geschwächt. 1998 wurde sie fast kampflos von Marcel Ospels Bankverein übernommen: Die neue Bank hiess UBS. Ebner verdiente dabei Hunderte von Millionen Franken.

Bei der Fusion gingen weltweit 13 000 Stellen verloren, allein in der Schweiz 7000. «Lange galt es als chic, möglichst viele Mitarbeiter zu haben. Die Fusion ist die schmerzhafte Korrektur, aber für alle Mitarbeiter der beiden Banken wohl der beste Weg», kommentierte Christoph Blocher von aussen. Es sei der «sozialste Führungsstil», gegenüber Mitarbeitenden «offen und ehrlich» zu sein – er meinte damit die Tatsache, dass die Entlassungen kurz vor Weihnachten ausgesprochen wurden.

Ebner selbst blieb ein Aussenseiter – nur die beiden Unternehmer und SVP-Grössen Christoph Blocher und Walter Frey bekannten sich öffentlich zu ihm. Seine Unternehmensphilosophie aber war salonfähig geworden.

Der damalige Bankverein-Finanzchef und spätere UBS-Konzernchef Peter Wuffli etwa erklärte kurz vor der Fusion, im Jahr 2002 werde man eine Eigenkapitalrendite von sagenhaften zwanzig Prozent erreichen. Und Blocher sagte, es sei wirklich ein Fehler gewesen, dass Bankverein und Bankgesellschaft «zu wenig Gewinn erwirtschafteten». Weiter: «Die Aufgabe eines Unternehmens ist es, genügend Eigenkapitalrendite zu erwirtschaften.»

Plötzlich waren alle begeistert, alle wollten sofort höhere Renditen: Pensionskassen, Manager, die Finanzpresse, die KleinanlegerInnen. «Das einzige Risiko beim Aktiensparen», sagte Ebner, «ist, nicht dabei zu sein.» Das Eigenkapital wurde runter-, das Fremdkapital raufgefahren. Das Spiel wurde richtig gross. Die Unternehmen, die in den achtziger Jahren in die Breite gewachsen waren, wurden aggressiv umgestaltet: Sie wurden auseinandergenommen, Unrentables wurde verkauft, anderes mittels aufgelöster stiller Reserven fusioniert. Jetzt waren die Unternehmen wie Hochleistungssportler: leistungsstark – und extrem anfällig.

Kantonsvermögen an die Börse

Allen voran verbreiteten Blocher und Ebner während der neunziger Jahre Angst und Schrecken bei den Schweizer Unternehmen. Sie übernahmen gemeinsam Firmen, sie sassen in den gleichen Verwaltungsräten, predigten den Shareholder-Value. Sie zwangen die ABB dazu, massiv Eigenkapital und Arbeitsplätze abzubauen. Alusuisse wurde ins Ausland verkauft. Auch Sandoz, Roche, Rieter, die Winterthur- und Bâloise-Versicherungen, die Credit Suisse gerieten unter Druck. Blocher und Ebner griffen auch den Staat an: Sie wollten die AHV privatisieren und an die Börse bringen. Von seinem Wohnkanton Schwyz forderte Ebner, das Kantonsvermögen in Aktien anzulegen.

Der Schweizer Finanz- und Industrieplatz wurde vollkommen umgebaut. Nicht nur bei den Banken setzten sich Ebners Ideen durch. Sondern überhaupt bei den Unternehmen. Sie richteten ihren Blick nun nicht mehr in erster Linie auf ihr Kerngeschäft, sondern auf die Börse – aus börsenkotierten Unternehmen wurden eigentliche Finanzinstitute. Sie leerten ihre Schatztruhen und wurden selbst zu Playern in der weltweiten Hochfinanz. Bei Blochers Ems-Chemie etwa machten die Erträge aus Börsengeschäften zeitweise mehr als die Hälfe des Gewinns aus. Die NZZ nannte die Ems-Chemie damals «eine Art Investmentfonds».

Doch die neue Strategie hatte verheerende Folgen: Die Blase wuchs, weil immer mehr Geld möglichst profitabel und damit risikoreich angelegt wurde. Der Finanzplatz war längst nicht mehr trennbar von der Realwirtschaft. Als die Finanzblase 2002 platzte, verloren viele Unternehmen über die Hälfte an Wert. Tausende Arbeitsplätze verschwanden, bei Zehntausenden von KleinanlegerInnen und bei den Pensionskassen wurden Milliarden vernichtet.

Das Ende einer Freundschaft

Mit ihnen ging ihr «Robin Hood» unter: Ebner verlor sein gigantisches Vermögen und seine Macht. Nur Christoph Blocher hatte sich mit seinen Milliardengewinnen rechtzeitig vom Börsenhype verabschiedet. Mit 200 Millionen Franken musste er Martin Ebner retten, mit dem er einst reich geworden war (Blocher kassierte beispielsweise in fünf Jahren knapp zwanzig Millionen Franken für ein paar Verwaltungsratssitzungen in Ebners Anlagevehikel Pharma-Holding). Danach waren die beiden nicht mehr befreundet.

Trotz des Crashs von 2002 blieb das System unverändert: Die tiefen Eigenmittel blieben, der Zwang zu hohen Renditen, die enorme Verschuldung. Als letzten Herbst die aktuelle Krise ausbrach, hatte die UBS auf 100 Franken Bilanzsumme gerade mal 2 Franken 10 Rappen Eigenmittel. Das bedeutet: Bei einem Verlust von nur zwei Prozent war die Bank faktisch bankrott. Sie musste vom Staat gerettet werden. Gewinne privatisieren und Kosten auf den Staat überwälzen, das war das Programm von Martin Ebner und Christoph Blocher. «Wenn der Staat sich in die Wirtschaft einmischt», sagte Blocher vor rund zehn Jahren, «gibt es bald nur noch arme Leute.» Arm werden Leute aber, das zeigt die Krise nun, wegen des Wirtschaftssystems, das Blocher mitkonstruierte.