Italien: Azzurri in Schwarz

Nr. 24 –

«Triumph der italienischen Rasse»: Wie die Faschisten in den zwanziger und dreissiger Jahren den italienischen Fussball organisierten und instrumentalisierten.

Im Viertelfinale der Weltmeisterschaften von 1938 traf Italien in Paris auf Gastgeber Frankreich. Beide Teams traten traditionell in blauen Shirts an: die Azzurri gegen die Bleus. Das Los entschied darüber, wer sich die blauen Hemden auch diesmal überziehen durfte. Italien verlor, trat aber nicht im dafür vorgesehenen weissen Tenü an, sondern ganz in Schwarz. Die «maglia nera» war eine Referenz an die Schwarzhemden der faschistischen Kampfbünde. Trotz der überaus feindlichen Stimmung im Stadion gewannen die Italiener den Match und später zum zweiten Mal die WM. Es war das einzige Mal, dass die «squadra azzurra» in Schwarz auftrat. Italienische Emigrantinnen und Emigranten, unterstützt von französischen AntifaschistInnen, hatten schon vor dem Achtelfinale gegen Norwegen den Teambus der Italiener attackiert. Rund 3000 Menschen protestierten in Marseille lauthals gegen das Regime. Die manipulierte italienische Presse berichtete hingegen von einem freundlichen Empfang und feierte den zweiten WM-Titel als Triumph der «italienischen Rasse».

Fussball im jungen Nationalstaat

Die Faschisten hatten seit dem Marsch auf Rom von 1922 den Fussball erfolgreich organisiert und instrumentalisiert. Innerhalb eines Jahrzehnts war aus einem eher elitären Vergnügen von an England orientierten Kaufleuten und Angehörigen der technischen Berufe der beliebteste Volkssport geworden. Wie andernorts waren es auch in Italien englische und schweizerische Handelsleute gewesen, die ihr modernes Hobby pflegten und vor 1900 die ersten Vereine gründeten. Die italienischen Clubs waren vorab in den Industrie- und Hafenstädten des Nordens angesiedelt: in Genua, Mailand und Turin.

Die Bemühungen, den Sport zu popularisieren, waren wenig erfolgreich. Die Leidenschaft der Massen galt vorerst dem Radsport. Der 1909 geschaffene Giro d’Italia begeisterte hunderttausende und war eine der wenigen sportlichen Manifestationen des jungen Nationalstaats. Nach dem Ersten Weltkrieg wuchs das Interesse am Fussball rasant an. Bemühten sich 1919 noch 57 Clubs um den Meistertitel, waren es zwei Jahre später bereits 88. Der Versuch, die verschiedenen regionalen Ligen zu vereinheitlichen, scheiterte indessen am Widerstand der kleinen Vereine.

«Mens sana in corpore sano»

Die Faschisten unter Benito Mussolini übernahmen die Macht, weil sie systematische Gewalt anwendeten und der König bereitwillig einlenkte. Die Angst des Bürgertums vor einer sozialen Revolution war so gross, dass es den Faschisten vertraute, die Unordnung säten und Ordnung versprachen. Die vielen Arbeitslosen und landlosen «contadini» des Südens wurden mit sozialen Versprechen geködert. Das imperialistische Programm befriedigte jene vielen Frontkämpfer, die die Friedensbestimmungen nach dem Ersten Weltkrieg ablehnten und weiter von einem «Grossitalien» träumten. Die Gefallenen des Ersten Weltkriegs wurden zu Märtyrern stilisiert. Verhältnismässig viele Kriegstote gehörten einem Sportverein an. Die Zeitung «Lo Sport Fascista» verherrlichte deren Opfermut und Tapferkeit - Tugenden, die dem «Italiano nuovo» als Ideal gelten sollten.

Die faschistischen Intellektuellen und Propagandisten orientierten sich am Glanz des alten Rom. Die Stärke des Imperiums, so die Doktrin, war nicht zuletzt der Disziplin und der Athletik der römischen Soldaten und Offiziere zu verdanken. Die antiken Körperideale («mens sana in corpore sano») wurden ebenso propagiert wie die Loyalität, im Kampf bis zum Tod auszuharren. Der Sport sei der ideale Ort, den bedingungslosen Gehorsam einzuüben und das Bild vom feigen, verweichlichten Italiener Geschichte werden zu lassen. Die Triumphe der Cäsaren nach gewonnenen Feldzügen und die blutigen Gladiatorenkämpfe im Kolosseum waren Massenveranstaltungen, von deren Choreografie die faschistischen Propagandaexperten bereitwillig lernten.

«Oriundi» und eine rosa Zeitung

Im Italien der zwanziger Jahre war Fussball zum Zuschauermagneten geworden. Ausländische Kicker und Trainer, meist aus den professionellen Ligen Österreichs, Ungarns und der Tschechoslowakei angeworben, sorgten für ein hohes Niveau und fanden bald gelehrige Schüler. Ab 1928 war es jedoch fremden Fussballern nicht mehr erlaubt, in Italien zu kicken. Nur ausländische Trainer wurden weiterhin geduldet.

Der fühlbare Substanzverlust machte die Funktionäre und Klubbosse erfinderisch. Sie klapperten den südamerikanischen Kontinent nach Talenten mit italienischen Wurzeln ab. Denn auf der ganzen Welt lebten Menschen mit italienischen Wurzeln; nach einer Schätzung von 1914 lag ihre Zahl damals bei rund sechs Millionen. Die importierten Spieler, «oriundi» geheissen, erhielten bald einen Pass, und so manch einer von ihnen verstärkte die «squadra azzurra». Der erste war der in Argentinien geborene Raimondo Orsi, der bei Juventus kickte und neben einem hohen Lohn einen Fiat 509 erhielt. Luisito Monti oder Enrico Guaita waren andere erfolgreiche «oriundi», die mit ihrem technisch inspirierten südamerikanischen Stil den italienischen Fussball belebten.

Eine Fachpresse und das Radio berichteten über nationale und internationale Matches. Die auf rosa Papier gedruckte «Gazzetta dello Sport» und der «Corriere dello Sport» (ab 1927 «Il Littoriale») erreichten Tagesauflagen von rund 150 000 Exemplaren, am Wochenende verkauften sie sich gar 300 000-mal. Der Cheftheoretiker der faschistischen Sportideologie, Lando Ferretti, ein enger Vertrauter Mussolinis und Präsident des italienischen Olympischen Komitees, brachte die «Gazzetta» auf Kurs. Zudem existierte eine Vielzahl regionaler Sportzeitungen, die ausführlich über die lokalen Klubs berichteten und in unzähligen Bars für Gesprächsstoff sorgten.

In den 1929 ins Leben gerufenen nationalen Ligen A und B spielten zwar immer noch mehrheitlich Klubs aus dem Norden, die auch den Titel meist unter sich ausmachten. Doch auch Vereine aus Rom und Neapel erhielten nun die Chance, sich zu profilieren und somit die Ideologie eines dank der Faschisten endlich geeinten Italien wirksam zu transportieren. Zudem fanden nun Länderspiele auch südlich von Bologna statt. Der 1871 kriegerisch geschaffene Nationalstaat war in den Augen vieler SüditalienerInnen lange Zeit eine Fremdherrschaft Piemonts, des Nordens, gewesen. Der Fussball schuf nun neue Identifikationsangebote, auch für die unteren Schichten. Doch die Faschisten kümmerten sich nicht nur um den Spitzensport. Bis 1930 entstanden rund 3300 neue Sportplätze in ganz Italien. Dabei avancierten andere Sportarten zum panitalienischen Phänomen. Boccia, das feierabendliche Vergnügen auch älterer Männer, wurde zum modern strukturierten, überregionalen Wettbewerbssport.

Futurismus und moderne Arenen

Die WM 1934 im eigenen Land nutzten die Faschisten, um sich vor der Welt zu präsentieren. Organisatorisch klappte alles bestens. Die Stadien waren recht gut gefüllt, der Verkauf von Souvenirs übertraf die kühnsten Erwartungen. So manch hoher ausländischer Funktionär huldigte Diktator Mussolini. Die argentinische Mannschaft besuchte sogar den Geburtsort Mussolinis, Predappio, und legte am Grab seiner Vorfahren einen Kranz ab.

Die meisten Journalisten waren tief beeindruckt von den modernen Stadien. Bereits 1931 war in nur 180 Tagen das Turiner Stadio Mussolini gebaut worden. Es bot rund 65 000 ZuschauerInnen Platz und war polysportiv ausgerichtet. Neben den Fussballern diente es auch Rugbyspielern, LeichtathletInnen und SchwimmerInnen. Der vierzig Meter hohe Marathonturm dominierte den gesamten Stadtteil und wies auf antike Tapferkeitsideale hin. Ähnlich verhielt es sich in Rom, wo das Stadio dei Marmi im Stil kaiserlicher Monumentalbauten errichtet wurde.

Die architektonisch wichtigsten Stadien standen in Bologna und Florenz. Sie waren in modernistische städtebauliche Konzepte verwoben, wie sie den italienischen Futuristen bereits um 1920 vorgeschwebt hatten. In Bologna träumte der soziale Aufsteiger, hohe Sportfunktionär und Bürgermeister Leandro Arpinati von einer Wiederbelebung der Provinzstadt. Er sammelte Geld, um ein Stadion nach seinen Vorstellungen bauen zu lassen. König Vittorio Emanuele III. legte 1927 den Grundstein für das Littoriale, dessen Namen eine Referenz war an die altrömischen Liktorenbündel (lateinisch «fasces»), das zentrale faschistische Symbol. Wie in Turin waren Aschenbahnen und Schwimmbäder integriert, und antike Versatzstücke sorgten für eine Atmosphäre, die an den Glanz des alten Rom erinnerten. Eine bronzene Reiterstatue verherrlichte Mussolini als Feldherrn.

Radikaler noch gingen die faschistischen Stadienarchitekten in Florenz zu Werke. Benannt wurde das Stadion nach dem Weltkriegsveteranen Giovanni Berta, der 1920 dem lokalen «fascio di combattimento» beigetreten war und ein Jahr später in Auseinandersetzungen mit streikenden SozialistInnen ums Leben kam. Der kühne Stadionturm ist bis heute ein Wahrzeichen der Stadt.

«Calcio» statt «Football»

Schon ab 1925 war es für sämtliche Vereine Pflicht, ihre Spiele mit dem römischen Gruss zu beginnen. Der altrömische Kampfruf «Eja, eja, alala» ersetzte vor Spielbeginn das «Hipp, hipp, hurra». Die Fussballsprache war in Italien jedoch noch von englischen Begriffen geprägt. Zuweilen gab es lustig anmutende Übernahmen wie «kich off» für Anstoss. Analog zu Deutschland (dort schon vor dem Ersten Weltkrieg) ging man in Italien ab 1920 dazu über, die Sportsprache zu italianisieren; massgeblich beteiligt daran war das Radio. Nur wenige Anglizismen konnten sich bis heute halten, etwa der Ausdruck «mister» für den Trainer. Der Journalist und Schriftsteller Amerigo Bresci erhob ein populäres Florentiner Ballspiel der Renaissance, den «calcio», zum legitimen Vorläufer des Fussballs. So wurde das Ballspiel zu einem genuin italienischen Spiel.

Neben den beiden WM-Titeln von 1934 und 1938 gewann die «squadra azzurra» auch das olympische Turnier von 1936 in Berlin. Die Medien schlachteten die Erfolge der Fussballer aus. Sie seien ein Abbild des gloriosen faschistischen Systems. Mussolini und lokale faschistische Führer liessen sich in den Stadien feiern, und dies nicht nur bei Sportveranstaltungen. Mussolini posierte auch gerne mit Fussballstars. Die linke internationale Presse berichtete indessen kritisch über die italienischen Erfolge: Beim WM-Titel 1934 sei Bestechung im Spiel gewesen. Tatsächlich hatten unverständliche Schiedsrichterentscheide massgeblich zum Gewinn der WM beigetragen.

Der Fussball bewahrte sich allerdings auch im totalitären Staat einen gewissen Eigensinn. Oft kam es zu Ausschreitungen, manchmal gar zu Handlungen und Schmähungen gegen die Diktatur. Und der italienische «campanilismo», die Orientierung an der eigenen Stadt, existierte weiter.



Schwarze Kurven der Gegenwart

Das Bild ging um die Welt. Stürmer Paolo di Canio grüsste im Januar 2005 die Kurve von Lazio Rom mit erhobenem rechtem Arm. Di Canios faschistischer Gruss löste nicht nur in Italien eine Debatte aus. Dabei war dessen Haltung längst kein Geheimnis mehr, seine Tätowierung «Dux» ist eine Referenz an «Duce» Benito Mussolini. Die Kurve von Lazio Rom kleidete sich bereits Ende der achtziger Jahre in Schwarz, wurde zur «curva in nero». Waren bis vor einem Jahrzehnt noch manche Fankurven offiziell unpolitisch oder gar in linker Hand, so ist die Ideologie der italienischen «Ultras» mittlerweile klar rechts anzusiedeln. Einzig in Livorno hält sich eine pointiert linke Fankultur. Offener Rassismus gehört zur Tagesordnung. Die Männerbünde sind streng hierarchisch gegliedert, der «capo curva» verlangt blinden Gehorsam. MatchbesucherInnen wird oft Geld abgepresst, um die aufwendigen Choreografien zu finanzieren. Der Präsident von Hellas Verona meinte vor einigen Jahren, er werde niemals schwarze Spieler verpflichten, der Widerstand der Ultras dagegen sei zu stark. Auch heute spielt kein Schwarzer bei Verona.

Calciopoli

Ein Bestechungsskandal erschüttert gegenwärtig Italiens Fussballwelt und kompromittiert die italienischen WM-Chancen. Die Untersuchungen wurden durch den Verdacht illegaler Wetten ausgelöst und betrafen plötzlich die ganz Grossen: Es geht um mafiöse Machenschaften von Luciano Moggi, dem Generaldirektor von Juventus Turin. Moggi soll unter anderem die Zuteilung von Schiedsrichtern zugunsten seines Teams beeinflusst haben. Auch andere Teams, darunter AC Milan, sollen in den Skandal verwickelt sein. Rekordmeister Juventus droht der Zwangsabstieg.