Immer und ewig: Poggio Bracciolini

Nr. 17 –


Der angenehmste Klang, lässt Poggio Bracciolini (1380-1459) in einer seiner Facetien den Sekretär eines Kardinals sagen, sei ein Glöckchen. Denn damit pflegten die Kardinäle ihr Gefolge zu Tisch zu rufen, und wenn es etwas gar spät geläutet habe, habe allein sein Geräusch den Hungrigen das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen. Ein weiteres Beispiel aus Bracciolinis Feder: «Ein grosser Weintrinker hatte einen Fieberanfall und dadurch einen noch mächtigeren Durst als sonst. Als sich die Ärzte über die Bekämpfung des Fiebers und auch des Dursts unterhielten, sagte der Kranke: ‹Nehmt euch nur der Behandlung des Fiebers an, das Kurieren des Dursts überlasst nur mir!›».

Schöne kleine Anekdoten, wie sie sich zu Dutzenden in dieser Miniaturensammlung finden, allerdings ist der Inhalt der meisten Facetien weniger keusch. Der Humanist Poggio Bracciolini, der aus der Gegend von Florenz stammte und dessen unvergessene Leistung es ist, in Klöstern und Bibliotheken der Schweiz, Frankreichs und Deutschlands zahlreiche verschollene Manuskripte lateinischer Klassiker von Cicero über Tacitus und Quintilian bis Petron aufgespürt und für die Nachwelt erschlossen zu haben, war einige Jahre päpstlicher Sekretär. Benediktartig keusch muss man sich das allerdings nicht vorstellen, war doch die Renaissance auch in Rom eine viel sinnenfreudigere Epoche, als es die heutige ist. So geht es denn in den in lateinischer Sprache verfassten Facetien derb und schlüpfrig zu, was Poggio Bracciolinis Anekdotenkompendium 1559 auf den päpstlichen Index der verbotenen Bücher geraten liess, als der gestrenge Papst Paul IV. die Zügel anzog.

Gewiss hat Poggio Bracciolini Werke von grösserem inhaltlichem Gehalt geschrieben, die meist vergnüglichen 273 Facetien übertreffen jedoch all seine übrigen Schriften an Breitenwirkung. Ein Beweis dafür, dass auch vor über einem halben Jahrtausend ein Goût fürs Populäre existierte - und ein Beleg dafür, dass sich alles, aber auch wirklich alles, in lateinischer Sprache sagen lässt.

Poggio Bracciolini: Facezie. lat./it., ed. Stefano Pittaluga. Garzanti. Turin 1995 (1438-1456)