Standpunkt: Bei der Bankenregulierung steht der Streit um Eigenmittel erst bevor
Der ehemalige Preisüberwacher und Nationalrat erklärt «Basel III» und die demnächst erwarteten Expertenvorschläge des Bundes.
Das Zauberwort zur Verhütung von Bankenkrisen heisst «mehr Eigenmittel». Eigenmittel sind quasi der Stossdämpfer bei Krisen. Sie sind der finanzielle Puffer, wenn eine Bank Verluste erlitten hat.
Eigenmittel bestehen aus dem einbezahlten Aktienkapital der Aktionäre und den zurückbehaltenen, nicht ausbezahlten Gewinnen. Allerdings haben die Banken mit ihrer kreativen Buchhaltung bisher zu den Eigenmitteln weitere virtuelle Vermögensteile hinzugezählt, die eigentlich gar nicht vorhanden waren, so zum Beispiel zu erwartende Steuerreduktionen, die erst in der Zukunft anfallen. Man nannte dies verschleiernd «hybrides Eigenkapital». Das war ein gewaltiges Manipulationsinstrument.
Fetisch Eigenkapitalrendite
Die UBS hatte vor der Finanzkrise nur gerade 1,60 Franken Eigenmittel auf 100 Franken Bilanzsumme. Mit anderen Worten: Mit 1,60 Franken Eigenkapital konnte sie 98,40 Franken an Kundeneinlagen entgegennehmen und wieder ausleihen. Kein Wunder, dass sie mit so wenig Eigenmitteln nach ihren gewaltigen Spekulationsverlusten gewaltige Staatskrücken benötigte.
Die Credit Suisse stand mit 2,90 Franken Eigenmitteln pro 100 Franken übrigens nicht viel besser da, während die Kantonalbanken, die Raiffeisenkassen, die Regionalbanken sowie Coop- und Migros-Bank stets mit etwa 7 bis 10 Franken Eigenmitteln auf 100 Franken Bilanzsumme viel solider waren und sind. Heute weisen die beiden Grossbanken nur 4 Franken Eigenmittel pro 100 Bilanzfranken aus.
Man könnte meinen, die Banken sollten nach hohen Eigenmitteln trachten, um in der Welt als möglichst sicher dazustehen. Doch bei den Grossbanken ist das Gegenteil der Fall: Sie möchten möglichst wenig Eigenmittel. Weshalb dieses Paradox?
Der tiefere Grund ist der Shareholder-Value: Die sogenannte Eigenkapitalrendite (Return on Equity) ist ein Quotient und berechnet sich als Gewinn in Prozent des Eigenkapitals. Je tiefer das Eigenkapital, desto höher wird rechnerisch die Eigenkapitalrendite. Und dieser Wert wiederum ist massgeblich für die Börsenbewertung und die Boni der Geschäftsleitung und des Verwaltungsrats. Weniger Eigenmittel heisst also im Klartext: höhere Eigenkapitalrendite, damit höhere Bonizahlungen, aber weniger Sicherheit der Bank.
Im Rahmen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel treffen sich seit Jahrzehnten die Chefs der staatlichen Bankenaufsichtsbehörden. Der sogenannte Basler Ausschuss kann keine Regeln durchsetzen, aber er kann Empfehlungen an die Aufsichtsbehörden und die Nationalbanken abgeben.
Die bisher gültigen Regeln von «Basel II» sind nicht die Auslöser des Finanzcrashs, aber sie gehören zu den tieferen Ursachen der Bankenkrise. Nicht nur weil die Eigenmittelvorschriften zu tief lagen, sondern weil sie manipulierbar waren. Und weil die Aufsichtsbehörden, in der Schweiz die Eidgenössische Bankenkommission, versagt haben.
«Basel II» hatte den Banken bestimmte Eigenmittel vorgeschrieben. Die wurden aber nicht in Prozent der Bilanzsumme, sondern in Prozent der risikogewichteten Anlagen gerechnet.
In dieser Risikogewichtung liegt ein grosses Manipulationspotenzial. Die Grossbanken haben vor der Krise ihre Anlagen systematisch mit zu tiefem Risiko bewertet und damit die Kernkapitalquote optisch erhöht. Bei Eigenmitteln von effektiv nur 2 bis 3 Prozent der Bilanzsumme blufften sie die Welt mit einer Kernkapitalquote von 12 bis 15 Prozent der risikogewichteten Aktiven. Und die Eidgenössische Bankenkommission, unsere Finanzaufsichtsbehörde, konnte die Risikobewertung von Tausenden von Wertpapiertiteln schlicht nicht nachrechnen.
«Basel III» ist besser, aber nicht robust
Die neuen Empfehlungen «Basel III» sind eine deutliche Verbesserung gegenüber «Basel II», aber sie bleiben weit hinter dem zurück, was man nach der Bankenkrise 2008 gefordert hatte. «Basel III» fordert von den nationalen Behörden, dass sie die Eigenmittel der Banken erst bis 2018 auf 4,5 Prozent der risikogewichteten Aktiven verordnen – mit Variationen nach oben und unten je nach Konjunkturlage. Volle acht Jahre will man sich Zeit geben, die Banken besser zu kapitalisieren. Bis da wird die Welt längst die nächste Finanzblase erleben. Alle unabhängigen Beobachter sind der Meinung, dass diese lange Übergangsfrist einen gefährlichen Kniefall vor den Banken darstellt.
Mit «Basel III» können die Banken ihre Ziffern für ihre Eigenmittel weniger als bisher manipulieren. Als Eigenmittel gelten nur noch die Vermögensteile, die effektiv vorhanden sind, nämlich Aktienkapital und vorhandene Reserven, aber keine virtuellen Buchgewinne, keine zukünftigen Steuernachlässe, kein «hybrides Eigenkapital».
Hingegen bleibt die zweite Grösse, nämlich die risikogewichteten Anlagen, manipulierbar wie bis anhin. Die Risikogewichtung von Tausenden von Wertpapiertiteln bleibt eine Ermessensgrösse der Bank. Ratingagenturen, die die Risiken bewerten, sind weiterhin käuflich. Die Finanzmarktaufsicht Finma ist schlicht nicht in der Lage, das Risiko all dieser Titel einzeln zu bewerten.
Die neuen Vorschriften nach «Basel III» sind wie die alten nicht robust, nicht einklagbar, nicht justiziabel, und die Finma bleibt weiterhin gefangen und abhängig von der Risikoeinschätzung der Banken. Und sie bleibt auch in Zukunft abhängig von den Risikomodellen und der Grossbankenlogik, welche die Welt in die Krise geführt hatten. Der Chef der Abteilung Bankenprüfung in der Finma ist Mark Branson, der als früherer UBS-Banker die gleiche Logik verkörpert wie die Kontrollierten. Die Kontrollierten kontrollieren ihre Kontrolleure.
Expertenvorschlag wird entscheidend
Entscheidend für die Stabilisierung des Finanzsystems sind nicht bloss die neuen «Basel III»-Empfehlungen. Viel entscheidender ist die nationale Umsetzung. Nächste Woche erwartet man die Vorschläge der Expertenkommission des Bundes unter dem Vorsitz von Peter Siegenthaler, dem ehemaligen Chef der Eidgenössischen Finanzverwaltung.
Neben der Umsetzung von «Basel III» erwartet man auch Vorschläge zur Problematik von «too big to fail», also Organisations- und Vorgehensvorschläge für den Fall, dass eine Grossbank zahlungsunfähig wird oder zu wenig Eigenmittel hat.
In der erwähnten Expertenkommission Siegenthaler sitzen auch Vertreter der beiden Grossbanken. Dem Vernehmen nach sucht die Kommission nach einer einstimmigen Schlussempfehlung. Das ist ein schwerwiegender Fehler. Denn mit dieser direkten Interessenvertretung der Grossbanken wird der gemeinsame Nenner der Vorschläge klein sein – sehr klein!
Rudolf Strahm (*1943) ist Ökonom, Autor und Chemiker. Strahm sass von 1991 bis 2004 für die SP im Nationalrat und war bis 2008 Eidgenössischer Preisüberwacher.