Konjunkturpakete: «Eine einmalige Realsatire»

Nr. 10 –

Die eidgenössischen Räte diskutieren nächste Woche das Konjunkturpaket des Bundes. Die Basler Ökonomin Mascha Madörin zweifelt, ob die klassischen Ankurbelungsprogramme heute noch die gewünschte Wirkung zeitigen.

WOZ: Mascha Madörin, Sie beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit dem Finanzplatz Schweiz. Am nächsten Montag debattieren die eidgenössischen Räte über die Finanzkrise. Was erwarten Sie?
Mascha Madörin: Ich bin Ökonomin und versuche zu verstehen, was da weltweit passiert. Ich habe das Gefühl, dass man hierzulande das Ausmass dieser Krise nicht begreift. Drei Krisen fallen in der Schweiz zusammen: die Krise des Finanzsystems und der UBS, der Druck auf das Steuerparadies Schweiz – wohlverstanden ein Steuerparadies für Reiche und für Unternehmen sowie die Weltwirtschaftskrise. Diese Mischung ist hochexplosiv! Ich beschäftige mich seit geraumer Zeit mit dem Thema, lese viele verschiedene Ökonomenblogs und muss sagen: Ich habe mehr Fragen als Antworten. Überall sehe ich Ratlosigkeit. Positionen und Diskussionen verändern sich laufend.

Zum Beispiel?
Es gibt zwei grosse Themenbereiche: Der eine betrifft die Frage, wie gross die Finanzkrise respektive die Finanzblase ist. Lange Zeit dachte man, staatliche Kapitalzuschüsse könnten das Finanzsystem stabilisieren, danach könne man sich der Frage widmen, wie die Wirtschaft wieder anzukurbeln sei. Inzwischen ist klar geworden, dass die Finanzkrise überhaupt nicht ausgestanden ist.

Und der zweite Themenbereich?
Beim zweiten geht es um die Ausgestaltung der Ankurbelungspakete: Was setzt eine Wirtschaft wieder in Gang? Was bringt eine Wirtschaft wieder zum Wachsen? Als Referenzerfahrungen dienen die Depression der dreissiger Jahre und Japans zehnjährige Krise in den neunziger Jahren. Es wird darüber diskutiert, welche Erfahrungen man damals machte, inwiefern sich die Situation heute von damals unterscheidet und welche Lehren man daraus ziehen soll. Das Einzige, worüber sich heute alle einig sind: Die Staaten müssen eine zentrale Rolle spielen, und die Regulierung des Finanzsystems auf nationaler wie auf internationaler Ebene muss geändert werden. Aber darüber, was der Staat tun und was reguliert werden soll, besteht Uneinigkeit.

Im Moment bewegt die Schweiz das Schicksal der UBS: Wie soll man sie retten, wenn überhaupt?
Das Problem der UBS ist ihre Grösse. Laut «Financial Times» zählte sie Ende des letzten Jahres weltweit immer noch zu den sechs grössten Investmentbanken, zudem ist sie die grösste Vermögensverwaltungsbank der Welt. UBS und Credit Suisse (CS) sind Banken des Weltmarkts und der Weltmarkteliten – Global Players, wie sie von sich sagen. Wenn grosse Konzerne irgendwo auf der Welt ein Unternehmen übernehmen, brauchen sie eine grosse, globalisierte Bank wie die UBS, die die ganze Finanzierung abwickelt. Ohne diese globalisierten Finanzinstitute gäbe es keine globalisierte Wirtschaft. All die Firmen, die ihre Produkte zum Beispiel in Asien fertigen lassen und dann in Europa oder den USA auf den Markt bringen, könnten ohne diese Banken nicht agieren.

Die UBS gehört also zum Blutkreislaufsystem der globalisierten Wirtschaft?
So könnte man es sagen.

Wenn diese Banken so existenziell sind, warum wurden ihre Geschäfte nicht besser überwacht?
Neoliberale gingen davon aus, auf dem globalen Markt agierten ohnehin nur internationale Grosskonzerne und Reiche, die eine Ahnung haben sollten vom internationalen Bankgeschäft. Deshalb, so glaubte man, brauchte es keine Regulierung. Man hatte vergessen, dass es Fragen der Systemstabilität gibt. Dazu kommt: Die Schweiz hat die Banken nie wirklich überwacht, auch als dies Regierungen anderer Länder noch taten.

Das Investmentbanking von CS und UBS ist in den USA etwa so gross wie dasjenige der Citigroup. Die Citigroup schlingert masslos, drei Hilfspakete haben bislang wenig gefruchtet, die Regierung Obama ist daran, die Bank teilweise zu verstaatlichen. Müsste man das bei uns auch angehen?
Mir leuchtet die Nationalisierungsoption für die USA ein, weil es sich ja auch um eine grosse Krise des inländischen Finanzsystems handelt. Aber im Fall der Schweiz bin ich nicht so sicher, ob das der richtige Weg wäre – aus dem einfachen Grund, weil bei der UBS das Auslandsgeschäft in der Krise steckt und dieses Geschäft im Vergleich zum Inlandsgeschäft enorm gross ist. Nationalisierung würde auch heissen, dass alle Verpflichtungen gegenüber dem Ausland vom Staat übernommen werden müssten. Dazu kommt, dass dann auch die Vermögensverwaltung nationalisiert würde. Reiche werden ihr Geld nicht bei einer Staatsbank liegen lassen. Diese Fragen müssen deshalb genau diskutiert werden.

Sie haben das UBS-Hilfspaket, das im Oktober handstreichartig durchgeboxt worden ist, als ein kluges Konstrukt bezeichnet. Sind Sie immer noch dieser Meinung?
Aus technischer Sicht halte ich es für sehr gut gemacht: Die Idee war, dafür zu sorgen, dass die UBS nicht noch mehr Abschreibungen und damit Verluste ausweisen muss – damit der Abzug von Kundengeldern gestoppt wird. Gleichzeitig konnte die UBS mit einem möglichen Cash-Einschuss von sechzig Milliarden Franken rechnen. Die Nationalbank (SNB) stellte das Geld bereit, damit problematische Wertpapiere in eine spezielle Gesellschaft abgeschoben werden konnten. Diverse Länder diskutieren heute ähnliche Lösungen, sogenannte Bad Banks, weil man eingesehen hat, dass Verfahren gefunden werden müssen, um die grossen Mengen fast wertloser Wertpapiere irgendwie zum Verschwinden zu bringen. Dahinter steht die Hoffnung, dass diese Wertpapiere später wieder zu einem besseren Preis verkauft werden können. Das ist aber angesichts der Menge dieser Papiere sehr zu bezweifeln.

Also tatsächlich eine schlaue Lösung?

Die Frage ist: Auf wessen Kosten passiert das? Zu welchem Preis werden diese Papiere gekauft? Wer trägt mögliche Verluste? Das ist die grosse Knacknuss. Das SNB-Rettungspaket wurde eigenmächtig von einer Handvoll Leute geschnürt: Die Preise wurden geheim ausgehandelt, und die Verluste muss das Land übernehmen. Rückblickend kann man auch feststellen: Das Rettungspaket hat sein Ziel nicht erreicht, die UBS ist nach wie vor in einer sehr prekären Situation, und bis Ende Dezember wurden weiterhin Vermögen von der Bank abgezogen. Bundesrat, Verwaltung wie Nationalbank haben das Ausmass der Finanzkrise offensichtlich massiv unterschätzt – wie sie jetzt auch unterschätzen, dass das Bankgeheimnis massiv unter Druck ist. Die offizielle Schweizer Politik hat in Sachen Steuerhinterziehung die Situation verschlimmert.

Was würde passieren, wenn die UBS Konkurs ginge?
Das ist etwas, was sich kaum jemand vorstellen kann oder will. Bei Lehman Brothers glaubte die US-Regierung, einen Konkurs riskieren zu können, weil die Bank nicht so sehr im Alltagsgeschäft drin war. Man wusste auch, dass die Verluste sich auf die ganze Welt verteilen würden. Doch die Folgen waren viel katastrophaler als erwartet. Ich nehme an, dass bei einem UBS-Konkurs der Finanzplatz Schweiz in eine sehr grosse Krise geraten würde. Nicht nur, weil die UBS einen grossen Anteil am Inlandsgeschäft hat – wie das vor allem diskutiert wurde –, sondern ebenso, weil der Finanzplatz Schweiz ein Finanzplatz des Weltmarktes ist.

Kritische BetriebsökonomInnen sind der Ansicht, letztlich sei die UBS ein Unternehmen wie jedes andere. Also müsse es auch möglich sein, die Grossbank Konkurs gehen zu lassen.
Gute Unternehmer haben ein exzellentes Verständnis für den Mikrokosmos – sie wissen, wie das Geschäft abläuft. Ihnen fehlt aber der Blick fürs Ganze, für die globalen Zusammenhänge. Es ist falsch zu meinen, eine Bank sei ein Geschäft wie jedes andere. Ein Bankrott ist ein abrupter Wechsel, wo im Fall einer Grossbank hängige Geschäfte in der Höhe von Hunderten von Milliarden plötzlich unterbrochen werden – das hätte schwerwiegende Folgen.

Nach den USA nimmt nun auch die EU das Bankgeheimnis ins Visier und will die Steueroase Schweiz auf eine schwarze Liste setzen. Freut Sie das?
Sehr! Wir werden gegenwärtig mit einer einmaligen Realsatire unterhalten. Die bürgerlichen Politiker tun in ihrer kleinkarierten Bockigkeit wirklich alles, um den Countdown in Sachen Bankgeheimnis zu beschleunigen. Es ist – auch in der Bundesverwaltung – mindestens seit Ende der neunziger Jahre klar, dass das Bankgeheimnis keine Zukunft hat. Selbst der Bundesrat wusste das. Zu jener Zeit war Bill Clinton US-Präsident. Doch dann kam 2001 der Republikaner George Bush an die Macht, damit war die Debatte um das Bankgeheimnis vom Tisch. Beide Grossbanken spielten fortan auf Zeit und verfolgten eine «Nach uns die Sintflut»-Strategie. Damit fuhren sie dann 2006 die höchsten Gewinne aller Zeiten ein und wurden dafür ausgiebig gelobt.

Die UBS ist einerseits im Investmentbanking dick drin und soll andererseits etwa 2000 Milliarden Franken Vermögen verwalten. Wie hängen die beiden Geschäfte zusammen?
Der neue UBS-Chef Oswald Grübel hat das unlängst erklärt: Der profitmässig interessanteste Teil der Vermögensverwaltung betrifft Leute, die mit fünfzig Millionen Dollar und mehr aufkreuzen. Die brauchen ab und zu auch das Know-how des Investmentbankings: Sie wollen mal ein Unternehmen kaufen oder verkaufen oder gross in den Rohstoffhandel einsteigen. Was er nicht gesagt hat: Die Tatsache, dass UBS und CS bislang nicht wie die US-Investmentbank Lehman Brothers Konkurs gegangen sind, hängt damit zusammen, dass sie mit der Vermögensverwaltung über ein zweites, sehr starkes und relativ stabiles finanzielles Standbein verfügen.

Die Bank darf also Gelder aus der Vermögensverwaltung im Investmentbanking nutzen?
Nein, nicht direkt. Es geht um Stabilität und Verfügungsgewalt. Die Deutsche Bank hat eigens zu diesem Zweck die Postbank mit den beachtlichen Guthaben der deutschen Bevölkerung aufgekauft. In der Schweiz sind es die grossen Privatvermögen und die institutionellen Anleger wie zum Beispiel die Pensionskassen, die den Grossbanken die Verfügungsgewalt über gigantische Finanzströme erlauben.

Die Schweizer Banken sollen ausländische Vermögen verwalten, die sechsmal grösser sind als das Schweizer Bruttoinlandsprodukt – also sechsmal mehr, als was wir Erwerbstätigen in einem Jahr erarbeiten. Bei Island war das Verhältnis noch ein bisschen ungünstiger, nämlich zehn zu eins. Könnte die Schweiz wie Island bankrottgehen?
Im Unterschied zu Island oder auch zu Irland hat die Schweiz sehr grosse Investitionen und Guthaben im Ausland. Doch es ist klar, ein plötzlicher Abzug sämtlicher privater Vermögen wäre ein grosses Problem. Die bisherige Politik zielte wohl hauptsächlich darauf ab, dies zu verhindern. Der Bankrott von UBS oder CS wäre ein harter Brocken.

Wie muss man sich die Vermögensverwaltung eigentlich vorstellen?
Die Gelder bleiben nicht hier, sondern werden wieder im Ausland angelegt. Das war eines der besten Geschäfte der Schweiz in den letzten sechzig Jahren. Diese Vermögen waren auch wichtig als finanzielle Basis für die globale Expansion der Schweizer Konzerne wie Novartis, Nestlé, ABB et cetera. Ihnen stand durch den Finanzplatz Schweiz sehr billiges Expansionskapital zur Verfügung.

Die Bankiervereinigung und die FDP tun so, als ob man die Debatte um das Bankgeheimnis einfach aussitzen könnte. Bislang hatten sie mit dieser Strategie immer Erfolg. Warum soll es diesmal nicht klappen?
Die UBS wird in den USA wirklich zum Abschuss freigegeben – und das verstehen sie nicht! Man darf nicht vergessen, wer die UBS ist. Die Bankgesellschaft, die nachher in der UBS aufging, war die Bank der südafrikanischen Apartheidregierung; später war es auch die UBS, die wegen der Holocaustgelder am meisten unter Beschuss stand. Auch weiss man in den USA, welche Rolle die UBS spielt: Sie ist die weltweit grösste Vermögensverwalterin, wenn man sie trifft, trifft man alle. Zudem hat sie sehr gute Beziehungen zu Republikanern gepflegt. Und es liegt beweiskräftiges Material vor, das belegt, wie illegal sie sich verhielt. Wenn nun die Schweizer Regierung nicht an die Hearings gegangen ist, hat sie einfach nicht verstanden, wie ernst die Lage ist.

Die Linke fordert zusammen mit der SVP, die UBS müsse aufgesplittet werden. Kommt das gut?
Der Vorschlag, sie aufzuteilen, ist vermutlich – im Fall eines drohenden Bankrotts – das Vernünftigste, was man tun kann. Nur passiert das nicht so einfach. Wer will schon den Investmentbanking-Zweig der UBS kaufen? Ich denke, man kann nicht einfach UBS und CS als Global Players abschaffen, ohne dass dies Konsequenzen auf die Schweiz hat. Im Moment hat sich auch die Frage der Gesundschrumpfung etwas entschärft, da es ja eine Zwangsschrumpfung gibt. Dabei darf man allerdings die globale Dimension nicht übersehen, das alles ist noch lange nicht vorbei. Laut dem US-amerikanischen Ökonomen Nouriel Roubini soll es weltweit noch problematische Papiere im Wert von 3,6 Billionen US-Dollar geben, die Hälfte davon in den USA, die andere Hälfte hauptsächlich in Europa. Niemand hat eine Ahnung, wie man eine solche Menge an Wertpapieren vernichtet. Es gibt auch keinen Gesamtkapitalisten, der die Krise managt.

Weltweit erlebt der Keynesianismus eine Renaissance. Die Regierungen versuchen, mit Staatsausgaben die Wirtschaft anzukurbeln. Auch in der Schweiz wurden Konjunkturpakete geschnürt. Reichen sie?
Das Konjunkturprogramm der Schweiz geht davon aus, dass ein etwas längerer Konjunktureinbruch bevorsteht und es danach wieder aufwärts respektive weitergeht wie bisher. Daran zweifle ich. Der britische Ökonom John Maynard Keynes machte vor rund siebzig Jahren bemerkenswerte Analysen: Er hat die Idee in die wirtschaftstheoretische Debatte gebracht, dass die Unsicherheit der Kapitalisten und ihre Zukunftserwartungen die wirtschaftliche Entwicklung beeinflussen. Damit warf er die Frage auf: Was hält Kapitalisten vom Investieren ab, und was bewegt sie wieder dazu? In diesem Zusammenhang hat er versucht nachzuweisen, dass es Wirtschaftskrisen geben kann, in denen nur der Staat die Wirtschaft ankurbeln kann, indem er seine Ausgaben erhöht – weil letztlich nur eine höhere Kaufkraft der Bevölkerung das Wirtschaftswachstum fördern kann.

Also ein erfolgversprechendes Modell ...
... gäbe es da nicht vier Probleme. Das erste: Keynes hatte es nicht mit einem so riesigen, vernetzten Finanzsystem zu tun, wie es heute nun einmal existiert. Finanzblasen entwickeln sich im Kapitalismus immer parallel zu Wirtschaftskrisen, das ist nicht neu. Neu ist, dass die Blase im Verhältnis zur übrigen Wirtschaft sehr viel grösser ist als in den dreissiger Jahren. Das zweite Problem an Keynes' Theorie: Zu seiner Zeit war die Weltwirtschaft noch nicht so globalisiert. Sein Programm war ein nationalökonomisches.

Demnach versuchen wir mit einem nationalen Ansatz ein Weltproblem zu lösen?
Genau. Meiner Ansicht nach liegt die grösste Schwäche der aktuellen ökonomischen Debatte – egal ob sie von links oder rechts geführt wird – bei diesen beiden Punkten. Eine ernsthafte Analyse des heutigen Finanzsystems als Teil und Triebkraft einer enorm globalisierten Wirtschaft fehlt weitgehend.

Und welches sind die anderen heiklen Punkte?
Der dritte Punkt: Keynes lebte zur Zeit der beginnenden industriellen Produktion von Massengütern. In der Arbeitsproduktivität wurden riesige Fortschritte erzielt, und damit entstanden völlig neue Möglichkeiten, Gewinne zu machen. Der Staat musste mit Investitionsprogrammen dafür sorgen, dass die Leute wieder Geld verdienen konnten, um es für den täglichen Konsum auszugeben. Damit erhielten die Unternehmer den Anreiz, in ihren Fabriken wieder produzieren zu lassen – womit der Konsum von Industriegütern weiter vorangetrieben wurde. Dabei ging es nicht zuletzt auch um langlebige Güter wie Autos, später Waschmaschinen und Kühlschränke. Doch heute ist die Situation eine völlig andere, die Leute haben schon Kühlschränke, Waschmaschinen, Fernseher, Autos – alles ist schon da. Ein grosser Teil des täglichen Verbrauchs ist importiert. Der keynesianische Zusammenhang zwischen Kaufkraft, Arbeitsplatzbeschaffung und Profiten ist deshalb nicht mehr derselbe wie damals. Der vierte und letzte Punkt: Die Staatsausgaben sind heute an und für sich viel grösser als in den dreissiger Jahren.

Also könnten die Konjunkturprogramme verpuffen?
Gut möglich. Es gibt eine grosse Frage: Wo und wie können überhaupt Arbeitsplätze dauerhaft geschaffen werden? Der diesjährige Ökonomie-Nobelpreisträger Paul Krugman hat sich intensiv mit der Wirtschaftskrise beschäftigt, die in den neunziger Jahren Japan lahmlegte. Er wollte wissen, wie es das Land am Ende schaffte, aus der Krise herauszukommen. Krugmans Fazit: Ohne den gesteigerten Export wäre dies Japan nie gelungen. Und dann stellt Krugman die relevante Frage: Wie soll dies funktionieren, wenn man – wie es zurzeit wegen der weltweiten Krise der Fall ist – nirgendwohin mehr exportieren kann? Krugman schreibt in seinem Blog, dass er selbst keine Antwort hat.

Gibt es keinen Lichtblick?
Andere Ökonomen weisen darauf hin, es gebe auch die Möglichkeit, erfolgreich Arbeitsplätze zu schaffen, indem beispielsweise Investitionen in die soziale Infrastruktur – wie zum Beispiel in die Kinder- oder Altenbetreuung oder in die Freizeitindustrie – getätigt würden. Das scheint auch das Beispiel Japan gezeigt zu haben. Die einzigen Sektoren, die noch Wachstumsraten aufweisen, sind das Gesundheits- und das Erziehungswesen sowie der Umweltbereich. Wachstum ist da tatsächlich möglich, allerdings in einem anderen Sinn, als das im Kapitalismus läuft. Was die Kapitalisten wollen, ist nicht einfach Wachstum – sie wollen Profitwachstum, und das ist etwas anderes.

Was dann?
Schwierig zu sagen. Das ist eben das Problem: Wir erleben etwas, das es vorher noch nie gegeben hat. Die klassischen Referenzsysteme der Ökonomen funktionieren nicht mehr – oder besser gesagt, noch weniger als bisher.

Sie sind feministische Ökonomin, wie reagieren die Ökonomen auf Ihre Analysen der Krise?
Meistens reagieren sie nicht, wenn ich anderer Meinung bin. Oder dann reagieren diejenigen positiv, die meinen, ich denke im Grunde genommen dasselbe wie sie. Als feministische Ökonomin habe ich gelernt, genauer darüber nachzudenken und zu forschen, in welchen geschichtlichen Zusammenhängen Wirtschaftstheorien entwickelt wurden. Dabei habe ich viel gelernt. Das hilft, in der heutigen, ungewohnten Situation.

Mascha Madörin

Die Nationalökonomin Mascha Madörin (62) ist eine der wenigen Ökonomieexpertinnen, die zu feministischer Wirtschaftstheorie und -politik forschen; gegenwärtig arbeitet sie vor allem zu den Bereichen öffentliche Finanzen und Care-Ökonomie. Von 1976 bis 1980 lehrte und forschte Madörin an der Universität in Moçambique, danach arbeitete sie während dreizehn Jahren bei der Aktion Finanzplatz Schweiz zu Themen wie Schuldenkrisen, Diktatorengelder, Geldwäscherei, Steuerhinterziehung und ganz allgemein zum Schweizer Finanzplatz.